Einige Stunden lang erlebte Meta ein Auf und Ab an Gefühlen. Es erinnerte sie an den Ausflug mit Etienne in ihr altes Haus. Eigentlich hatte sie vorgehabt, sich heute mehr mit der Vergangenheit ihres Vaters zu besch?ftigen, aber Halils Bitte am Vortag hat wie ein Vorschlaghammer in ihr Leben eingeschlagen und alle Vorhaben standen nun hinten an. Leider auch die Hilfe, welche sie Etienne geben wollte, denn als sie nach dem langen Gespr?ch mit Halil oben aufgetaucht war, war Etienne alleine schon beinahe fertig gewesen. Nach einem kurzen Gespr?ch und Etiennes Beharren, dass sie keine Hilfe brauchte, gefolgt von der bitteren Erkenntnis, dass es keine Aufgabe gab, hinter welcher sie sich verstecken konnte, war sie in den Saal gegangen und hatte sich zun?chst oben verkrochen.
Halil und Meta hatten einen Zeitraum ausgemacht, in welchem Meta Anaki zur Mittagspause fragen wollte, ob er sich denn mit ihnen unterhalten würde. Nun gingen die Sekunden z?h voran, aber irgendwie dennoch viel zu schnell. Denn vor allem in den letzten Momenten, bevor es zur Pause gehen sollte, waren ihre Nerven kurz davor, durchzubrennen und sie hatte noch keinen Weg gefunden die Zeit anzuhalten.
Madame Mirtin war irgendwann aufgetaucht, brachte Gel?chter und gute Laune in das Zimmer, welche sich nicht echt anfühlten. Als das Treiben langsam geringer wurde, die Schüler sich langsam bereit machten, die Pause einzul?uten, stand sie mit bleiernen Beinen auf und bewegte sich nach unten, als w?re sie auf dem Weg zu einer Hinrichtung. Wieso hat sie da nur zugesagt? Sie h?tte rennen sollen! Aber dafür war es nun zu sp?t. Halil deutete ihr mit einem nicken, dass er auf sie in der Bibliothek warten würde und verschwand. Sie hat sich den Ort für ein Gespr?ch gesucht, welches zu dieser Zeit sowieso nicht besucht sein sollte und welcher ihr Trost und Sicherheit spenden würde. Doch jetzt hatte sie Angst, ihn mit einer unangenehmen Erinnerung zu markieren, an welche sie immer zurückdenken würde, wenn sie dort lernen wollte.
Meta schlüpfte durch die Tür und ging am Rand, weit weg von m?glichst allen Menschen, hinunter und dann hinter die Bühne.
Anaki war genau da, wo sie ihn zuletzt gesehen hat. Scarlett stand neben Anaki, zuckte bei einer Aussage von Crom mit den Schultern, sagte dann etwas zu Raffael, und entdeckte daraufhin Meta, welche vorsichtig zu ihnen trat. So gezwungen Scarlett ihre Augen auf die heile Gesichtsh?lfte legte, gab Meta zu verstehen, dass Raffael ihr wahrscheinlich schon davon erz?hlt hat. Ob sie wussten, wer dafür verantwortlich war? Warum war ihr das nur passiert…
?Kann ich dir helfen?“, fragte Scarlett und Meta h?rte den etwas zu sanften Unterton und das versetzte ihr einen Stich.
?Ich…, entschuldigt bitte, dass ich st?re. Anaki, hast du einen Moment Zeit?“
?Ich?“, fragte er überrascht, rührte sich genauso wenig, wie sie. Selbst Scarlett und Crom warfen sich fragende Blicke zu und Meta sch?mte sich in Grund und Boden. Es musste so seltsam bei ihnen ankommen, dass sie hier vor ihnen stand. Hatte sie denn jemals schon mal ein Wort mit Anaki gewechselt? Sie glaubte nicht. Es würde sie nicht wundern, sollte er sie abweisen. Was soll sie dann nur Halil sagen?
