Ich schlug meine Augen auf. Es war immer noch dunkel und der Mond schien in unser Zimmer. Das war wohl schon das fünfte Mal, dass ich in dieser Nacht aufwachte. Immer wieder erschien die vor mir zurückschreckende und verst?rte Frau. In dem Traum konnte ich ihre Angst wie eine eisige Hand spüren, die mich am Hals packte. Es war, als würde sie meine Adern gefrieren lassen und mich ersticken. Dieser Traum lie? mich dauernd aufschrecken, weshalb ich beschloss, kurz aufzustehen und mir die Beine zu vertreten. Ich nahm also meine Sachen von der Truhe und bewegte mich langsam die knarzende Treppe hinunter. An der Tür angekommen, ?ffnete ich sie und ging über die Schwelle. Die warme Luft der Nacht umgab mich und nachdem ich ein paar Schritte ging und mich umdrehte, sah ich den riesigen, hell leuchtenden Mond. Ab und zu schob sich eine kleine, dunkle Wolke vor ihn, doch nie schafften sie es, sein warmes Licht vollst?ndig aufzufangen. Als ich tief Luft geholt und mich ansatzweise beruhigt hatte, ging ich wieder Richtung des Gasthofes um wenigstens noch ein wenig Schlaf zu bekommen.
Als ich wieder erwachte, ging die Sonne auf, und doch war das gesamte Gasthaus noch am ruhig. Ich stand also auf und ging in das noch immer leerstehende Zimmer, um die Zeit zum üben zu nutzen und mich mental auf den Tag vorzubereiten. Mithilfe des Trainings konnte ich mich ablenken und meine Gedanken auf etwas anderes richten. 'Aegis' sowie 'Glacius' beherrschte ich in ihrer Grundform so langsam und auch mit 'Miragea' machte ich gro?e Fortschritte. Doch nun testete ich etwas anderes. Etwas was schwieriger war, als die simplen Grundzauber. Ich hatte in dem Buch von der ersten erweiterten Form des Frostzaubers gelesen. Er war in der Lage, bei der richtigen Ausführung eine Eislanze zu erschaffen, die dann von dem Anwender mit einer Handbewegung auf ein Ziel geschleudert werden kann.
Also gut, versuchen wir es, dachte ich mir und schaute mich um, suchend nach etwas, was ich als Versuchsobjekt nutzen k?nnte. Als Ziel nahm ich mir einen Holzscheit, den ich im kleinen Steinkamin des Zimmers fand. Ich stellte ihn auf und machte mich bereit. Den Stab fest in der rechten Hand haltend, holte ich tief Luft und sprach:
"Cryomara."
Wie auch bei dem Grund Zauber war es als w?re die Temperatur des Manas gerade an der Grenze, um meinen Arm nicht von innen gefrieren zu lassen. Der Saphir fing an ein kühles Leuchten von sich zu geben, das immer heller wurde. Schr?g über mir bildete sich eine Lanze aus Eis, spitz genug um einen Baum zu durchbohren. Doch bevor sie sich vollst?ndig gebildet hatte, zerfiel sie zu feinem Puderschnee. Ich war etwas frustriert, da ich erwartet hatte, den Zauber wenigstens ansatzweise ausführen zu k?nnen. Aber dem war nicht so. Als ich es erneut versuchte, baute sich die Lanze weiter auf als davor, doch zerfiel wieder. Mindestens zehn Versuche sp?ter klappte es dann.
Endlich habe ich es geschafft!, dachte ich mir zitternd, w?hrend ich mit Anstrengung die Form des Eises aufrechterhielt. Ich erinnerte mich daran, was ich im Buch gelesen hatte und bewegte meine linke Hand daraufhin so, als würde ich die Lanze auf einer unsichtbaren Linie bewegen. Sofort schoss sie mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit auf den Scheit zu und er brach augenblicklich auseinander.
