Etienne fuhr sich mit der freien Hand über die Haare, spürte das Durcheinander auf ihrem Kopf, wollte aber nicht daran ziehen und es gl?tten. Noch immer tat ihr der Hinterkopf weh und sie hatte Angst, an den Haaren in der N?he daran zu ziehen. Als sie h?rte, wie die Tür sich ?ffnete, drehte sie sich nach dieser um und es war Raffael, welcher mit einem neutralen L?cheln eintrat. Sofort spürte sie, wie ihr Gesichtsausdruck sich verdüsterte. Sie konnte es nicht einmal verhindern. Doch noch wichtiger war es ihr, ihre Haare sofort wieder nach hinten zu schieben und die Wunde zu verbergen. Falls diese ihm auffiel, lie? er sich das nicht anmerken.
?Ich sehe, du bist kaum vorangekommen. So als kleine Nebeninformation, wir hatten deutlich mehr drau?en zu erledigen und sind fertig geworden.“
?Ihr habt wahrscheinlich alles einfach nur in dieses Zimmer gestopft“, erwiderte sie.
?Haben wir nicht“, sagte er, ?Was meinst du, was es uns an Arbeit gekostet hat, wieder Ordnung in dein Chaos zu bringen?“
?Ist…“, Metas leise, leicht zittrige Stimme nahm jegliche Aufmerksamkeit auf sich. Das brachte sie zum Stottern, doch Etienne beobachtete zum ersten Mal erstaunt, wie sie leicht durchatmete und etwas lauter, wenn auch noch immer z?gerlich weitersprach, ?Ist es um diese Uhrzeit wirklich das… das wichtige Thema? Wer… wo mehr zu tun hat?“
Etienne schielte vorsichtig wieder zu Raffael. Sein L?cheln war ihm im Gesicht gefroren. Für einen Moment starrte er Meta an, dann ging sein Blick in die Leere. Etienne umklammerte fester das Stück Papier in ihrer Hand. Es fühlte sich rau unter ihrer Hand an, die zerknüllten Ecken stachen ihr in die Handfl?che. Aber nichts konnte sie vor dem Warnen, was scheinbar kommen solle. Es fühlte sich an, als würde Raffael mit sich hadern, bis seine Augen wieder klar wurden und er erneut sein leichtes, neutrales L?cheln aufsetzte und ihr Herz vor Stress zu pochen anfing.
?Du hast recht, definitiv nicht das, weshalb ich hier bin und worüber ich mich unterhalten will.“
?Ich…“, Meta z?gerte, sah vom einen zum anderen und sprach dann weiter, ?Ich kann ja gerne rausgehen.“
?Nein, nein, bleib bitte hier“, sagte Raffael schnell und setzte sich auf den kleinen Tisch, welcher von noch mehr Papier bedeckt war. Es knirschte leicht und Etienne wünschte sich, es würde unter seinem Gewicht nachgeben.
?Wieso?“, fragte Meta verwirrt.
?Weil ich etwas mit dir zu besprechen habe. Etienne kann ja zuh?ren, sie wird das sicher interessant finden.“
Der Djinn an ihrer Schulter rührte sich und wachte auf. Mit einem Blick bedachte er die Situation, sie spürte, wie sein Kopf sich dabei bewegte und seine sanften kleinen Haare ihre Wange kitzelten.
?Soll ich ihn zum Schweigen bringen?“, fragte er sie und Etienne spürte bei diesen Worten den kalten Schwei? ausbrechen. Leicht schüttelte sie den Kopf, wusste aber sonst nicht, wie sie Raffael davon abhalten konnte, das zu tun, was auch immer er vorhatte. Dass er dabei Meta ansprach, gefiel ihr überhaupt nicht.
?Also, wie dir aufgefallen ist, fehlt uns jemand für das Klavier.“
Eine Handbewegung Richtung Etienne lie? übelkeit in ihr hochsteigen. Ihre Schulter schmerzte erneut.
?Ich werde nicht spielen“, sagte sie sofort, aber Raffaels Stimme übert?nte ihre.
