Etienne sah sich um und war sich nicht sicher, wo sie hinschauen sollte. Das Zimmer war schon immer gro? gewesen, die hellen, braunen und beigen Farben der W?nde und des Bodens zeichneten mit den breiten Fenstern ein helles, offenes Empfinden. Dieses Gefühl, der Offenheit und Ruhe hatte sich jedoch nie zu ihr durchgedrungen. Etienne hatte sich schon vom ersten Moment an unwohl in diesem Zimmer gefühlt und das lag sicherlich auch an den ganzen fremden Menschen oder der Tatsache, dass sie sich zu dem Zeitpunkt von Tatinne und Raffael dazu gedr?ngt gefühlt hatte, hier anzutreten. Als w?re sie im b?sen Willen dazu angestachelt worden, sich freiwillig in eine Schlangengrube zu begeben, in welcher sie den Einflüssen anderer ausgesetzt w?re.
Etienne drückte sich von der Zimmertür ab und ging zu ihrem Platz. Mit einem Ruck hielt ihr K?rper inne, noch bevor sie die Chance hatte zu verstehen, warum. Sie stand einen Moment vor ihrem Sitzplatz. Neben ihrem Tisch stand der von Anaki. Keinen der Tische sah sie l?nger an, als einen Moment. Das Problem war zu ihren Fü?en, der Stuhl, dem sie nie mehr Beachtung geschenkt hatte, als am ersten Tag ihres Auftretens. Die dunkelbraun geschwungenen Linien, welche aus dem dunklen Ebenholz geschnitzt sein mussten, waren einzigartig. Sie schlangen sich um die Stuhlbeine, verzierten die Lehne und die Seiten des Sitzes. Etienne war bereits am ersten Tag aufgefallen, dass die Linien und Muster überall etwas anders aussahen. Aber es war nicht das, was so ein flaues Gefühl in ihrem Nacken ausl?ste. Als w?re eine Kralle kurz davor, sie zu umschlie?en. Wie ein Fluchweber, welcher sie aussp?hte und einsch?tzte, am Abw?gen, wie gut sie für die Flüche geeignet war, welche er zu weben vorhatte. Wie damals, als sie auf der Suche nach einem Djinn gewesen war. Es war jedoch kein Fluchweber hier und der Stuhl sah normal aus, wie die Tage davor auch. Also setzte sie sich auf den Boden und legte den Stuhl auf die Seite. Ihr H?nde kribbelten, als sie das dunkle Holz berührte. An der Unterseite entdeckte sie in schwarzer Farbe ein Viereck abgebildet, welches so gro? war, wie ihre Handfl?che. In seinem Inneren waren Halbkreise miteinander Verbunden und W?rter der alten Sprache den vier Seiten nach abgebildet. Das Kribbeln wandelte sich in eine G?nsehaut und Etienne zog die Hand zurück, als würde sie eine Hitze spüren, welche ihre Haut versengte, obwohl diese nicht da war. Ein alt bekannter Phantomschmerz.
Nicht wissend, wohin mit dieser Hand, legte sie sich diese an den Mund. Das sah auf den ersten Blick nach einem gut verarbeiteten Fluch aus. Und so klein wie die Stadt war und so wenig Ahnung die Leute zu haben schienen, wie Magie funktionierte, empfand sie diese Entdeckung als besonders besorgniserregend. Der Fluch war bei Weitem nicht der komplizierteste, dem sie begegnet war, aber auch nicht unbedingt der bekannteste. Altbekannte Worte und deren Verknüpfung bildeten eindeutige Absichten des Webers, welche verschleiert wurden durch ablenkende Symbole, Zeichen und Buchstaben. Um sich über die Funktion des Fluches sicher zu werden, musste sie ihn eingehender studieren.
Etienne blickte schnell zur Uhr. Es war noch Zeit, bevor andere auftauchen würden. Also packte sie schnell etwas Papier aus und zeichnete den Fluch ab. Sie nutzte dies oft als Taktik, um nachzuvollziehen, in welchen Schritten ein Zauber Ebene für Ebene gezeichnet werden musste, um zu funktionieren. Besonders bei Flüchen und Schutzzaubern war es hilfreich, da diese nicht selten irreführend gewoben worden sind. Bei diesem hier war das jedoch nicht allzu kompliziert. Es gab eine Kombination an Symbolen, welche im Gesamtmuster keine Wirkung haben konnte. Nachdem sie diese identifiziert hatte, dauerte es nicht lange, bis sie sich über die Symbole, welche den Fluch am Leben hielten, sicher war. Auch über die Absichten des Fluches war sie sich sicherer geworden. Etwas zu fühlen, was nicht ihr Gefühl war. Eine tief sitzende Verunsicherung, sollte in ihr ausgel?st werden, ein Gefühl von Paranoia und Angst. Jemand hatte vor, sie innerlich aus dem Gleichgewicht zu bringen. über die Zeit, in welcher sie an diesem Stuhl sitzen würde, würde der Fluch immer mehr und mehr Energie von ihr ziehen und sie ihr in Form von negativen Gefühlen zurückgeben. Es war eine Kombination, die ?fters zusammen genutzt wurde. Meistens diente die Ausl?sung von negativen Gefühlen dazu, dass der Fluch schneller an noch mehr Energie kommen konnte, da der Mensch durch das erschaffene Ungleichgewicht leichter seiner Energie zu berauben war. Vor allem Müdigkeit und somit die Knüpfung an schlechte Tr?ume erm?glichte es, den Menschen leicht zug?nglich für den Raub zu machen. Jemand wollte Etienne ihrer Energie berauben und sie in einem Zustand von Verwirrung und Misstrauen und dem abgekoppelten Verst?ndnis von Realit?t zurücklassen.