Mit einer Mischung aus Triumph, Freude, aber genauso Ersch?pfung und Müdigkeit setzte ich mich langsam auf den Holzstuhl, der am Tisch stand. Erst dann bemerkte ich die K?lte, die sich im ganzen Raum ausgebreitet hatte. Am Boden, den W?nden und auch den Fenstern hatte sich eine hauchdünne Eisschicht gebildet, wodurch das gesamte Zimmer einen leichten wei?en Schimmer angenommen hatte. Auch meine Hand war vollkommen ausgekühlt und schmerzte beinahe. Mein Atem war klar sichtbar und ich zitterte immer noch am ganzen K?rper. Doch nun wurden mir auch die anderen, leiseren Sachen bewusst. Von unten nahm ich die Stimmen meiner Freunde wahr und schaute nach drau?en. Die Sonne war vollst?ndig aufgegangen. Ich verstaute also alle meine Bücher, um sie nicht zu vergessen und ging vorsichtig aus dem Zimmer heraus, bedacht nicht auf dem Eis auszurutschen. Die wohlige W?rme des "leckeren Fliegenpilz" kam mir mit einem Mal viel intensiver vor als sonst. Ich ging also immer noch etwas fr?stelnd die Treppe hinunter und setzte mich nah an den Kamin. Die Holzstücke glühten noch etwas und strahlten noch ein bisschen W?rme aus, die mir jedoch vollkommen reichte.
"Jetzt sag nicht, du hast es schon wieder übertrieben", h?rte ich Luna hinter mir sagen, w?hrend sie auf mich zu ging.
"Na ja, also nicht ganz. Ich kann ja immerhin noch laufen", antwortete ich ihr und l?chelte, um sie zu beruhigen.
"Und warum zitterst du dann so?", hakte sie besorgt nach.
"Also ich habe doch eigentlich nur..." setzte ich an, als sie auf einmal meine rechte, noch kühle Hand nahm und erschrocken fragte:
"Was hast du bittesch?n gemacht, dass deine Hand so kalt geworden ist?! Die ist ja kurz davor abzufallen!"
"Bitte beruhig dich wieder, ich habe versucht einen Frostzauber auszuführen. Du musst dir keine Sorgen machen, wirklich", antwortete ich ihr ruhig.
"Ja, dass du oben was geübt hast, haben wir geh?rt. Und Erika hat's auch gespürt", sagte Igor lachend.
"Sie meinte auf einmal, dass es in der Küche ungew?hnlich kalt ist. Scheinbar ist also die K?lte sogar bis nach unten gekommen."
"Das hatte mich aber voll überrascht", sagte Erika ebenfalls lachend aus der Richtung der Tresen. Und dann fügte sie noch hinzu:
"Aber wenn du so 'nen Temperaturumschwung erreichst, ist das wirklich beeindruckend. Kanns sein, dass du mit Geminis Büchern übst?"
Ich war etwas überrascht über die Frage, doch nickte als Best?tigung.
"Hab ich's mir doch gedacht. Anders h?ttest du nicht an sowas rankommen k?nnen."
"Wie meinst du das?", fragte ich Erika etwas verwirrt.
"Ok, du musst dir vorstellen, dass Gemini Notizbücher geführt hatte, falls er sein Wissen jemals weitergeben sollte. Sonst würden erweiterte Zauber nur in bestimmt angelegten Schulen gelehrt werden und da kommst du nur drauf, wenn du erstens 'nen Zwerg bist und zweitens musst du von 'ner Magierfamilie abstammen. Anders ist es unm?glich so starke Zauber zu lernen."
In diesem Moment wurde mir klar, wie wichtig die Bücher für mich waren und wie sehr ich sie beschützen musste. Mir wurde klar, dass diese Bücher einmalig waren und damit auch die Massen an Wissen innerhalb der Texte. Ich begriff, dass ich alles, was ich brauchte darin finden werden würde. Und au?erdem fiel mir ein, das er dadurch sein aufgeschriebenes Wissen selber nicht mehr nutzen konnte und das Wissen dadurch für mich geopfert hatte.
