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Kapitel 22: Der falsche Schatten

  Das Gespr?ch mit der jungen Anführerin Rhea Varne verlief ruhiger, als ich es erwartet hatte. Sie ist gerade einmal dreizehn Jahre alt und bereits an der Spitze ihres Dorfes – ein Schicksal, das sie nicht selbst gew?hlt hat. Ihr Vater, Darian Varne, der frühere Anführer von Velsoth, wurde vor wenigen Tagen leblos in seinem Bett aufgefunden. Da sie sein einziges leibliches Kind ist, fiel die Führung an sie – trotz ihres Alters und entgegen allen Traditionen, die eine Frau an der Spitze nicht vorsehen. Ihr Halbbruder Coren Varne, Sohn ihrer Mutter Ilirys, blieb ohne Anspruch, da er aus der früheren Ehe seiner Mutter entstammt ist. So blieb Rhea als einzige Erbin.

  Nachdem ich w?hrend des Kampfes gegen Rasha Vane das Bewusstsein verlor, flohen die Sualtiere vom Schlachtfeld, bevor sie gefangengenommen werden konnten. Nach unserem Zusammentreffen mit Rhea und ihren Gefolgsleuten, darunter Selric Thorne, der Schattenschild des Thrones, wurden wir in ein Zimmer gebracht. Es ist keine Zelle wie vorher, aber die Wachen vor der Tür erinnern daran, dass wir nicht frei sind.

  Ich trete ans Fenster und blicke hinaus in eine Welt, die nicht gew?hnlich für die Elindine zu sein scheint. Velsoth liegt tief unter der Erde, weit entfernt vom Licht der Sterne und Monde. Doch was sich stattdessen über mir erstreckt, ist ein Farbenspiel, das jeden Himmel übertrifft. Grünes Licht flie?t in tiefes Blau, das sich wiederum in sanftes Violett verliert. Anfangs scheinen die Farben zu verschmelzen, ein ruhiger, tanzender Strom aus Licht. Doch je l?nger ich hinschaue, desto mehr entdecke ich – flüchtige Muster, die sich ver?ndern, feine Wirbel, als würde der Himmel selbst atmen. Es erinnert mich an das Nexari, die Zwischenwelt, deren Sch?nheit mich einst sprachlos machte. Und doch… der Himmel von Velsoth steht ihr in nichts nach. Er ist anders, fremd und doch voller Leben – ein ungreifbares Wunder in der Dunkelheit. Neben dem Nexari ein weiteres Kunstwerk der Natur.

  ?Warum in Rhovan Ardelons Namen sind wir immer noch eingesperrt?“, platzt es aus Mirael heraus. Seit unserer Gefangennahme hat sie kaum ein Wort gesagt, und jetzt, da sie spricht, klingt ihre Stimme ungewohnt in meinen Ohren. Fast fremd. ?Wir haben Rhea doch bewiesen, dass wir keine Feinde sind – oder bilde ich mir das nur ein?“

  Sylas lehnt sich gegen die Wand und mustert sie nachdenklich. ?Sie ist erst seit ein paar Tagen die Anführerin von Velsoth“, sagt er schlie?lich. ?Vielleicht h?lt man uns hier nicht nur gefangen, sondern will uns vor irgendetwas schützen.“

  Ich werfe ihm einen skeptischen Blick zu. Genau wie Mirael kann ich mit seinen Worten nichts anfangen. Warum sollte Rhea Varne uns einsperren, wenn sie wirklich um unsere Sicherheit besorgt w?re? In so einem Fall w?re es doch das Beste, uns einfach aus Velsoth zu schicken!

