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Der erste Tag in Calisteo: Das Herz des neutralen Stadtteils

  Raffael nahm einen Ring hervor und drehte ihn. Als der Stein kurz aufleuchtete, ging er los. Die Luft war frisch und kalt. Der sp?te Herbst setzte ein. Ein sonderbares Empfinden entfaltete sich in ihm, denn er war erst gestern in einem Gebiet, welches sich so unertr?glich warm und nass angefühlt hatte, dass er das Gefühl hatte, es w?re Sommer gewesen.

  Es herrschte relativer Waffenstillstand zwischen den Provinzen, aber das bedeutete nicht, dass er nicht bei Gelegenheit doch angegriffen werden k?nnte. Vor allem, wenn er allein unterwegs war. Innerhalb der Provinzen gab es vereinzelnde Banden, welche sich nicht an die neuen Regeln halten wollten. Teilweise waren es noch Anh?nger der alten Herrscher, welche sich als rechtm??ige Erben der Macht sahen. Es gab immer wieder Situationen, welche am schwachen Waffenstillstand zerrten. Bisher haben Raffael und Gilgian es jedoch geschafft, nicht in einen offenen Kampf zu schlittern.

  Das war teilweise Tatinne und ihrer Macht zu verdanken. Und den ganzen Menschen, die sich so sehr darum bemühten, die Ordnung und die Sicherheit wiederherzustellen.

  Er schlug den alten, verhassten Weg zum neutralen Stadtteil ein. Er ging ihn beinahe jeden Morgen, wenn er seine Schule aufsuchte oder wenn Tatinne meinte, sie mal wieder einbestellen zu müssen. Als w?ren die Provinzherrscher ihre Untergebenen und nicht gleichberechtigte Parteien auf Augenh?he. Raffael hatte schon immer unterschwellig das Gefühl gehabt, dass sie auf eine subtile und vorsichtige Art und Weise ihnen zu verstehen gab, dass sie weit über ihnen stand. Sie hat aber nie etwas verlauten lassen, um sie darauf festnageln zu k?nnen.

  Nachdem er vor einem Jahr die Macht übernommen hatte, hatte er diesen protzigen Weg gehasst. Zun?chst, weil es sich immer noch anfühlte, wie Nexims Stra?e, die er vor der Machtübernahme immer leidig eingeschlagen hatte. Jede Kurve und jeder Stein des Pflasterweges erinnerte ihn nur zu gut an das Gefühl der Machtlosigkeit. Er hasste es auch, dass Scarlett jeden Tag diesen Weg gehen musste. Für sie müsste es noch schlimmer sein, als für ihn.

  Zum anderen, weil er es hasste, dass Eldan ihn dazu gedr?ngt hatte, die letzten Schuljahre fertig zu machen. Lieber h?tte Raffael die Zeit damit verbracht, sich von Eldan das Notwendige beibringen zu lassen, um schnell die Rolle ausfüllen zu k?nnen, in die er sich ungewollt eingekleidet hatte. Doch dieser alte Mann hat einfach darauf beharrt. Und weil Raffael seine Meinung sch?tzte, hat er sich dem gefügt. Und obwohl er es noch immer als nicht notwendig ansah, freute er sich dennoch über die kleinen Momente seiner alten Realit?t.

  Es war eine gro?e, sch?ne, wohlhabende und anspruchsvolle Schule. Sie war der Stolz Calisteos. Er war in diese eingetreten, bevor er zum Herrscher wurde und genauso war es bei Elias und Gilgian gewesen. Und noch immer suchten sie alle diesen Ort auf, wenn auch jeder mit einem anderen Ziel.

  Auf seinem Weg zum neutralem Gebiet grü?te er einige Menschen und erkundigte sich nach deren Wohlbefinden. Dank des Ringes merkten sie ihn erst, wenn er das Wort erhob und freuten sich immer, ihn zu sehen. Teilweise waren dies Menschen, die er seit seiner Kindheit kannte. Ein Mann, der ihm immer auf die Schulter schlug und jedes Mal erstaunt von sich gab, wie gro? er geworden war. Weiter vorne gab es eine ?ltere Dame, die ihm und Scarlett früher immer Sü?igkeiten gegeben hat und ihm nun immer mütterlich die Wange t?tschelte. Ihre Kinder waren inzwischen gr??er geworden, aber früher hatte Raffael auf sie aufgepasst und war mit ihnen auf seinen Schultern durch die Stadt gelaufen.

  This tale has been unlawfully lifted from Royal Road. If you spot it on Amazon, please report it.

  Im neutralen Stadtteil dauerte es kaum eine halbe Stunde, bis er bei Tatinnes kleinem, aber beeindruckendem Haus ankam. Diese kleine, viktorianische Villa in Wei?, umgeben von dem wenigen Grün in der dicht besiedelten Stadt, wurde das Herz Calisteos genannt. Raffael lie? sich von dem m?chtigen Aussehen nicht beeindrucken. Trotz der Tatsache, dass sie klein war, war sie unglaublich sch?n. Die Farben zogen sich durch alle Stockwerke und bildeten eine ungew?hnliche Symmetrie aus Braun, Wei? und Schwarz. Insgesamt gab es drei Stockwerke, mit wenigen Zimmern. Rund um das Erdgeschoss ragten mehrere S?ulen empor und zeichneten somit die Veranda. Sie waren mit verschiedenen Wesen verziert, die Raffael nicht alle kannte. Es hatte Jahre gedauert, diese zu mei?eln. Es nervte ihn, denn das Geld, dass damals dort eingeflossen ist, würden sie heute gebrauchen k?nnen.