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Gerade in dem Moment, in dem mir auffiel, dass Leo und Jean nicht da waren, platzten sie durch die Tür und sagten gleichzeitig:
"Hier sind wir wieder!"
Daraufhin erfuhr ich, dass die beiden nur im Dorf waren, um noch etwas Proviant zu besorgen.
Und damit waren wir dann auch bereit aufzubrechen. Zu der Stadt Hearthhaven.
Der Weg führte uns durch einen dichten, lebhaften Wald. Die Sonne schien zu Teilen durch die m?chtigen Baumkronen und ab und zu sah man auch einen der Pilze zwischen den St?mmen hervorschauen. Wir begegneten vielen Tieren des Waldes, die, zu meiner überraschung, gar nicht so scheu waren und uns gespannt beobachteten. Doch irgendetwas war in ihren Augen, was alles andere als Ruhe spiegelte.
"Warum ist Erika eigentlich nicht mitgekommen?", fragte Leo Igor. Die Frage holte mich aus meinen Gedanken raus und weckte Neugier in mir.
"Gute Frage. Vielleicht wollte sie einfach weiterhin die Ebenen und das Dorf schützen, falls irgendetwas vorfallen sollte", dachte ich laut nach.
"Damit liegst du goldrichtig, Varis. Erika wollte beim Gasthaus bleiben, um Halewood und seine Bewohner zu unterstützen. Ihr k?nnt euch ja wahrscheinlich vorstellen, dass sie gar nicht so schwach ist", sagte Igor und schmunzelte etwas.
In meinem Kopf erschienen Erikas riesige Arme und mir lief ein leichter Schauer über den Rücken und antwortete dann etwas leiser: "Und wie ich mir das vorstellen kann."
Damit fingen wir alle an zu lachen und so verging der Weg bis zu der Stadt wie im Flug.
Langsam aber sicher kamen wir den wei?en Mauern der Stadt n?her. Doch es schien nur so. Obwohl wir bestimmt noch circa eine Viertelstunde von der Stadt entfernt waren, nahmen wir die Gr??e der Mauern jetzt schon klar war.
"Sag mal Igor wie hoch sind diese Mauern?", fragte ich, eingeschüchtert von der gigantischen Befestigung der Stadt.
"Fünfzig Meter. Is' heftig, oder?"
Jeder von uns konnte keinen Ton herausbringen, w?hrend wir auf die Mauern starrten. Es sah aus, als würden sie sich bis in die Wolken erstrecken und stellten damit einen unüberwindbaren Schild dar. Obwohl es erst Nachmittag war hatte ich dennoch das Gefühl, dass die Sonne untergehen würde. Ein langer und breiter Schatten breitete sich vor uns aus und wurde von Minute zu Minute l?nger. Nur Igor ging unbeeindruckt und mit einer Melodie pfeifend vor uns weiter, in Richtung der steinernen Tore.
W?hrend wir n?her kamen, konnten wir uns auch wieder fassen und langsam immer deutlicher die Sch?nheit der Stadt genie?en.
"Wow", h?rte man Jean beeindruckt sagen.
"Ja, es ist wirklich erstaunlich. Und das haben alles die Zwerge erbaut?", fragte Luna erstaunt.
"Ganz genau. Und zwar vor mehr als siebenhundertfünfzig Jahren. Diese Stadt hat viele Kriege und Naturkatastrophen überlebt und dabei fast keine Sch?den erlitten", gab Igor als Antwort.
Letzteres lie? die Flamme meiner Neugier wie eine Stichflamme hochgehen.
"Wei?t du zuf?llig warum?", fragte ich ihn augenblicklich.
Er schüttelte den Kopf leicht entt?uscht.
Die Flamme in meiner Brust verschlischte fast augenblicklich wieder.
"Leider nicht. Ich würde auch zu gerne wissen, wie sowas sein kann."
Damit durchschritten wir den Torbogen, der hoch genug war, dass ein Waldtroll aus Argentas durchgehen k?nnte. Er war das Letzte, was uns von Hearthhaven trennte.