?Aber diese Person, welche laut Tatinne, dafür geeignet w?re, weigerte sich, diese Aufgabe anzunehmen.“
?Ich…“ Meta schien verwirrt und Etienne war es auch. Er ging wirklich den Weg, dass er Meta nutzen wollte, um sie zu überzeugen. Einen anderen Menschen in ihren Streit einbeziehen. Mit all den Dingen, welche sie in den n?chsten Stunden noch erwartet hatte, geh?rt das nicht dazu. Sie hat es ihm nicht zugetraut.
?Ich bin mir nicht sicher, wie ich dir dabei helfen kann. Au?erdem hat Etienne nein gesagt.“
?Das hat sie. Wer aber so viel Schaden anrichtet und daran beteiligt ist, die Arbeit von vielen Menschen zunichtezumachen, sollte die Verantwortung für sein Tun übernehmen und aus seiner Komfortzone austreten. Also, ich m?chte, dass du mir dabei hilfst, sie zu überzeugen.“
?Ich glaube nicht, dass ich das kann“, sagte Meta kleinlaut, ihre grauen Augen huschten zwischen ihnen hin und her.
Raffael gab ein verstehendes Ger?usch von sich. ?Die Sache ist folgende. Ich werde nicht zulassen, dass einer der wenigen Menschen, welcher in meiner Provinz seine Gesundheit, Familie und Freiheit hergegeben hat, um die Menschen und den Frieden der Stadt am Leben zu erhalten, seiner Enkeltochter dabei zusieht, wie ihr Traum zugrunde geht. Wenn ich dabei zusehen muss, wie es ihnen passiert, dann bin ich bereit, ein paar andere Tr?ume mitgehen zu lassen. Ich habe Gilgian begleitet, um dir und diesem Biest hier auszuhelfen, als ihr euch leichtsinnig in Gefahr gebracht habt. Ich habe nichts von euch verlangt. Aber Gilgian schuldet mir etwas dafür, und ich habe die Grenze dessen erreicht, wie nett ich sein will. Ich werde Gilgian sagen, dass er seine Provinz aufgeben und die Stadt verlassen soll.“
?Das hat er dir niemals zugesagt“, warf Etienne ein.
?Klar, finde heraus, ob ich lüge. Es gibt aber nur diese eine Chance und keine zweite.“
Etienne wollte lachen, bis ihr auffiel, dass Raffael noch immer zu Meta sah, sie keines Blickes würdigte. Etienne sah ebenfalls zu ihr, als ihr klar wurde, dass, wenn sie ihm glaubte, es egal war, ob Etienne ihn durchschaute. Metas Lippe zitterte, die Augen waren gro?, in ihnen stand Angst, Verwirrung und Unglaube. Meta sah aus, als würde sie jeden Moment in Tr?nen ausbrechen.
?Deine ganze Existenz ist an diese Stadt geknüpft. Deine Erinnerungen, deine Schuld. Wenn du es aush?ltst, kannst du gerne mit ihm gehen. Alleine wirst du hier aber nicht überleben k?nnen.“
Wütend wirbelte sie wieder zu ihm herum, umklammerte das Papier so fest, dass ihre Hand wehtat.
?Was glaubst du eigentlich, was du dir hier erlaubst?“, fragte sie leise, versuchte die Wut zu b?ndigen, die in ihr aufstieg.
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Er ignorierte sie weiterhin. Etienne presste die Lippen zusammen. Sie hatte Angst, sich umzudrehen und Meta wieder anzusehen. Die Angst, zu verlieren, die übelkeit bei dem Gedanken an die Tasten und die Wut über sich selbst, ihn schon wieder untersch?tzt zu haben, standen dem Gefühl entgegen, Meta zeigen zu wollen, dass sie sich auf sie verlassen konnte. Sie hatte ihr das erst kurz zuvor noch zugesichert.