  Aber das war noch vor Tatinnes Zeit. Und lange vor seiner.

  Calisteos j?hrlichen Stürme hatten dem Haus nichts anhaben k?nnen. Es sah aus, als w?re es gerade erst gefertigt worden und nicht schon vor fast siebzig Jahren, als Tribut an die Stadtgründer. Jedes Bisschen alter Kunst diente dazu, sie zu würdigen. Sicherlich hatten sich diese nicht vorgestellt, dass Calisteo nun aus drei zerstrittenen Provinzen bestehen würde.

  Raffael betrat die Veranda und ging sogleich durch die Tür.

  Die Decke war nicht sonderlich hoch. Wenn er mit ausgestreckter Hand springen würde, k?nnte er sie berühren. Dieses einzelne Zimmer war das gr??te im ganzen Haus. Es war das Empfangszimmer für alle G?ste. Es gab zwei Türen. Die eine führte in einen weiteren Raum, der wesentlich kleiner war und die andere Tür zu einer Marmortreppe, die in die privaten Gem?cher von Tatinne führte. Was im dritten Stockwerk war, konnte Raffael nicht sagen, denn er ist leider noch nie so weit gekommen. Tatinne hatte ihn immer herausgeworfen, als er es versucht hatte.

  Und als Raffael das erste Mal diesen Ort betreten hatte, war er stark beeindruckt gewesen. Heute ist er es noch immer, nur hatte er nicht das starke Bedürfnis wie ein Vollidiot stehenzubleiben und alles zu begaffen. Er musste l?cheln, als er sich daran erinnerte, wie eingeschüchtert er damals von Tatinne und ihrem Schauspiel war.

  Er steuerte die Tür zu der Treppe an und folgte dieser hinauf. Oben kam er in der Küche heraus. Eine hochmoderne Küche, mit allen ben?tigten Elektroger?ten, ein Luxus, den sich bei weitem nicht jeder leisten konnte.

  Das Wei? der Schr?nke harmonierte mit einem Holzstreifen, der sich durch H?nge- und Unterschr?nke zog. Ein schwarzer, langer Tisch stand in der Mitte des Raumes. Alles war sauber, wie von Tatinne erwartet. Und diesmal gab es keine im Raum verteilten Bilder, die er sich anschauen konnte.

  Raffael legte den Kopf schief. Eigentlich h?tte sie ihn erwarten müssen, schlie?lich hatte sie die Gabe der Vorhersehung. Er seufzte und blickte in das Wohnzimmer. Ein weiterer, geschmackvoll eingerichteter Raum ohne jegliche pers?nlichen Gegenst?nde, welche Einblick in ihr Leben geben k?nnten.

  Trotz der Tatsache, dass sein Haus zwei Stockwerke mehr hatte und mindestens dreimal so gro? war wie ihres, beneidete er Tatinne um ihr Zuhause. Es geh?rte ihr. Seines geh?rt Nexim. Das würde es immer tun. Raffael mochte es dort nicht sonderlich, aber es weiterhin als Mittelpunkt der zweiten Provinz zu behalten hatte viele Vorteile gehabt, also hatte er sich dem gefügt.

  Er seufzte erneut und ging zurück in die Küche, wo er sich auf einen Tisch setzte. Anscheinend war sie nicht da. Entweder sie hatte ihn nicht erwartet oder sie wollte ihn schmoren lassen. Die zweite M?glichkeit war am wahrscheinlichsten. Er hatte sich beim letzten Treffen wahrscheinlich zu neugierig gezeigt.

  Raffael sah sich in der Küche um. Vielleicht sollte er sich einen Kr?utertee machen, solange sie weg war. Aber er wusste nicht, wo er die Sachen dazu finden sollte. Dieser Raum hatte verdammt viele Schr?nke und Schubladen. Hunger hatte er keinen, weswegen er den fünf mal drei Meter gro?en Kühlschrank gar nicht erst beachtete. Wozu brauchte eine einzelne Frau überhaupt so einen? Er seufzte und blickte zu der Tür, die ins dritte Stockwerk führte. Grinsend überlegte er sich, ob er etwas schnüffeln sollte und somit nochmal eine Grenze übertreten sollte. Es war zwar unh?flich, aber die alte Frau h?tte es besser wissen sollen, als ihn allein in ihrer kleinen Villa zu lassen.

  Er war gerade dabei aufzustehen, als er feststellte, dass ihn etwas aus dem Fenstersims beobachtete. Er drehte den Kopf und blickte in schwarze Augen mit kreuzf?rmigen wei?en Pupillen.

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