Doch Anaki wies sie nicht ab. ?Ja, natürlich. Gibst du mir einen Moment? Ehm… willst du unter vier Augen sprechen? Sollen wir raus?“
Sie nickte, dankbar und besch?mt, dass ihre steife Art und die Unbeholfenheit wohl so offensichtlich waren. Dann beeilte sie sich, rauszugehen und wartete vor der Tür auf ihn. Er folgte ihr sofort.
Meta hatte sich genau überlegt, was sie sagen wollte, doch anstelle der Worte, die sie vorhatte zu nennen, kam einfach die g?nzliche Erkl?rung herausgesprudelt, was passiert war und was sie von ihm wollte.
?Ist das sein Ernst? Hat er dich bedr?ngt, das zu machen?“, fragte er dann und Metas Herz sank ihr in den Bauch.
?N-nein, nein.“
?Bist du sicher? Denn das h?rt sich für mich nach einer neuen Art an, wie er mich nerven will. Nie h?tte ich aber gedacht, dass er so tief sinkt, dich dafür auszunutzen.“
?Nein, nein…“, stotterte sie abwehrend, wollte Halil verteidigen, zeitgleich wusste sie aber nicht, wie genau. ?Ich…“
Anaki hob abwartend eine Braue, gab ihr Zeit sich zu finden und ihren Satz zu formulieren. Aber es kam nichts raus.
?Bedr?ngt er dich?“, fragte er dann sachte noch mal.
?Nein“, sagte sie.
?Zwingt er dich dazu?“
?Nein.“
?Bedroht er dich?“
?Nein“, sprach sie erneut, diesmal beinahe schon zu laut.
?Also willst du mir erz?hlen, dass du dich freiwillig in unsere Schlammschlacht einmischst?“, fragte er dann l?chelnd.
?Das-…, das h?rt sich irgendwie auch nicht richtig an“, sagte sie dann leise und sein L?cheln wurde etwas sanfter, beinahe schon belustigt und das passte nicht zu der nerv?sen Falte auf seiner Stirn.
?In Ordnung“, sagte er dann seufzend, ?In Ordnung. Hier scheinen ganz sch?n viele Leute irgendwie verwickelt zu sein. Kam das wirklich von Etienne? Oh je, ich will wetten, sie wusste nicht einmal, dass er es so w?rtlich nehmen würde.“
Meta schwieg verunsichert. Ihre H?nde waren gegen ihr pochendes Herz gepresst und sie hoffte, dass es sich beruhigen würde, aber das tat es nicht. Es hat angefangen, als sie auf diese Gruppe von Menschen zugehen musste und es wurde nicht besser. Denn nun beschlich sie das Gefühl, sie hat sich dreist in etwas eingemischt und hatte Anaki gar kein Mitspracherecht gegeben.
?Entschuldige“, sagte sie dann mit einer zitternden Stimme, ?Ich-, ich h?tte vorher mit dir sprechen sollen.“
?Das hast du gerade“, sprach er beruhigend, seine Stimme fühlte sich wie eine kühlende Salbe auf einer brennenden Wunde an, ?Du hast mich soeben gefragt und ich kann nein sagen. Danke, dass du auf mich zugekommen bist und ehrlich zu mir warst.“
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Woher schien er direkt zu wissen, was sie so sehr besch?ftigte? War es denn so offensichtlich?
Anaki holte tief Luft. Richtig tief, atmete langsam ein, hielt sie inne und dann aus.