  ?Uns bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten“, fügt Sylas hinzu. Seine Haltung verr?t, dass ihm diese Situation genauso wenig gef?llt wie uns. Aber er hat recht. Velsoth ist nicht wie die anderen D?rfer von Elindros – wir befinden uns tief unter der Erde, und wer wei? schon, wo sich der Weg an die Oberfl?che befindet? ?Hauptsache, wir bleiben zusammen. überlasst mir das Reden und haltet euch bereit, falls die Lage brenzlig wird.“ Er sieht mir direkt in die Augen. ?Dank dir kann ich jetzt auch das Feuer kontrollieren. Ich werde euch besser beschützen k?nnen.“

  Sylas denkt nur an unseren Schutz. Immer. In dieser Hinsicht ?hnelt er seinem Vater kein bisschen. Zyar Velqorin hat – zumindest in der Zeit, in der ich ihn kennenlernen musste – immer nur sich selbst an erste Stelle gesetzt. Seine Pl?ne waren ihm wichtiger als die Gefühle der Elindine um ihn herum. Ein Teil von mir ist erleichtert, dass wir ihn nun nicht an unserer Seite haben. Und doch kann ich nicht leugnen, dass mich unser n?chstes Zusammentreffen neugierig macht.

  Pl?tzlich ert?nt das leise Klicken eines Schlüssels im Schloss. Wie auf Kommando richten wir alle den Blick auf die Tür.

  Sie wird aufgesto?en. Ein Velsothier tritt ein. Seine schwarze Rüstung ist wie die aller anderen, doch ich spüre sofort, dass es derselbe ist, vor dem ich niederknien musste. Mein Verdacht best?tigt sich, als seine raue Stimme erklingt.

  ?Ihr werdet erwartet.“

  Ohne ein Wort zu verlieren, folgen wir ihm aus dem Raum. Die Dunkelheit, die uns zuvor umgeben hat, ist Dank des Veleis kein Problem mehr. Sylas erkl?rte mir, dass die erste Zelle mit dem Licht versorgt wurde, das in Elindros üblich ist. In Velsoth dagegen ist das eine Seltenheit. Vielleicht war sie sogar der einzige Ort, an dem das Licht von oben stammt.

  Wir wandern durch enge G?nge, einer gleicht dem anderen. Keine Gem?lde, keine Verzierung, nur kahle W?nde. Die Monotonie ist so überw?ltigend, dass ein Fremder hier vermutlich den Verstand verlieren würde. Doch mit der Zeit habe ich das Gefühl, dass meine Fü?e den Weg von selbst finden.

  Dann ?ndert sich etwas. Der Gang endet. Vor uns steht eine Tür – endlich ein Ziel, ein n?chster Schritt.

  Der Velsothier ?ffnet sie und tritt hindurch. Wir folgen ihm hinaus auf eine kurze Brücke, die zwei Teile des Schlosses verbindet.

  Und zum ersten Mal erhasche ich einen Blick auf Velsoth. Die Geb?ude ragen tiefschwarz aus dem Untergrund empor, ihre düstere Fassade verleiht der Stadt einen trostlosen, beinahe erdrückenden Eindruck. In der Ferne erkenne ich einige Bewohner – Velsothier, die keine Rüstung tragen. Also sind es nur die, die der Anführerin dienen, die in diese dunklen Gew?nder gehüllt sind?

  Ein Gedanke schleicht sich in meinen Kopf: Leben sie hier unten, weil sie es müssen? Ist die Oberfl?che für sie unerreichbar?

  In meinem Inneren w?chst eine Unruhe.

  Die Brücke führt uns in den n?chsten Abschnitt des Schlosses. Wieder endlose G?nge, wieder dieselbe Trostlosigkeit. Ich muss an Rhea Varnes Vater denken. Er hat lange über Velsoth geherrscht – was für ein Herrscher muss er gewesen sein, dass dieser Ort so… leer wirkt?

  Aber was erwarte ich? Velsoth liegt unter der Erde, abgeschnitten vom Licht. Ich kann hier keine Lebendigkeit wie in Solnya oder Arenath erwarten.

  In Gedanken versunken bemerke ich kaum, dass wir vor einer Tür zum Stehen kommen. Sie ist gr??er als die anderen – pechschwarz, doch ihr Griff leuchtet in makellosem Wei?.

  Der Velsothier, der mich erst vor Kurzem auf die Knie gezwungen hat, klopft an. Ein lautes Schnipsen ert?nt aus dem Inneren des Raumes, und augenblicklich schwingt die Tür auf. Meine Augen treffen auf jene Elindine, die ich bereits im Thronsaal gesehen habe – die Frau, die mir den Spiegel vor die Nase hielt. Sie steht an der Seite eines Mannes, der mit l?ssig verschr?nkten Beinen auf einem Sofa thront. In seinen H?nden ruht ein dunkler Becher, w?hrend sie ihm aus einem schwarz schimmernden Krug nachschenkt.