Nach einem Moment, in welchem sie hoffte, Raffael würde sie wieder beachten und ihr die M?glichkeit geben, den Streit wieder zwischen ihnen beide zu lenken, gab sie auf und sah mit einem klopfenden Herzen zu Meta. Etienne würde sie in allem unterstützen, was sie sich vornehmen würde, wenn sie Raffael absagen würde. Wenn sie ihm jedoch zusagen würde…
Die Sorge nahm ihr die Luft zum Atmen weg. Meta sah auf den Boden, ihre H?nde umklammerten dieses vereinsamte Stuhlbein genauso fest, wie Etienne das Papier in ihrer Hand. Dann sah sie hoch zu Etienne, die Augen ger?tet und die Antwort war nur zu deutlich und Etienne wollte sie nicht ausgesprochen h?ren. Mit neuer Wut warf sie das Papier auf Raffael, welcher es abwehrte und sie ver?rgert ansah.
?Benimm dich“, sagte er genervt.
?Herzlichen Glückwunsch“, sagte sie, warf ihre ganze Geh?ssigkeit in ihre Stimme, ?Scheint, als w?re der ehrenhafte Raffael doch dazu in der Lage, zu verdorbenen Mitteln zu greifen.“
?Ist das ein Ja?“, fragte er und sie konnte etwas wie Hoffnung oder Erleichterung oder sonst was für ein positives Gefühl in seinen Augen sehen, welches ihr zustand und sie heute nicht empfinden würde.
?Offensichtlich“, sagte sie genervt, war nicht in der Lage, ein eindeutigeres Wort zu nehmen, und bahnte sich den Weg frei zur Tür.
?Was glaubst du, wo du hingehst?“, h?rte sie einen Versuch, sie aufzuhalten, gesprochen mit einer leicht gebrochenen Stimme, welche ihr zu verstehen gab, dass es ihm eigentlich egal war.
?Geh brennen, Raffael“, rief sie ihm zu und trat den Heimweg an. Sie war so wütend auf sich. Sie konnte Meta nicht in die Augen blicken.
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Meta sah Etienne hinterher, welche die Tür so fest zuwarf, dass gefühlt die Wand erzitterte. Es k?nnte aber auch einfach nur ihr fragiles Inneres sein, welches bei dem Gedanken, die Stadt zu verlassen, in tausend kleine Stücke zu zerspringen drohte.
Meta h?rte dann einen lauten, starken Fluch und sah wieder zu Raffael, welcher schwer seufzend sich die Handballen ins Gesicht drückte und nach hinten auf den Tisch fallen lie?, auf dem er sa?. Es war dieses sonderbare Bild, welches sie aus dem turbulenten Nebel der Gefühle herausholte. Der sonst so perfekte Raffael, welcher immer die Fassung bewahrte, schien diese gerade verloren zu haben.
?Es tut mir leid“, h?rte sie ihn dann sprechen, ?Es tut mir so leid. Ich war furchtbar zu dir und du hast es nicht verdient.“
?Zu wem sagst du das?“, fragte sie leise.
Er richtete sich wieder auf, der Tisch knirschte, blieb aber trotzig stehen, als würde er Raffael in seinem Trotz unterstützen. ?Sicherlich nicht zu ihr. Von all den Dingen, war das mit der Verantwortung ernst gemeint. Sehe dir nur das Zimmer an!“
W?hrend sie ihn so ansah, den Trotz sah, mit welchem er vehement sich verteidigte, spürte sie beinahe schon instinktiv, dass es nicht stimmte.
?Ist es das wert gewesen?“, fragte Meta leise nach.
Sein Ausdruck fiel in sich zusammen. Was auch immer er an Kraft aufgebracht hat, um stur zu sein, es verlie? ihn, genauso wie scheinbar seinen K?rper, welcher in sich sackte. Raffael drückte sich erneut müde die Handballen an die Augen, seufzte tief und frustriert.
?Ich hangle mich den ganzen Tag vom Moment zu Moment und versuche jede Situation irgendwie in den Griff zu bekommen. Nun habe ich gewonnen und es fühlt sich furchtbar an und ich wei? nicht, wie ich das wieder gerade biegen soll. Vor allem dir gegenüber. Es tut mir so leid, ich würde dich niemals dazu zwingen, die Stadt zu verlassen.“
Seine Stimme h?rte sich hart und ersch?pft an. Ein Bild, welches Meta noch nie zuvor gesehen hat.
