Die Mittagssonne stand oben am Himmel und das Licht, welches durch die hellgrauen Wolken und schlie?lich durch die Fensterfront des Ganges in den vierten Stock fiel, leuchtete unangenehm in ihr Gesicht. Es war diese unangenehme Art von hellem Licht, welches einen dazu verleitete, die Augen zuzukneifen. Aber es waren keine leuchtenden, warmen Sonnenstrahlen, es war einfach nur unangenehm hell, obwohl das Wetter dunkelgrau war.
Etienne trat vor die Tür am Ende des Ganges, h?rte dumpf eine Stimme dahinter sprechen.
?Catjill?“, fragte sie leise.
?Sie ist da drin“, antwortete er ihr auf ihre unausgesprochene Frage. Ein lautes Lachen von der anderen Seite der Tür best?tigte seine Aussage.
Auf dem Weg zu Meta hatte sich Etienne einige Ideen durch den Kopf gehen lassen. Tats?chlich hat sich der flüchtige Gedanke, welchen sie Raffael an den Kopf geworfen hatte, um ihn schmerzhaft zu treffen, als besonders geeignet herausgestellt. Sie musste sich nur die richtigen Verbündeten suchen. Zumindest auf Zeit. Je nachdem, als was Mirtin sich denn nun herausstellen würde.
?Mach nicht auf dich aufmerksam“, sagte sie warnend an den Djinn und er legte sich um ihre Schultern, sein Schweif hing herunter über ihre linke Seite. Die W?rme, die er ausstrahlte, fühlte sich angenehm an.
Etienne atmete durch und ?ffnete dann die Tür. Ihr wehte frische Luft entgegen, zwei helle Vorh?nge wedelten vor einem ge?ffneten Fenster.
?Oh, Entschuldigung“, sagte sie mit dem dümmsten L?cheln, das sie aufbringen konnte, ?Mir war nicht bewusst, dass hier jemand ist.“
Mirtin strahlte zurück. Ihre himmelblauen Augen wirkten auf einmal jedoch unecht. Sie waren wundersch?n, beinahe schon perfekt. Ihr Instinkt regte sich, warnte sie.
?Etienne du kleiner Sonnenschein. Wie bist du hierhergekommen?“
?Ich habe mich verlaufen. Eigentlich wollte ich nach einer ruhigen Ecke zum Durchatmen suchen und auf einmal wusste ich nicht mehr, wo ich war.“
?Das ist aber sonderbar. Kein Schüler hat sich bisher nach hierhin verirrt.“
Neben ihr sa? Meng. Obwohl ihre Latzhose voller Farbflecken war, behielt sie ein elegantes und anmutiges Auftreten, als w?re sie eine wohlhabende junge Frau einer wohlhabenden Familie. Die Wahrheit lag sicherlich nicht weit entfernt von diesem Bild.
Dann war da die dritte Person im Zimmer. Bianca. Ihre dunkelgrünen Augen sahen sie von oben bis unten, erneut, mit diesem sonderbaren unechten Ausdruck. Es schien nicht so, als h?tte sie eine Maske auf, mit welcher sie versuchte, ihre Gefühle zu verbergen. Stattdessen w?re sie gar nicht erst in der Lage, andere Gefühle zu empfinden. Vielleicht hatte Etienne sie doch zu sehr untersch?tzt? Vielleicht war Bianca schon lange ein Fluchweber, so lange, dass sie mittlerweile auf dem Weg war, eine wahrhaftige Khrra’scha zu werden? Oder war das erst der Anfang ihrer Wandlung? Etienne wurde sich dennoch langsam sicher, dass das Fluchweben hierbei nicht von ahnungslosen Menschen get?tigt wurde.
Und als diese drei Frauen ihr l?chelnd entgegensahen, wusste Etienne sofort, dass sie an einem ganz falschen Ort war. Die Aussage von Mirtin, lie? nichts Gutes vermuten.
?Wieso denn nicht?“, fragte sie, ?Dabei ist der Ausblick durch diese wundersch?ne Fensterfront so atemberaubend.“
Kalter Schwei? sammelte sich an ihrem Rücken, als sich eine Vermutung regte. Dieser Raum h?tte nicht zu finden sein müssen, wahrscheinlich ?hnlich wie Metas Haus. Aber Catjill hatte sie hierhin geführt, weil sie ihn gebeten hatte, sie zu Mirtin zu bringen. Seine Magie hatte sich über die T?uschung hinweggesetzt, sodass sie entgegen einem Zauber direkt hierhin gelaufen war.