  Ist alles an diesem Ort in Schwarz gehüllt?

  Langsam hebt der Mann seinen Blick von dem Becher, seine Augen treffen meine. Die Frau jedoch hat uns bereits von Anfang an wahrgenommen. Ihr Blick wandert über jeden von uns, doch an mir bleibt er h?ngen. Natürlich. Schlie?lich sind wir uns schon zuvor gegenübergestanden.

  Wenn Sylas mit seiner Einsch?tzung über den Ruf der Losniws recht hat, hat sie mich wom?glich mehr gefürchtet, als sie es sich anmerken lie?.

  ?Vespera Entium“, spricht der Fremde meinen Namen, als w?re er sü?er Honig auf seiner Zunge. ?Das wertvolle Gef??. Das zehnte Gef?? des Sonatius Mortaeda.“

  Auch hier also glaubt man, ich sei die Vollendung.

  Er lehnt sich zurück und schnippt erneut mit den Fingern. ?Nyssa, bring unseren G?sten jeweils ein Glas unseres feinsten Kristallblüten-Getr?nkes.“

  ?Ja, mein Gebieter“, antwortet die Frau mit jener Art von Gehorsam, die durch jahrelange Gewohnheit eingeübt wurde. Noch w?hrend seine Stimme nachhallt, senkt sie das Haupt und gleitet lautlos aus unserem Blickfeld.

  Verwirrt runzle ich die Stirn. Doch da Sylas ausdrücklich betont hat, dass er das Sprechen übernehmen will, halte ich mich zurück.

  ?Ich danke Euch für Eure Einladung, …?“ Sylas l?sst das Ende seiner Worte offen, zwingt den Fremden, sich vorzustellen.

  ?Anführer Coren Veyr“, verkündet der Velsothier mit einem Titel, der eigentlich Rhea Varne gebührt.

  Mein Atem stockt. Dieser Name … Er ist ihr Halbbruder!

  ?Ich danke Euch, dass Ihr mein junges Schwesterchen gesprochen habt, w?hrend ich anderweitig besch?ftigt war.“

  ?Ihr seid der Anführer von Velsoth?“ Sylas' Stimme spiegelt seine Ungl?ubigkeit wider, doch er bemüht sich um Fassung. Coren Veyr hebt nur amüsiert die Augenbraue.

  ?Verzeiht meine Reaktion“, fügt Sylas hinzu. ?Aber Eure Schwester stellte sich als Anführerin des Dorfes vor.“

  Coren Veyr lacht. Es ist ein tiefer, raumfüllender Laut, begleitet von einem kopfschüttelnden L?cheln.

  Etwas an ihm l?sst mich nicht los.

  Sein L?cheln wirkt aufgesetzt, seine Haltung zu selbstsicher. Ich wei? nicht, ob ich ihm vertrauen kann. Doch nach achtzehn Jahren im goldenen K?fig, umgeben nur von K?nig, K?nigin, Kronprinz und Bediensteten, habe ich keinerlei Erfahrung darin, Menschen – oder Elindine – einzusch?tzen.

  ?Ich habe meiner Schwester erlaubt, in meiner Abwesenheit Anführerin zu spielen“, erkl?rt er mit einem nachsichtigen Ton. ?Ach, dieses junge M?dchen. Sie trauert noch immer um den Tod unseres Vaters. Und da Selric Thorne an ihrer Seite ist, lasse ich ihr ihren kleinen Spa?.“

  Stolen from its rightful author, this tale is not meant to be on Amazon; report any sightings.

  Sylas bleibt skeptisch. ?Aber warum haben dann die Velsothier bei unserer Festnahme ihren Namen genannt – und nicht Euren?“

  Coren Veyrs L?cheln bleibt bestehen. Doch ich frage mich: Ist er wirklich so gelassen, wie er vorgibt? Oder verbirgt sich unter dieser Maske ein brodelndes Feuer?

