home

search

Schauspiel: Wert

  Am Ende des Ganges stieg Meta die Treppen hinauf. Sie blieb überrascht stehen, als sie Etienne sah und l?chelte dann schwach. Ihre hellen Haare waren über eine H?lfte ihres Gesichtes gek?mmt, sahen ordentlicher aus als am Morgen.

  ?Ah, da bist du ja… Wir sollen gemeinsam oben die…“, sie stolperte über ihre eigenen Worte, atmete kurz durch und beendete den Satz. Etienne h?rte ihn, konnte aber nicht die Worte verstehen, die gesagt wurden. Es war etwas anderes, was ihre Aufmerksamkeit verlangte. Die rote Unterlippe, welche angeschwollen war. Der Ansatz von einer dunklen R?tung, welche unter dem Haar verschwand. Meta war es sichtlich unangenehm. Sie wandte den Blick erst ab und sah Etienne dann doch wieder l?chelnd und auffordernd an: ?Sollen wir losgehen?“

  ?Was ist passiert?“, fragte Etienne und in ihrem Kopf sprangen die Erinnerungen des letzten Tages durch. Das letzte Mal hatte Meta ausgesehen wie immer. Etwas müde, aber ihre Augen haben vom Tatendrang und der Neugierde geleuchtet. Als sie dann anschlie?end mit ihr durch die G?nge gerannt war, darauf bedacht, Braad abzuschmieren, welcher sich wieder in den Regalen der Bibliothek verschanzt und Meta beobachtet hat… Etienne spürte, wie die kalte Wut sich wieder regte. Es ruckelte tief in ihrer Brust. Vergessen waren die Müdigkeit und die Schmerzen.

  ?Wer war das?“, fragte Etienne, eher Meta ihr antworten konnte.

  ?Niemand!“, rief Meta aus, Augen gro? vor Schreck.

  ?Wirklich?“

  ?Etienne bitte“, sagte Meta dann, senkte die Augen auf den Boden und Etienne wusste nicht, was sie dem Schamgefühl erwidern sollte, welches sich auf Metas Gesicht stahl.

  ?Lass uns das nicht zum Thema machen. Wirklich nicht. Alle werden darüber reden. Werden sie sowieso schon. Ich will einfach nur, dass es schnell vorbeigeht und es vergessen. Ja? Lass uns bitte gehen.“

  Etienne nickte nach einem kurzen Z?gern. Sie würde sich Braad sp?ter vornehmen. Nach einem ganzen Tag, nach den ganzen Rangeleien, dem bereits verletzten Stolz und dem ?rger, sah sie es nicht ein, dass einer wie Braad daherkam und sich an den Menschen vergriff, die Etienne in ihrem Schutz sah. Dann entschloss sie sich doch dagegen. Sie hatte Meta zugesichert, nicht ohne ihr Einverst?ndnis zu handeln. Wieso erz?hlt ihr Meta aber nicht davon? Wieso schwieg sie, wenn er zur Verantwortung gezogen werden sollte?

  Die Luft fühlte sich marode an, als Etienne tief durchatmete und Meta bat, vorzugehen und ihr noch einmal zu erkl?ren, was zu tun war. Aufr?umen. Wobei sie nicht das Chaos ihrer annehmen würden, welches Etienne mit Raffaels Hilfe angerichtet hat. Das wurde schon in den letzten Stunden, haupts?chlich von den Mitgliedern der zweiten Provinz und des neutralen Stadtteils, vollbracht. Etienne bereute es nun, Mirtin sich zum Feind gemacht zu haben. Diese h?tte ihr vielleicht dann nicht aufgetragen, hier verbleiben zu müssen. Ihre Gedanken kreisten erneut um die Konstellationen, welche in diesem Haus herrschten, doch kehrten sie immer wieder zu Braad und Meta zurück.

  Sie gingen an dem Saal vorbei und Etienne spürte die Nervosit?t. Keiner kam jedoch heraus, niemand fing sie ab.