?Ah, normalerweise gehen die Meisten woanders hin. Keiner achtet sonderlich auf abgelegene G?nge“, s?uselte Bianca.
?Raffael“, hauchte ihr Djinn ihr ins Ohr und Etienne nahm seine Hilfe, wie ein Rettungsring im stürmischen Wasser, an.
?Es ist dennoch fantastisch, dass ich dich hier sehe. Ich habe geh?rt, Raffael sucht nach dir. Irgendwas über heute Abend und das er es kaum erwarten kann, etwas früher zu gehen. Zu viel Stress beim Projekt, zu wenig Entspannung.“
Bitte, verschwinde, dachte sie mit pochendem Herzen. Bianca reagierte auf Raffael. Sicherlich würde sie den K?der schlucken. Dann w?re es eine Person weniger in diesem Zimmer geben, mit welcher sie sich auseinandersetzen müsste. Eine Bedrohung weniger… fürs erste.
Keine Freude, war in Biancas Gesicht zu vernehmen, aber sie l?chelte breiter, ?Und ich habe mich schon gewundert, wann er zur Einsicht kommt.“
Sie stand auf und richtete ihre Kleidung. Wenn Meng elegant und anmutig aussah, so fühlte sich Bianca an, wie ein fluffiger Blumenkranz. Z?rtlich, bunt und liebevoll. So zumindest ihr ?u?erlicher Eindruck.
?Ich verabschiede mich fürs Erste. Es war sch?n, dich zu sehen, Etienne. Ich hoffe, du fühlst dich wohl, ausgeglichen und ausgeruht.“
Etienne erwiderte ihr L?cheln und sagte nichts weiter dazu. Ihr Herz pochte, als Bianca an ihr vorbeiging und die Tür hinter sich schloss. Auf einen Schlag fühlte sich Etienne noch bedrohter. Wussten Meng und Mirtin, dass Bianca Flüche webte? Nein, das war die falsche Frage. Wer wusste noch alles davon? Dass diese beide es taten, musste au?er Frage stehen. Wie sie hier sa?en und etwas davon erz?hlten, dass dieser Ort nicht aufgesucht werden sollte. Es war offensichtlich, dass sie zusammengeh?rten.
Und wenn sie alle mit Flüchen hantieren?
Wenn sie alle kurz davor standen, Khrra’schas zu werden? Auf einen Schlag fühlte sich Calisteo wie eine Todesfalle an.
?Was machen wir nun mit dir, Liebes?“, fragte Mirtin.
?Ich kann wieder gehen, wenn ihr wollt“, sagte Etienne l?chelnd. Zum Teufel damit, Mirtin hierzubehalten. Lieber würde sie die Bühne mit einem Hammer vernichten und den Saal in Flammen aufgehen lassen, um die Wette zu gewinnen, anstatt vor dieser Frau zu sitzen, welche sehr wahrscheinlich Teil eines Zirkels von Verehrerinnen von Khrra’schas war.
Wie konnte es überhaupt so weit kommen?, schoss es ihr durch den Kopf, mit einem Gedanken an Tatinne. Khra’schas geh?rten mitunter zu den gef?hrlichsten Entit?ten der Neuen Welt. Es gab einen triftigen Grund, wieso sie gnadenlos verfolgt wurden. Wieso war es niemandem der gro?en Familien aufgefallen? Ihr war nicht bewusst, dass Calisteo so wenig Relevanz hatte, als dass keiner auf die natürlichen Ordnungen achten würde. Erst recht nicht Tatinne.
?Ah was“, sagte Mirtin stand auf und zog Etienne an der Hand mit der verletzten Schulter zu der Couch. Es fühlte sich an, als würde sie es mit Absicht machen. Und obwohl Etienne den K?rperkontakt nicht sch?tzte, nutzte sie ihre Unachtsamkeit, streckte ihre Fühler aus und fühlte es. Ganz schwach, noch nicht so fortgeschritten, aber dennoch dunkel und bedrohlich. Mirtin hatte auf jeden Fall Flüche genutzt. Jedoch nicht viele. Bei Weitem nicht so viele wie Bianca. Es war jedoch schwer zu vergleichen.
?Ich will euch beide wirklich nicht st?ren“, sagte Etienne, setzte sich jedoch hin. Sie war nun hier. Wenn es eine M?glichkeit gab dafür zu sorgen, dass sie Meta und Katelin nicht traurig stimmte, indem sie alles zerst?rte, dann sollte sie es wenigstens Versuchen, Mirtin hier zu behalten. Die Zeit nutzen, ihr vielleicht den ein oder anderen K?der zu werfen, um das weitere Vorgehen mit Tatinne abzusprechen. Das Ganze hier wurde auf einmal viel gr??er, als ihre harmlose Suche nach den Steinen von Expulsio.