  ?Meine kleine Schwester war zugegen. Und ich wollte ihr zartes Herz nicht brechen“, sagt er mit gespieltem Bedauern. ?Der Tod unseres Anführers lastet schwer auf unseren Schultern. Besonders auf meinen. Als neuer Herrscher von Velsoth trage ich eine besondere Verantwortung.“

  Seine Augen ruhen wieder auf mir.

  Sylas merkt es sofort. ?Von welcher Verantwortung sprecht Ihr?“

  ?Das würde ich gerne mit dem zehnten Gef?? besprechen“, erwidert Coren Veyr ruhig. ?M?nner, geleitet unsere G?ste bitte in eines der Nebenzimmer.“

  Sofort spüre ich, wie sich die Atmosph?re im Raum ver?ndert.

  Die Wachen packen Sylas und Mirael. Mirael wagt es nicht, sich zu wehren – doch Sylas befreit sich aus ihren Griffen, seine Züge angespannt vor Zorn.

  ?Ich habe mir geschworen, Vespera zu beschützen“, zischt er. ?Was auch immer Ihr zu sagen habt – ich werde es mitanh?ren.“

  Das L?cheln des Velsothiers erlischt.

  Er neigt leicht den Kopf, betrachtet uns, als w?gen seine Gedanken ab, wie weit er gehen kann. ?Ihr seid im Herzen von Velsoth“, sagt er schlie?lich, und seine Stimme ist nun eine Spur kühler. ?In meinem Schloss, unter meinem Dach. Ich würde mir sehr genau überlegen, welche Worte Ihr w?hlt – und welche Entscheidungen Ihr trefft. Ihr wollt doch nicht, dass Eure hübsche Solniw für Eure Fehler bezahlt, oder?“

  Sylas‘ Blick gleitet zu Mirael. Ihre Augen sind gro? vor Angst. Dann sieht er zurück zu Coren Veyr.

  ?Ihr dürft mir das nicht übelnehmen, Sohn von Zyar Velqorin“, f?hrt der Velsothier fort. ?Euer Name eilt Euch voraus, und ich habe gro?en Respekt vor Eurem Vater. Doch als Anführer von Velsoth habe ich gewisse Pflichten gegenüber meinem Volk.“

  Mit einem kaum merklichen Nicken gibt er seinen M?nnern das Signal.

  Mirael und Sylas werden hinausgeführt. Sylas wehrt sich erneut, aber er ist zahlenm??ig unterlegen. Die Tür f?llt krachend ins Schloss. Ihre Schritte hallen durch die G?nge, bis sie in der Ferne verklingen.

  Ich bin allein mit Coren Veyr.

  Er dreht sich langsam zu mir um. ?Habe ich Euch erschreckt, ehrenwertes Gef???“ Sein charmantes L?cheln kehrt zurück, doch es berührt mich nicht.

  ?Mein Name ist Vespera“, korrigiere ich ihn scharf.

  Für einen Wimpernschlag verblasst sein L?cheln. Doch er f?ngt sich schnell.

  In diesem Moment kehrt die Frau von vorhin zurück. In ihren H?nden tr?gt sie ein Tablett mit vier Gl?sern – keines gleicht dem Becher, aus dem Coren Veyr trinkt. Sein eigenes scheint aus dunklem Holz geschnitzt, oder ist es ein Material, das nur in Elindros existiert?

  Sie stellt das Tablett auf den Tisch und tritt dann lautlos an seine Seite.

  ?Als neuer Anführer von Velsoth ben?tige ich eine Gemahlin“, sagt er unvermittelt.

  Ich zucke nicht einmal zusammen. Ich habe es bereits erwartet. Was sonst sollte ein Mann von mir wollen, der nach Macht strebt?

  ?Die Frauen meines Dorfes entsprechen nicht meinen Erwartungen. Um herrschen zu k?nnen, brauche ich eine m?chtige Elindine an meiner Seite. Eine Losniw mit Eurer St?rke und Bestimmung.“

  Ich w?hle meine Worte mit Bedacht. ?Ich danke Euch für Euer Interesse. Doch ich bin an keiner Eheschlie?ung interessiert. Zumal ich in der Menschenwelt bereits verheiratet wurde.“

  Coren Veyrs Miene verfinstert sich. ?Das ist nicht m?glich!“

  Seine Faust kracht auf die Armlehne.