?In Ordnung. Wenn er eine Schlammschlacht will, bekommt er eine. Diesmal wird aber nicht die ganze Klasse involviert sein, also ist das schon mal eine Verbesserung. Die Bibliothek war es, nicht? Die zweite? Auf gehts.“
überrumpelt stolperte Meta ihm hinterher, als er zielstrebig davon ging, wurde beinahe von der sich ?ffnenden Tür getroffen, als Raffael sie ?ffnete und schnell mit einem verstohlenen Blick aus dem Saal herausschlüpfte. Er packte den Riemen der Umh?ngetasche fest, nickte ihr zu und verschwand geschwind. Meta hatte keine Zeit sich mit diesem kuriosen Geschehen auseinanderzusetzen, denn Anaki war schon weit vorgegangen und sie musste beinahe rennen, damit ihre kurzen Beine mit seinen langen mithalten konnten. Kaum, dass sie es sich versah, waren sie schon durch die Tür der Bibliothek gegangen, haben Adele nett begrü?t und waren dann schon beim Tisch von Halil, welcher ihnen einen eindeutig unglücklichen Blick zuwarf.
?Oh, schei?e, er ist wirklich mitgekommen“, drang es aus ihm heraus und er lehnte sich mit einem angewidertem Gesicht zurück.
Es ist viel zu früh. Viel, viel, viel zu früh, dachte sie panisch, innerlich nicht bereit für dieses Gespr?ch.
?Du wolltest es doch? Wo liegt also das Problem?“, fragte Anaki herausfordernd.
Halils angewidertes Gesicht ?nderte sich nicht, bis dann seine Augen Meta anklagend ansahen. Anaki setzte sich ihm gegenüber, Meta blieb stehen, fragte sich, ob sie denn schnell verschwinden k?nnte, denn die Vorstellung von den n?chsten Minuten trieb ihr ein Zittern in die Beine.
?Na komm, Meta“, sagte Halil schadenfreudig, klopfte auf den Platz neben sich, ?Nur zu, du scheinst gleich umzukippen.“
?H?rt auf damit“, sprach Anaki tadelnd. Scheinbar ganz der gro?e Bruder, welcher viele jüngere Geschwister hat.
Mit schweren Schritten trat sie an den Platz und setzte sich dorthin. In die Ecke, zur Wand. Es war furchtbar.
?Also, du willst dich vertragen?“, fragte Anaki direkt.
?Wollen tue ich gar nichts“, erwiderte Halil energisch, als w?re diese Behauptung die skandal?seste Aussage, die er je geh?rt hat.
?Natürlich nicht, das habe ich mir schon gedacht.“
?Dann geh doch wieder. Wieso sagst du hier zu, du Idiot? Ah, nein, brauchst es nicht zu sagen. Wahrscheinlich wittert dein gieriges Maul bereits eine M?glichkeit, sich bei meinem Vater einzuschleimen und ihm die Fü?e zu lecken. Hast du eigentlich jemals genug? Ich kenne mich bei Menschen wie dir besonders gut aus. Die Absichten merke ich sogar im Schlaf.“
Meta wollte ihm auf die Schulter schlagen, bei diesen unh?flichen Worten, Anaki hingegen verdrehte nur die Augen.
?Wie w?re es, wenn du mal wieder auf den Boden der Tatsachen kommst, Halil? Denn du bist bei weitem kein so guter Menschenkenner, wie du dich gibst.“
Meta hob zitternd die Hand. ?E-e-entschuldigt bitte.“
Wieso hat sie sich nur hierhin hineingeritten? Welches Anrecht hatte sie überhaupt, hier zu vermitteln, so zu tun, als h?tte sie irgendeine Ahnung von irgendwas? Das Einzige was ihr blieb, war einfach ehrlich und direkt zu sein.