?Das tust du nicht, Schatz. Ich wollte sowieso schon zu dir und mich etwas mit dir unterhalten. Bist du denn gut an der Schule angekommen?“
Etienne nickte. ?Sehr gut. Alle sind so furchtbar nett zu mir.“
Meng lehnte sich nach vorne und goss sich Tee ein, dessen Geruch durch den sanften Wind zu Etienne getragen wurde. Es roch nach Thymian und Salbei und dazwischen lag ein anderer Geruch. Etwas, was nach der bitteren Schale einer Orange roch.
?Willst du auch etwas?“, fragte Meng, die ersten richtigen Worte, welche sie an Etienne richtete.
Etienne schüttelte den Kopf. Sie musste Tatinne fragen, was das für ein Gebr?u war.
Meng akzeptierte ihre Antwort und trank von ihrer Porzellantasse. Nichts an Mengs Auftreten erm?glichte Etienne auch nur eine Vermutung in irgendeine Richtung. Sie war nett, l?chelte nett, schien aber kein kalt funktionierendes Uhrwerk zu sein, wie es bei Bianca der Fall war. Etienne musste einen Vorwand finden, sie anzufassen. Um wenigstens zu kontrollieren, ob sie auch Zauber an sich trug, welcher ihre innere Magie verbarg.
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?Wann geht es weiter mit dem Stück?“, fragte Etienne Mirtin. Wenn es eines gab, was sie durch die Konfrontation mit Raffael gelernt hatte, dann war es, mit ihren Worten in die Offensive zu gehen, das Gespr?ch zu leiten, ?Vielleicht k?nnten Sie mich zurückbegleiten. Ich bin mit Elias verabredet und ehrlich gesagt habe ich schon befürchtet, dass ich hier weiter herumirre und ihn sitzen lasse.“
?Mit Elias? Ist eure Stunde denn nicht vorbei?“, fragte Mirtin verwirrt.
Etwas in Mengs Augen blitzte auf. ?Ihr wollt euch noch einmal zum Klavierspielen treffen, nicht wahr?“
?Und wieso hast du mir nicht davon erz?hlt?“, fragte Mirtin an sie gewandt.
?Ah, so wichtig war es nicht“, meinte Meng, ?Er hat sich nur dazu entschlossen, diesmal nach der Pause etwas l?nger zu bleiben und ihr das Klavier im Theatersaal zu zeigen.“
Etienne beobachtete angespannt den kurzen Wortwechsel, hoffte, dass sie sich etwas mehr miteinander unterhalten würden, doch schlagartig wanderten Mirtins Augen zu ihr.
?Liebes, willst du wirklich Klavier spielen lernen?“
?Natürlich“, sagte sie l?chelnd, ?Ich kann es sogar noch, wenn auch nicht so gut.“
?Ich habe mir etwas Gedanken darüber gemacht. Und es ist etwas schade, dich die ganze Zeit nur neben ihm als Ersatzdarsteller liegen zu lassen. Ich glaube wirklich, dass du deine Zeit verschwendest. Was h?ltst du davon, wenn wir dir richtig Klavierspielen beibringen?“
?Ah ja? Ich wei? ja nicht“, meinte Etienne, ?Was, wenn ich mich furchtbar anstelle?“
?Ich bitte dich“, warf sie ein.
?Elias meinte, du h?rst gut zu“, sagte Meng.
?Was h?ltst du davon, wenn du uns nach dem Stück besuchen kommst?“, meinte Mirtin und Etienne spürte die G?nsehaut ihren Rücken hinablaufen. ?Wir haben einen gro?en Saal in der Residenz der Levines. Wir nennen sie Igrim oder auch Traum der Meere. Ein gro?es, m?chtiges Geb?ude an den Klippen über unserem geliebten Meer. Das wird wie Urlaub.“
?Meine Tante braucht immer so viel Aufmerksamkeit. Ich würde mich furchtbar fühlen, sie nach der Schule allein zu lassen“, sagte sie ausweichend, ?Aber ich k?nnte Ihnen vielleicht nach der Pause zeigen, was ich kann. Würden Sie mir mit Elias zuh?ren, wenn ich etwas vorspiele?“
Und obwohl ihr übel bei dem Gedanken wurde, schien die Vorstellung auf einmal gar nicht mehr so schlimm zu sein. Sie würde es schaffen, wenn es bedeutete, dass Mirtin blieb und sie hoffentlich bald nicht mehr allein vor diesen beiden Frauen sitzen würde. Was waren schon ihre Gefühle von Ekel, wenn es bedeutete, ein Ziel zu erreichen?