  Ich beobachte ihn schweigend.

  Was ist das für ein Mann, der erst droht, dann schmeichelt, dann tobt? Und was will er wirklich von mir?

  ?Das ist wirklich nicht n?tig“, antworte ich, doch tief in mir regt sich etwas – ein leises Flüstern, das mich dr?ngt, sein Angebot anzunehmen. Der Wunsch, nicht mehr an Lord Louweris gebunden zu sein. Doch warum sollte Coren Veyr mir diese Nettigkeit erweisen?

  Er will mich nicht aus Gro?zügigkeit. Er will mich, weil ich mit dem Sonatius Mortaeda verbunden bin. In der Menschenwelt war ich ein Niemand. Hier in Elindros bin ich das Gef?? des Urwesens.

  Wann werde ich nur Vespera sein?

  Wann werde ich genug sein?

  Coren Veyr hebt abrupt die Hand, sein Zeigefinger schnellt nach oben. Ein sanftes, doch bestimmtes ?Shh“ formt sich auf seinen Lippen.

  ?Eure Ankunft in Velsoth ist Schicksal“, sagt er mit einer Ruhe, die mir einen Schauer über den Rücken jagt. ?Lange Zeit haben wir Elindine auf das letzte Gef?? des Sonatius Mortaeda gewartet. Wir haben gehofft, dass Ihr diese Welt in eine neue ?ra führen werdet.“

  ?Eine neue ?ra?“

  Sein Blick wandert kurz zu der Frau an seiner Seite. Sie erwidert ihn mit einer Nervosit?t, die ihr gesamtes Wesen durchzieht.

  ?Die Starken und die Schwachen. Die Gewinner und die Verlierer“, f?hrt er fort. ?Seid Ihr es nicht auch leid, Teil einer solchen Welt zu sein? Ich habe geh?rt, dass Ihr in der Menschenwelt aufgewachsen seid.“

  Mein K?rper versteift sich.

  Mein Blick zuckt zu ihm – panisch, alarmiert.

  Er lehnt sich entspannt zurück, ein Schatten von Zufriedenheit in seinen Zügen. ?Ich habe meine Augen und Ohren überall in Elindros“, sagt er mit kaum verhohlener Genugtuung. ?Jene in Solnya berichteten mir von einer gewissen Liora. Sp?ter wurde diese Information korrigiert – und ich erfuhr Euren wahren Namen.“

  Er l?chelt.

  ?Vespera… wie sch?n dieser Name doch klingt. Wisst Ihr, welche Bedeutung er tr?gt?“

  Ich antworte nicht.

  ??Abendzeit‘“, verr?t er mir, als würde er ein kostbares Geheimnis offenbaren. ?Der Abend ist der Vorbote eines neuen Tages – so wie Ihr die Vorbotin einer neuen Zeit seid, Vespera Entium.“

  Mein Herz schl?gt schneller.

  ?So viele Jahrhunderte haben die Gef??e den Sonatius Mortaeda in Schach gehalten.“ Sein Blick wird durchdringend. ?Was wird aus Elindros werden, wenn auch Ihr Euren letzten Atemzug nehmt?“

  Eine Drohung.

  Oder ist es etwas anderes?

  Er verfolgt mich.

  Seit meiner Ankunft in Solnya wusste er von mir – sogar von meinem gef?lschten Namen, den mir Sylas gab, um mich zu schützen.

  Und nun sitzt er mir gegenüber, sieht mich mit diesem sanften L?cheln an.

  Doch ich wei? es besser.

  Ich wei?, wie gef?hrlich er ist.

  Meine Gef?hrten sind nicht hier. Ich bin allein. Wie kann ich diese Situation überstehen, ohne jemanden von uns ins Verderben zu stürzen?

  Ich atme langsam aus.