  Das Zimmer, in welchem sie gelandet waren, war an Unordnung nicht zu überbieten. Etienne hatte gedacht, dass die Bühne schon schlimm aussah, doch nach Metas Erz?hlung war dies gar nicht mehr der Fall gewesen. Stattdessen wurde alles, von dem die Leute nicht wussten, was damit zu tun war, nach hierhin geworfen. Teilweise kaputte Kleider, von denen Katelin noch nicht g?nzlich sortiert hatte, was gerettet werden konnte und was nicht, Equipment, Bruchstücke des Bühnenbildes und anderer Kram, gestopft in S?cke, von denen Etienne nicht wusste, was es war oder wo es herkam. Es war nun ihre Aufgabe, sich das Ganze anzuschauen und vorzusortieren. Was für eine Zeitverschwendung.

  ?Das wird Stunden dauern“, stellte Etienne fest. Aber das war ihr deutlich lieber, als wieder dort drin zu sein.

  Meta kicherte. ?Keine Sorge, wir machen auch nur so lange, bis der Tag vorbei ist. In ein, zwei Stunden k?nnen wir auch gehen.“

  Etienne trat um ein gro?es Stück Holz herum, welches achtlos im Zimmer lag. Dabei trat sie auf etwas, was unter ihrem Gewicht knirschend nachgab. Ein, zwei Stunden.

  ?Lass es uns folgenderma?en machen“, sagte Meta, ?Wir werden zuerst sortieren. Alles, was nicht mehr zu retten ist, kommt in diese Ecke dorthin. Alles Elektronische behalten wir. Selbst wenn die Sachen nicht mehr zu retten sind, k?nnen wir vielleicht die Metalle zurückgewinnen. Oh, und die Kleidung sammeln wir vorsichtig hier vorne auf dem Tisch. Egal, wie sie aussieht. Katelin hat mich gebeten, alles zu verwahren, sie würde es sp?ter mit Scarletts Hilfe noch mal anschauen. Das werden sie aber morgen machen. Soweit ich wei?, sind sie bald auch auf dem Heimweg.“

  The narrative has been stolen; if detected on Amazon, report the infringement.

  ?Was ist mit Gilgian?“, fragte Etienne. Meta schwieg hierzu. Ein kurzer Blick zu ihr zeigte, dass sie nerv?s die Lippen zusammenpresste und es sogleich wieder mit einem schmerzerfüllten Gesicht lie?. Ihr Haar war etwas zur Seite gerutscht, genug, dass Etienne sich ein Bild machen konnte.

  ?Er ist in der Turnhalle und … er l?sst gerade etwas Wut ab.“

  Wahrscheinlich hat er sie darauf angesprochen und sie hat ihm auch nichts gesagt, schoss es ihr durch den Kopf.

  ?Für jemanden, der Bastian Hartmann und seine Philosophie des gegenseitigen Unterstützens als Vorbild nimmt, bist du wirklich gerne auf dich allein gestellt“, sagte Etienne mit Bedauern im Herzen. Auch wenn es sie nichts anging, tat es unerwartet weh, dass Meta ihre Hilfe nicht in Anspruch nahm. ?Nicht, dass es mich viel angeht. Ich wünsche mir nur, dir zeigen zu k?nnen, dass du dich auf mich verlassen kannst“, sagte sie leise.

  Vielleicht war sie nicht verl?sslich genug? Ihr Bruder hatte aber kein Problem damit, sich auf sie zu verlassen. Es gab noch weitere Menschen, welche ihre Hilfe in Anspruch genommen haben. War es nicht das, was ein Mensch wie Etienne zu tun hatte? Diejenigen schützen, die es selbst nicht konnten? Sie verstand es nicht.

  ?Entschuldige“, flüsterte Meta, ihre Stimme so leise und sanft wie eine kaum wahrnehmbare Bewegung der Luft.

  Etienne sah wieder zu ihr und bereute ihre Worte. Egal, was gerade schieflief, sie sorgte ebenfalls dafür, dass Meta sich verletzt fühlte, und das konnte sie nicht verantworten.