Mirtin sah sie absch?tzend an. Sie antwortete ihr nicht direkt und das lie? die Nervosit?t noch st?rker werden. Etienne hatte keine Ahnung, woran diese Frau dachte.
?Ich glaube nicht, dass wir die Zeit haben, uns mit Gepl?nkel abzugeben, so gerne ich dir zuh?ren würde“, erwiderte sie, ?Du wei?t, heute war der Anfang nicht wirklich erfolgreich.“
?Das ist aber doch nicht Elias’ Problem. Oder eures“, erwiderte sie hartn?ckig.
Mirtin beugte sich zu ihr nach vorne, nahm Etiennes H?nde in die ihren und Etienne unterdrückte den Impuls, sie von sich zu schlagen.
?Liebes, ich würde dir wirklich gerne zuh?ren, wenn du dieses Ger?t spielst. Aber leider muss ich wichtigen Dingen nachgehen.“
?Wie schade“, sagte Etienne, ?Dabei scheint Elias auch so gerne etwas vorzuspielen. Haben Sie ihn schon mal spielen geh?rt?“
In einem Moment von unerwarteter Ehrlichkeit verdrehte Mirtin die Augen und stand auf. Sie strahlte Etienne an und Etienne wunderte sich, ob es ihr überhaupt auffiel, dass ihre Maske gefallen war.
?Elias h?tte etwas deutlich ... Anspruchsvolleres w?hlen k?nnen, als das Klavier zu spielen. Aber er ist ein junger Mann mit einer kleinen Phase, welche bald vergehen wird. Lerne von ihm, solange du noch kannst. Bald wird er zur Einsicht kommen und sich wichtigeren Dingen widmen. So, wie ich das jetzt auch tun muss.“
Etienne blieb sitzen, als diese Frau ihren Mantel herausholte und ihn anzog. Das gl?nzende Fell schien unter dem Tageslicht zu strahlen. Etienne machte keine Anstalt, sie aufzuhalten. Sie würde nicht bleiben. Nicht für Elias, nicht für sie. Für niemandem an dieser Schule. Und sie hatte keine Ahnung, was sie zum Bleiben bringen würde. Also blieb ihr nur der Gedanke, so lange auszuharren, bis Anjelika da war. Ihr war jedoch nicht bewusst, wie sie das bewerkstelligen sollte.
Mirtin trat wieder zu ihr und t?tschelte ihre Wange und Etienne spürte ihre N?gel, welche sie sanft strichen, gefolgt von den kalten Fingern. Hinter ihrem Ohr verweilte der Ringfinger und Etienne spürte ein unangenehmes Kratzen, gefolgt von dem subtilen Brennen, als ihr K?rper sie vor dem Fluch warnte, welcher sich wahrscheinlich unter dem lackierten Nagel verbarg und der sehr kurze Schmerz der aufgerissenen Haut direkt verpuffte.
?Aber wie w?re es damit, Liebes“, sagte Mirtin dann, ?Ich werde heute für einige Minuten nach der Pause vorbeikommen und du kannst mir etwas vorspielen. Leider kann ich nicht lange bleiben. Ich würde aber sehr gerne dir l?nger zuh?ren. Was h?ltst du davon, dass du am Montag nach dem Unterricht bei Elias zu Besuch kommst? Ich würde auch kommen und dann kannst du mir etwas l?nger etwas vorspielen?“
Etienne behielt ihr L?cheln aufrecht, hasste es, wie sie angefasst wurde und dass sie sich nicht sofort gegen den Fluch wehren konnte, welcher sich Zugang zu ihrem K?rper bahnte. Und dann spürte sie Catjill sich an ihrem Hals regen und beruhigte sich. Er würde sie beschützen. Mirtin war noch keine Khrra’scha, sie war ein Mensch. Er schützte sie vor Menschen.