  ?Warum wollt Ihr ausgerechnet mich?“ Ich muss ihn hinhalten. Zeit gewinnen. ?Ja, ich bin das Gef?? des Sonatius Mortaeda. Aber ich habe keinen Zugriff auf meine Gabe als Losniw, und die Kr?fte des Urwesens sind mir ebenfalls nicht erschienen. Was also macht mich so besonders?“

  Coren Veyrs Augen funkeln.

  ?Eure Kr?fte schlafen lediglich“, sagt er mit einer überzeugung, die mich fr?steln l?sst.

  Dann beugt er sich leicht vor.

  ?Wie ich bereits erw?hnte – meine Schatten sind überall in Elindros. Ich wei?, was in Euch schlummert. Und mit mir an Eurer Seite werdet Ihr die Kraft des Urwesens erwecken. Ihr werdet die st?rkste Losniw aller Zeiten werden.“

  Es ist ein verlockendes Angebot. Zu verlockend. Ganz gleich, wie sehr ich mich dagegen wehre, die Wahrheit bleibt: Ich werde allein nicht weit kommen. Das Astralis ist zwar noch in meinem Besitz, doch ohne die Unterstützung eines starken Elindine werde ich kaum im Nexari überleben. Sylas k?nnte mich ein weiteres Mal begleiten, und ich bin mir sicher, dass er es, ohne zu z?gern tun würde. Aber unser letzter Besuch dort verlief nur glimpflich, weil Zyar an unserer Seite war – weil er uns vor der drohenden Katastrophe bewahrt hat.

  Ich hole tief Luft. ?Darf ich Euch eine Frage stellen?“ Meine Stimme klingt gefasst, doch mein Herz schl?gt schneller als mir lieb ist. Ohne Sylas an meiner Seite mit diesem Fremden zu sprechen, fühlt sich an, als würde ich am Rand eines Abgrunds balancieren. Aber wie lange kann ich mich noch hinter anderen verstecken? Irgendwann muss ich lernen, für mich selbst einzustehen.

  Coren Veyr neigt den Kopf. ?Ihr dürft mich fragen, was immer Euch auf dem Herzen liegt. Scheut Euch nicht, meine Teuerste.“

  Seine Worte sind honigsü? – und doch hinterlassen sie in mir ein bitteres Gefühl. Es ist dasselbe beklemmende Unbehagen, das mich auch bei Lord Louweris beschlich. Ist das ein Warnsignal? Oder werde ich mich in Zukunft bei jedem Mann so fühlen, der mir Schmeicheleien ins Ohr flüstert?

  Ich zwinge mich zur Ruhe. ?Ihr seid der Halbbruder von Rhea“, sage ich, sachlich und ohne Umschweife. ?Ich wei?, dass der frühere Anführer, Darian Varne, nicht Euer Vater war. Ihr stammt von einem anderen Mann ab. Warum hat man Euch zum Anführer gemacht, obwohl die rechtm??ige Erbin noch lebt?“

  Seine Miene verh?rtet sich für den Bruchteil einer Sekunde, doch dann setzt er sein L?cheln wieder auf – als w?re nichts gewesen.

  ?Und doch bin ich der einzige m?nnliche Nachkomme“, erkl?rt er mit einer Spur von Missgunst in der Stimme. ?In Velsoth hat noch nie eine Frau regiert – geschweige denn ein kleines Kind. Was glaubt Ihr, was aus meinem Volk werden würde, wenn meine Schwester das Sagen h?tte? Sollte man unsere besten Krieger durch Puppen ersetzen, um den Anführer zu beschützen? Ich gestatte Euch Fragen, aber nicht solche t?richten.“

  Ich lasse mich nicht beirren. ?Warum sollte eine Frau nicht regieren dürfen?“ Meine Stirn legt sich in Falten. ?Die D?rfer Syvralen und Arenath wurden beide von Frauen gegründet. Sylas erz?hlte mir, dass die Gründerinnen beide au?erordentlich m?chtig waren.“