Auf der anderen Seite erwartete uns ein Anblick, der um ein Vielfaches beeindruckender war, als die Mauern der Stadt. In der Mitte stand ein Schloss auf einer Erh?hung, das somit von fast jedem Punkt der Stadt aus sichtbar war. Es war prunkvoll und aus wei?em Stein und Gold erbaut. Rund um den Hügel ringten sich belebte Stra?en und Geb?ude. Wir selber fanden uns zu aller erst in einem Viertel wieder, dass scheinbar der Hauptpunkt des Handels dieser Stadt war.
"Sag mal Igor, wie ist Hearthhaven eigentlich aufgebaut?", fragte ich Igor, woraufhin er zu einem Schild ging, das direkt in der Mitte des Platzes stand.
"Schaut her. Wir sind gerade im Handelsviertel. Hier werdet ihr mit Sicherheit fast alles finden, was ihr sucht. Falls es jedoch nicht hier ist, solltet ihr mal in das linke Viertel gehen. Das wird nen Viertel für Varis sein, denn darin werdet ihr jegliche Sachen finden, die man als Zauberer braucht. In dem rechten Viertel ist unsere Unterkunft und damit auch das Viertel der Handwerker. Dort steht n?mlich das Gasthaus 'zur verrückten Henriette'."
Mein Herz setzte für einen Schlag aus, als ich den Namen des Gasthofes h?rte. Ich wusste, dass diese Unterkunft mir noch lange im Kopf bleiben wird. Mir erschien wieder die Frau und ein Gefühl der L?hmung kam in mir auf. Tausende von Fragen, die ich nicht beantworten konnte schossen wie Pfeile in mein Ged?chtnis. Doch zum Glück redete Igor direkt weiter.
"Und im letzten Viertel findet ihr noch sowas wie einen Friedhof und au?erdem einen üppigen und wunderbar grünen Park. Das ist nen Platz wo ihr entspannen k?nnt und wo ihr zur Ruhe kommen k?nnt, falls irgendwie doch alles zu viel wird."
Ich schaute mich um. Und stockte.
Ist sie das?, fragte ich mich, als ich eine vermummte Gestalt sah, die flink zwischen den Menschen Mengen hin und her huschte. Und zudem lief sie zum rechten Viertel.
"Varis, ist alles in Ordnung?", fragte Luna mich besorgt.
"Du bist unglaublich ruhig."
"Nein, alles gut. Ich glaube nur das ich 'sie' gesehen habe. Aber es kann auch sein, dass ich es mir nur eingebildet habe", antwortete ich ihr leicht unsicher.
"Also, wollen wir?", fragte Igor uns und wir nickten als Best?tigung. So begaben wir uns also jeder in seine Richtung. Leo und Luna wollten etwas im Handelsviertel schauen, Jean ging mit mir und Igor in das Handwerksviertel, um sich nach einer portablen Werkstatt oder ?hnlichem zu erkundigen. So gingen wir also zu dem Platz, an dem ich hoffte, dass sich meine Fragen beantworten würden.
Nachdem Igor unsere Zimmer bezahlt hatte, machte auch er sich auf den Weg, um die Stadt etwas zu erkunden.
"Mal schauen, ob die L?den und ihre Besitzer immer noch die sind, die sie früher waren", meinte er mit einem breiten Grinsen.
So sa? ich da also an einem Tisch, eine dampfende und wohlriechende hei?e Schokolade vor mir. Der Geruch erfüllte mich mit einer inneren W?rme, gemischt mit dem Gefühl der Geborgenheit.
Ich lehnte mich zurück, als ich pl?tzlich aus meinen Gedanken gerissen wurde.
"Da bist du also", h?rte ich eine Stimme in mein Ohr flüstern.
"Du willst nicht wissen wie lange ich gewartet habe. Der Zwerg hat aber auch wirklich lange gebraucht um zu bezahlen."
Ich drehte mich um und erblickte das Augenpaar der Person, die mir den gesamten letzten Tag riesige Sorgen bereitet hat.