?Schuldet dir Gilgian wirklich etwas?“, fragte sie unvermittelt leise. Raffael, genauso müde und durcheinander zu sehen, wie sie sich fühlte, l?ste in ihr etwas aus, was sie wieder klar denken lie?. Ihre Gedanken kl?rten sich langsam auf. Die Panik wurde schw?cher und Logik setzte wieder ein.
Die Handballen rückten etwas zur Seite und er sah sie aus einem grimmigen, mit sich hadernden Blick an, eher er seufzend die H?nde sinken lie? und zugab. ?Ja, aber das, was ich genannt habe, ist nicht Teil davon. Genau genommen, habe ich es bereits eingel?st, sonst w?re er vorhin auch schon weg.“
?Oh“, hauchte Meta. Tr?nen schossen ihr in die Augen und sie senkte den Kopf, versuchte den Schmerz vor ihm zu verbergen, aber es brach aus ihr heraus. ?So ein Mist. Ich wei? es doch eigentlich, dass er das nicht einfach so hergeben würde. Ich habe dir einfach geglaubt.“
?Tut mir leid“, h?rte sie seine müde Stimme erneut sagen. Es h?rte sich wirklich so an, als würde er es ernst meinen. Seine Entschuldigung war ihr aber nicht so wichtig wie die Erkenntnis, dass sie an Gilgian gezweifelt hat. Sie hat ihm nicht zugetraut, mit Raffael mitzuhalten und das schlechte Gewissen vorhin die überhand gewinnen lassen. Weil sie ganz genau wusste, dass Gilgian sie niemals in Stich gelassen h?tte, selbst wenn sie sich freiwillig in eine gef?hrliche Situation begeben h?tte. Raffael geh?rte einer anderen Provinz an. Es war nett von ihm, sich zu entschuldigen.
Meta blickte wieder zu ihm. Seine Lippen waren zusammengepresst und er sah zur Seite. Auf einen Schlag sah sie wieder den alten Klassenkameraden, welcher, kurz bevor er Herrscher wurde, mindestens einmal genauso ausgesehen hatte. Mit Schuldbewusstsein, Sorge und etwas anderem, was sie damals nicht verstanden hatte.
?Willst du dich wirklich mit Etienne vertragen?“, fragte sie ihn. überrascht sah er wieder zu ihr, bedachte sie prüfend und runzelte dann die Stirn, ?Mich mit ihr vertragen? Ich glaube eher, sie wird mich morgen mit weiteren Dingen bewerfen, eher es dazu kommt.“
?Wenn du dich vertragen willst, dann musst du mit ihr auf Augenh?he sprechen.“
?Das tue ich“, erwiderte er beinahe beleidigt und Meta musste l?cheln. Sie legte das Stuhlbein zur Seite. Sicherlich würde sie morgen in der Frühe das Ganze hier erledigen k?nnen. Sie würde früher kommen, damit Etienne morgen keinen ?rger über die unerledigten Aufgaben bekam.
Meta suchte nach einem Weg, die Worte in ihrem Kopf vorsichtig zu formulieren, fragte sich, ob es ihr zustand, sich hier einzumischen. W?hrend sie darüber nachdachte, beobachtete sie Raffael dabei, wie sein trotzig erhobenes Kinn sich senkte und anstelle des Trotzes etwas Unkomfortables eintrat. Das gab ihr das Gefühl, nichts mehr sagen zu müssen.
?Ich werde jetzt nach Hause gehen. Ich mache das einfach morgen früh. Das wird erledigt sein, bevor die anderen ankommen, versprochen.“
Meta ging hinaus, warf noch einen Blick auf die sich schlie?ende Tür und auf Raffael, welcher sich hinter dieser im Zimmer auf den Tisch legte und müde seufzte.
Morgen ist noch ein Tag, dachte sie. Eine neue Chance für sie, es besser zu machen, als an diesem. Heute jedoch musste sie Gilgian finden und ihm erz?hlen, was mit dem Jungen Namens Braad passiert war, und ihn darum bitten, ihre Wünsche zu achten. Es gab nie einen Zweifel daran, dass er es tun würde. Sie hatte ihm bisher nur nie die Chance dazu gegeben.