  ?Kein Grund, sich zu entschuldigen. Ich habe nur etwas Schwierigkeiten, es zu verstehen. Das, was ich gelernt habe, ist anders.“

  Ihr Vater hatte ihr sehr deutlich beigebracht, wie viel Wert ungef?hrliche Menschen, wie Meta, besa?en und welche Rolle Etienne hatte, wenn es darum ging, sie zu schützen.

  Meta z?gerte sichtlich. Etienne machte sich daran, die erste Tüte zu ?ffnen und den Inhalt zu betrachten.

  ?Alle reden darüber. Schon immer. Sicherlich sind die H?nseleien in den letzten Monaten wirklich schlimmer geworden. Davor waren es eher nur dumme Worte, aber seit einigen Monaten…“, sie schwieg wieder und Etienne lie? Raum zum Atmen. Sie würde sich freuen, wenn Meta sich ihr mehr anvertrauen würde. Sie konnte Meta wirklich gut leiden.

  ?Wei?t du, am schlimmsten sind immer die Nachwirkungen. Wie darüber geredet und spekuliert wird. Jeder bekommt es mit und am Ende habe ich das Gefühl, dass mein Wert noch mehr sinkt.“

  ?Dein Wert?“, fragte Etienne verwirrt, sah wieder in dieses traurige Gesicht, welches sich nun besch?mt dem Boden zuwendete.

  ?Da, wo ich herkomme, sind Menschen wie du sehr wertvoll. Du bringst Ruhe und Gleichgewicht in das Leben von Menschen wie mir. Bei dir kann ich mich entspannen und durchatmen. Wir k?nnen miteinander sprechen und lachen und uns austauschen. Ist das nicht wertvoll?“

  ?Aber reicht das denn?“, fragte Meta sichtlich verwirrt, ?Ist das nicht das Mindeste?“

  Etienne zuckte grinsend mit den Schultern, ?Du kannst natürlich auch den Weg ins aktivere Gew?sser wagen. Den Grips dafür hast du. Aber wenn du mich fragst, ich wei? deine Gesellschaft sehr zu sch?tzen und wenn dein Mindestens die Hilfe ist, welche du mir bereits gegeben hast, dann wirst du wohl eine Heilige sein, solltest du nur an etwas mehr Macht kommen.“

  Meta err?tete und ein sanftes L?cheln stahl sich auf ihr Gesicht. Das beunruhigte Etienne, denn es fühlte sich an, als würde Meta ihren Wert in ihren Worten suchen, anstatt in sich drin. Woran lag das?

  ?Ich habe nur immer das Gefühl, dass es nicht genug ist“, sagte sie dann, nahm auch eine Tüte in die Hand und sah hinein. Etienne freute sich, sie verlie? sich auf sie, erz?hlte ihr mehr über sich. ?Wenn ich es nur geschafft h?tte, mit ihm vernünftig zu sprechen, dann w?re es sicherlich nicht so ausgegangen.“

  ?Oh, das verstehe ich“, sagte Etienne, ?Ich tendiere auch dazu, bis zum ?u?ersten zu gehen. Aber manchmal muss man die Pause annehmen und vom Besten abweichen. Und generell k?nnen wir die Handlung anderer Menschen nicht kontrollieren. Nur auf sie reagieren.“

  Nun l?chelte Meta wieder nett zu ihr herüber. Sie sagte nichts dazu, schien sich noch unsicher, ob sie ihre Meinung ?ndern würde. Aber Etienne schien es, als würde sie ihre Worte anerkennen und das war ihr genug.

  ?Ich mag es, wenn ich anderen helfen kann. Ich m?chte auch verl?sslich sein.“

  Etienne erwiderte das L?cheln. ?Das bist du bereits, aber auf eine andere Art und Weise, deine eigene. Wir haben alle unseren ganz besonderen Platz und er ist nie wertlos. Au?erdem kannst du darauf z?hlen, dass ich auch auf meine eigene Art und Weise verl?sslich bin. Aber das biete ich nur dir an.“

  Sie kicherte und widmete sich der Tüte. Auch Etienne konnte diesmal l?chelnd hineinschauen. Es fühlte sich gut an, sich in diesem riesigen Geb?ude mit jemandem gut zu verstehen.

Recommended Popular Novels