?W-wolltest du nicht Anaki fragen, ob er wirklich das Haus deiner M-mutter… Ist nicht daher euer ganzer Streit losgetreten worden? Und, und, und diese ganzen anderen Dinge.“
?Ehrlich gesagt würde ich gar nicht wissen, wo anzufangen w?re“, sagte Anaki, ?Aber eine Sache würde mir sofort einfallen. Du hast gefragt, wieso ich hier bin. Das ist leicht zu beantworten. Seit nun fast einem Jahr meidest du mich wie die Plage nur, um dann in den seltsamsten Momenten aufzutauchen und mir das Leben schwer zu machen. Das hier“, er breitete beide H?nde vor sich aus und deutet auf die Situation, ?ist das erste Mal, dass du mir zuh?ren k?nntest. Reicht das als Antwort.“
Metas Augen huschten zu Halil und ihr Herz sank erneut, denn sein Gesicht war finster, die Mundwinkel tief nach unten gezogen, die Stirn in Falten gelegt.
?Scheint als w?re nicht ich derjenige, der hier überfallen wird. Also. Deine Mutter und das Haus. Der Tag, an dem du entschlossen hast, dich mit mir zu prügeln, noch bevor wir überhaupt richtig ein paar S?tze miteinander gewechselt haben. Sollen wir es noch einmal probieren? Denn ich verstehe bis heute nicht, was dich dazu getrieben hat, so zu reagieren.“
?Ah, halt die Klappe!“, rief Halil wütend aus, ?Was meinst du mit, keine Ahnung? Du hast selbst gesagt, du hast mit ihr darüber geredet! Hinter meinem Rücken. Zuerst mit meinem Vater, dann mit ihr. So viel zum Thema sich immer aufeinander verlassen k?nnen, danke, dass du hinter meinem Rücken die Machenschaften meines Vaters weiter verfolgt hast.“
?Das habe ich nicht gemacht!“, rief Anaki wütend aus und Meta konnte hinter ihm Adelle sehen, welche sich etwas in die Ohren steckte, ?Und wenn du mir damals zugeh?rt h?ttest, dann würdest du es jetzt wissen. Und nur, weil sie und ich darüber geredet haben, hei?t es nicht, dass ich sie da raustreiben wollte! Doch wei?t doch gar nicht, worum es ging!“
?Ah ja? Dann erkl?re doch mal, was du bei meinem Vater zu suchen hattest, bevor du nicht mal einen Tag sp?ter zu ihr gegangen bist. Sie ist krank! Und du bel?stigst sie mit demselben Mist, vor dem ich sie seit Jahren zu schützen versuche, du Verr?ter!“
?Du wei?t genau, wieso ich zu ihm gehe. Weile meine Mutter dort sitzt und wenn ich die Wahl h?tte, dann würde ich nicht. Aber mein Abschluss und die Aussicht auf eine Arbeit sind noch eine Weile hin.“
?Ja natürlich. Ich bin sicher du wartest nur darauf, dass er dir etwas von seinem blutbesudeltem Familienhappen gibt. Würde mich nicht wundern, dann hast du deinen Weibern mehr zu geben, als nur nette Worte. Vielleicht gibt er dir sogar meinen elendigen Titel, wenn er endlich seine Krallen von mir l?sst.“
?Was für Weiber?“, fragte Anaki verwirrt, ?Wofür hast du eigentlich deine Augen? H?r auf deinen Vater auf mich zu projizieren.“
?H?r auf meinen Vater auf mich zu projizieren“, ?ffte Halil ihn nach und Meta versuchte etwas einzuwerfen, war aber überw?ltigt von dem Schlagabtausch. Meta sah ganz deutlich, wie verwirrt Anaki von diesen Worten war. Wie verwirrt er die Stirn runzelte und versuchte zu folgen. Wieso fiel Halil es nicht auf?
?Lustig, dass du das sagst, w?hrend du Katelin links liegen gelassen hast, nachdem dir Dia sch?ne Augen gemacht hat. H?rt sich für mich an, als w?rst du genauso wie er und sah für mich auch so aus.“
Anaki wurde quitschrot und kaum dass der Moment vorbeigegangen war, schlug er mit der Hand wütend auf den Tisch. ?Genug!“
Wie auf Befehl wurde es im ganzen Zimmer stockfinster und Meta konnte nicht anders, als durch die Anspannung aufzuschreien.