  ?Und doch gibt es nur wenige D?rfer, die Frauen als Gründerinnen vorweisen k?nnen“, entgegnet er, ohne wirklich auf meine Frage einzugehen. ?Die Lichtkinder sind fast ausschlie?lich m?nnlich. Die wenigen weiblichen von ihnen wurden mit den K?nigen von Thalvaren verm?hlt. Ihr habt einen bewundernswerten Stolz auf Euer Geschlecht, aber Ihr müsst verstehen: Wir M?nner werden Euch immer überlegen sein.“

  Seine Worte lassen meinen Zorn aufflammen. Immer dieselbe Leier. In der Menschenwelt rechtfertigen M?nner ihre angebliche überlegenheit mit ihrer k?rperlichen St?rke. Aber hier, in Elindros? Hier besitzen alle Elindine besondere F?higkeiten! Was l?sst ihn glauben, dass eine Solniw, die das Wasser beherrscht, schw?cher sein soll als ein Solniw, der dasselbe tut? Sicher, einige Elemente haben natürliche Vor- und Nachteile – Luft gegen Feuer, Wasser gegen Erde – aber das hat nichts mit überlegenheit zu tun.

  ?Wie ich sehe, hat Euch meine Aussage ver?rgert“, bemerkt Coren Veyr belustigt. Ich muss meine Emotionen zu offen gezeigt haben. Ein Fehler. Ich muss lernen, meine Wut besser zu kontrollieren. ?Dabei müsstet Ihr es doch aus der Menschenwelt nicht anders kennen. Warum seid Ihr so überrascht?“

  Ich atme tief durch. Entweder glaubt er wirklich an diesen Unsinn, oder er will mich absichtlich provozieren.

  ?Ich danke Euch für Euer gro?zügiges Angebot“, sage ich ruhig und beziehe mich auf seine Absicht, meine Ehe mit Lord Louweris aufzul?sen. ?Aber ich habe meine Gef?hrten. Mit ihnen werde ich mein Ziel erreichen. Und wenn es sein muss, werde ich allein den Weg in die Menschenwelt finden und meine offenen Rechnungen begleichen.“

  ?Und wie wollt Ihr das tun, wenn Euer wertvolles Astralis Euch dabei nicht helfen kann?“

  Ich erstarre. Instinktiv greife ich in meine Jackentasche – und mein Herz setzt einen Schlag aus.

  Leere.

  Panik schnürt mir die Kehle zu.

  Coren Veyr h?lt das Astralis zwischen seinen Fingern, dreht die schimmernde Kugel spielerisch im Licht. Sein triumphierendes Grinsen schnürt mir die Kehle zu.

  ?Ich wusste, dass Ihr es bei Euch tragt“, sagt er mit einem amüsierten Funkeln in den Augen. ?Ich habe viel über dieses Relikt gelesen. So viele Wesen stehen an der Seite des Gef??es, um es auf seiner Reise zu begleiten – und doch reicht eine winzige Kugel, um durch das Nexari zu schreiten? Faszinierend.“

  Er beobachtet mich genau, seine Stimme wird weicher – und zugleich schwerer.

  ?Ihr habt die Wahl, zehntes Gef??.“

  Mir ist übel. Diese Worte tragen ein Gewicht, das ich nicht ignorieren kann.

  ?Ihr werdet all meine Befehle befolgen“, beginnt er und legt seine Bedingungen offen. ?Ihr werdet mich ins Nexari begleiten, und dort verspreche ich, Euch zu beschützen. In der Menschenwelt werde ich Eure Ehe annullieren. Und wenn wir nach Elindros zurückkehren…“ Er l?chelt – ein L?cheln, das mir eiskalte Schauer über den Rücken jagt. ?… dann werdet Ihr meine Gemahlin und helft mir, meine Pl?ne in die Tat umzusetzen.“

  Er lehnt sich vor, sein Blick brennt sich in meinen.

  ?Solltet Ihr Euch entscheiden, mir nicht zu gehorchen, dann werden Eure Gef?hrten dafür bü?en.“

  Stille.

  Die Welt um mich herum scheint stillzustehen, w?hrend sein Angebot – oder vielmehr seine Drohung – in meinen Gedanken widerhallt.

  ?Nun?“ Seine Stimme ist ein leises Flüstern, doch von bedrückender Schwere. ?Wie lautet Eure Antwort?“

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