?Ich muss bei meiner Tante nachfragen, welche ebenfalls bald da sein wird. Kann ich dir danach die Antwort geben? Ich bin mir sehr sicher, sie wird zustimmen.“
Ob Mirtin ihre Lüge durchschaute oder nicht, konnte sie nicht sagen. Aber sie hielt nicht viel davon, das konnte sie in ihrem herablassenden Gesichtsausdruck erkennen. Aber sie nickte dennoch. ?In Ordnung. Ich freue mich, deine Tante kennenzulernen. Vielleicht sollten wir sie ebenfalls einladen? überlegs dir.“
Und dann ging sie hinaus. Lie? sie mit Meng zurück. Etienne wollte irgendwohin verschwinden und sich sammeln, sich sofort die Magie auskratzen. Aber sie behielt die Fassung. Einfach sitzen bleiben und aushalten, es würde nicht lange dauern. Nichts war für die Ewigkeit und so auch nicht diese unangenehmen Momente der stetigen Bedrohung.
?Ich habe geh?rt, dass Raffael dir gerade das Leben schwer macht“, sagte Meng und Etienne wunderte sich diesmal nicht, woher sie das wusste. Bianca musste es ihr erz?hlt haben, nachdem Raffael es ihr erz?hlt hat. So lie? sich auch die Frage kl?ren, wer ihre Jacke verflucht hat.
Dennoch blieb ein gro?er Zweifel, weil er so unglücklich darüber schien, dass Bianca Gerüchte über ihn verbreiten würde. Vielleicht wollte er aber auch nicht, dass ausgerechnet sie über seinen Skandal erfuhr, da er eben zu ihr eine besondere Bindung aufwies? Dennoch erkl?rte es sein Verhalten ihr gegenüber im Klassenzimmer nicht.
?Wir haben eine Meinungsverschiedenheit“, antwortete Etienne ihr. Wusste Raffael, mit wem er zusammenarbeitete? Die Art, wie Bianca mit ihm umgegangen ist, gab ihr zu denken. Vielleicht waren sie verbündet auf Zeit, aneinander gebunden durch Abmachungen. Welche waren es? Etienne ausliefern und so seine Menschen schützen?
?Wei?t du, ich sollte nicht zu viel mit dir reden“, sagte Meng dann auf einmal. Alles ?nderte sich bei ihr. Ihre Haltung, ihr Gesicht, alles strahlte eine Aura der Zug?nglichkeit aus. Als würde etwas fallen, was sie mit ebenso viel Mühe aufrechterhalten hatte, wie Etienne ihre Fassung seit sie das Zimmer betreten hatte. Als würde ein Damm brechen.
?Aber ich kann es nicht ertragen, dir dabei zuzusehen, wie du hier von allen herumgeschubst wirst“, führte sie aus, ?Mirtin kann sehr gemein sein. Sie ist entt?uscht von Elias, weil er eine tragende Rolle an Anjelika und Raffael abgegeben hat. Sie mag es nicht, dass dadurch die Mitglieder unserer Provinz den Mitgliedern der Zweiten unterstehen. Sie meint es nicht b?se, aber sie ist etwas unglücklich.“
?Ist das so? H?rt sich für mich so an, als w?re eine Mutter einfach nur entt?uscht, dass ihr Sohn nicht strahlen darf.“
Meng nickte feierlich, ?Sie handelt aus Liebe, nicht aus Missgunst. Davon bin ich fest überzeugt. Und sie kennt seine Mutter wirklich gut. Sie sind gemeinsam aufgewachsen und somit hat Mirtin Elias in den Armen gehalten, da war er noch ganz klein. Sie kümmert sich sehr um sein Wohlergehen. Und nach dem ganzen Debakel mit Raffael ist sie besonders sensibel, was sein Wohlergehen angeht. Verstehst du das?“
Etienne war sich nicht sicher, worauf sie hinaus wollte. Aber es fühlte sich wie eine Warnung an.
?Und ich dachte, ihr w?rt alle befreundet? Du und er und Elias und Bianca?“
Meng nickte langsam, ?Das ist alles eigentlich gar nicht so kompliziert. Raffael hat Elias Unrecht getan. Und Elias hat überreagiert. Bianca und Raffael verstehen sich eigentlich noch am besten, auch wenn sie gerne hier und da etwas zu viel streiten, weil Bianca seinen Umgang mit Elias nicht dulden wollte. Bianca ist gerade sehr wütend auf ihn, aber scheinbar werden sie sich gleich vertragen. Immerhin eine sch?ne Nachricht heute, oder?“
Etienne nickt, wenn auch innerlich nicht zustimmend. Zerstrittene Feinde waren ihr lieber, als befreundete.
?Willst du wirklich keinen Tee?“, fragte Meng.
?Nein, danke“, sagte Etienne.