Direkt leuchteten Biancas dunkelgrünen Augen aus. Ihr kalter und absch?tzender Blick, welcher hinter dem liebevollen L?cheln lag, hatte in ihr Instinkte geweckt sich zu schützen. Dann wurde Etienne auf einmal eine Sache klar, welche sie so sehr irritiert hatte. Bianca hatte sie angesehen, wie einen Gegenstand. Genauso war es auch bei Raffael gewesen. Eine M?glichkeit, ihren Blick zu interpretieren, jedoch gab es noch viel mehr, was Etienne irritierte. Sie erinnerte Etienne an einem Fluchweber, wenn auch nicht g?nzlich zu einem herangewachsen. Sollte sie doch kein Fluchweber sein, kein normaler Mensch würde einfach so einen Fluch an jemanden richten. Erst recht nicht wegen eines Gerücht, welches jemand anderes in die Welt gesetzt hatte, au?er er war von Anfang an mit einem geringen Ma? an Empathie und Emotionen geboren worden. War das der Grund, weshalb Raffael am Vortag so missmutig schien? Mochte er Biancas Weg der Flüche nicht? Sie konnte es sich nicht vorstellen, er schien nicht wie jemand, der zu Flüchen greifen würde. Aber wenn doch, dann h?tte er sie davor warnen müssen. Erneut schlich das Misstrauen in ihr hoch. War das vielleicht seine Art, sie unter seine Kontrolle zu bringen? Sie würde angegriffen werden und er würde ihr helfen, ihre Dankbarkeit ausnutzen?
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Ein tiefes Seufzen staute sich in ihrer Brust auf. Um wirklich konkret zu verstehen, was passiert war, wer versucht hatte, sie zu verfluchen und um ihre Vermutung, dass es Bianca war, zu best?tigen, musste sie mehr Nachforschungen anstellen. Etienne hatte noch nicht so viele Menschen ver?rgert, dass sie direkt mit Flüchen in ihre Richtung werfen sollten. Und schon gar nicht so sehr, dass sie am Morgen danach direkt vor der Klassenzimmertür stehen sollten. Etienne war sich sicher, dass am gestrigen Tag kein Fluch unter ihrem Stuhl war. Aber es gab noch weitere Dinge, die für Bianca sprechen konnten. Beispielsweise, dass sie wohlhabend schien. Nicht alle konnten sich die Farbe leisten, welche fürs Fluchweben notwendig war.
Die Farbe für Flüche war teuer. Diese sollte die Eigenschaft haben, so wenig Licht zu reflektieren, wie nur m?glich. Es gab einige sehr gute Farben dafür, diese waren jedoch ziemlich teuer und musste synthetisch hergestellt werden. Ein einfacher Bürger würde sich das nicht einfach so mal leisten k?nnen. Es war unwahrscheinlich, aber wenn, dann würde es sicherlich irgendwo eine Aufzeichnung darüber geben, wer in Calisteo es sich in welchen Mengen leisten konnte. Ein Grund mehr, wieso wohlhabende Familien immer die eine oder andere Verbindung zu Magie hatten.
Also war Bianca ihre beste Vermutung. Oder Bianca und ein weiteres Individuum. Ihre Worte über die Machtk?mpfe klangen erneut in ihrem Kopf auf. Raffael wusste, wer Etienne laut dieser dummen Vorhersehung sein sollte, von welcher Etienne mittlerweile glaubte, Tatinne h?tte sie gesprochen, um Etienne zu testen. Das würde auch auf andere zutreffen. Jeder, der irgendeine Art an Macht in der Stadt hatte und dies als solche behalten wollte, würde Etienne als eine Gefahr betrachten. Würde Tatinnes Name ausreichen, um sich zu schützen? Zum ersten Mal fühlte Etienne ihr Herz vor Sorge pochen.
Bevor sie sich jedoch weiter überlegen würde, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte, nahm sie sich ihr Messer, welches sie in der Innenseite ihrer Tasche hinter ein zus?tzlich einem zus?tzlich eingen?hten Stück Stoff versteckte, und kratzte vorsichtig an einem der Symbole. Dabei blickte sie in die zweite Ebene und die schwarze Farbe der Muster wurde matt, als Etienne eine Verbindung brach. Sie bemerkte, wie die Luft etwas k?lter in der N?he des Symbols wurde und war zufrieden mit ihrer Arbeit. Die K?lte bedeutete, dass der Energiemangel nicht mehr künstlich durch die Symbole aufrechterhalten wurde. Stattdessen wurde er schnell durch die Umgebung ausgeglichen, welche ihrer Energie in Form von W?rme beraubt wurde. Der Fluch selber war somit inaktiv, da es nun nichts mehr gab, was einen stetigen Ausgleich brauchte.
Etienne bedachte ihre Arbeit. Sie hatte sich Mühe gegeben, den Kratzer durch die Farbe so dünn wie nur m?glich zu halten. Wenn jemand überprüfen würde, ob der Fluch noch aktiv war, dann würde er ganz genau hinschauen müssen. Vielleicht konnte sie das ausnutzen, um die Person anzulocken? Oder sollte sie eher so tun, als würde der Zauber Einfluss auf sie ausüben und zu Bianca gehen, nachdem diese ihr dieses Angebot unterbreitete, sich bei ihr zu melden, sollte es ihr schlecht gehen?
Als sie Schritte im Gang vernahm, stellte sie den Stuhl wieder hin und setzte sich vorsichtig darauf. Diesmal gab es keinen Schauder, welcher sie vor der Magie warnte. Sie packte schnell ihr Messer ein, verstaute das Papier in einem Buch und holte die Bücher hervor, welche sie in den n?chsten Stunden brauchen würde.