Coren Veyr sieht mich eindringlich an, als h?tte er mir gro?zügig seine Bedingungen dargelegt. Doch das hier ist kein Angebot – es ist eine Forderung. Ich bekomme nichts, au?er der vagen Sicherheit, dass meine Gef?hrten unversehrt bleiben. Ein schlechter Handel, doch mir bleibt keine Wahl. Stumm nicke ich.
Ein triumphierendes L?cheln huscht über sein Gesicht, als h?tte er gerade ein besonders raffiniertes Spiel für sich entschieden. Dann legt er seine Hand auf meine. Sofort schreit alles in mir danach, diesen Kontakt zu beenden, doch ich zwinge mich zur Regungslosigkeit. Wieder einmal bin ich in der Gewalt eines Mannes, der eine Waffe gegen mich in der Hand h?lt – wenn auch keine aus Stahl.
?Dann brechen wir noch heute Abend ins Nexari auf“, verkündet er mit selbstgef?lliger Zuversicht und klatscht in die H?nde. ?Nyssa, du wirst uns begleiten.“
überrascht blinzle ich. ?Warum sollte sie das?“ Mein Blick wandert zu der Frau an seiner Seite.
Sie ist eine Velsothier, das ist offensichtlich. Doch sie geh?rt nicht zu den Kriegern oder Beratern – sie ist nur eine Bedienstete dieser Familie.
Coren Veyr hebt sp?ttisch eine Braue. ?Wer soll mir meine Wünsche erfüllen, wenn nicht sie?“ Sein Blick bleibt auf Nyssa ruhen, kalt und herablassend.
Mein Magen zieht sich zusammen. Er setzt sie dieser Gefahr aus, nur weil er nicht auf seinen gewohnten Komfort verzichten will? Welche niedertr?chtigen Aufgaben muss diese Frau für ihn erledigen? In ihren Augen glimmt pure Angst.
?Ja, mein Gebieter!“, presst sie hervor. Doch in ihrer Stimme liegt ein kaum h?rbares Zittern.
Coren Veyr scheint es entweder nicht zu bemerken oder es ist ihm gleichgültig. Zufrieden nickt er. ?Nun gut. Weil ich ein so gro?zügiger Elindine bin, werde ich dir noch ein paar Stunden mit deinen Gef?hrten gew?hren. Du kannst ihnen gerne erz?hlen, was ich vorhabe – es wird ohnehin nichts ?ndern. Schlie?lich bin ich der Anführer, und Velsoth liegt mir zu Fü?en.“
Er klatscht erneut in die H?nde, und zwei Velsothier in ihren schwarzen Rüstungen treten lautlos in den Raum. Sie verharren vor mir – regungslos, lauernd, wie Schatten, die auf ein Zeichen warten.
?Bringt unseren Ehrengast zu den anderen beiden“, befiehlt er.
Die Wachen rühren sich sofort. Anders als Mirael und Sylas zerren sie mich nicht brutal mit sich, sondern lassen mir mein eigenes Tempo. W?hrend ich den Raum verlasse, f?llt mein Blick auf Nyssa. Sie steht noch immer da, starr, als h?tte man ihr den Boden unter den Fü?en weggezogen.
Die arme Frau.
Da ich nun zu Sylas und Mirael geführt werde, wei? ich, dass ich nicht erneut minutenlang durch endlose G?nge schlendern muss. Bald bin ich bei meinen Gef?hrten – bei denen, denen ich meine Sorgen anvertrauen kann. Mirael wirkt anders. Es ist subtil, aber da. Vielleicht hasst sie mich nicht mehr so sehr wie zuvor. Seit unserer Begegnung mit Rasha Vane hat sich etwas zwischen uns ver?ndert. Ich wei? nicht, was es ist, aber der Gedanke daran erleichtert mich.
Egal, wie sehr mich Miraels Worte und Handlungen zuvor erzürnt haben – ich will keinen Krieg, nicht mit ihr, nicht mit irgendwem. Ich will Frieden in Elindros. Nicht nur für das Land, sondern für mich selbst. All dieser Hass, all dieses Leid... Wenn ich eine M?glichkeit habe, das zu beenden, dann werde ich sie ergreifen. Egal, was es kostet. Selbst wenn es bedeutet, mich auf eine Reise ins Nexari mit Coren Veyr einzulassen.
?Vespera!“ Sylas’ Stimme hallt durch den Raum, Erleichterung mischt sich in seine Züge, als er mich auf Verletzungen überprüft. Mirael steht an seiner Seite, ihre Augen mustern mich mit einer Miene, die weder offen noch abweisend ist. Ein Kompromiss aus dem, was sie sein will, und dem, was sie fühlt.
?Bei Rhovan Ardelon! Ich bin verrückt geworden vor Sorge! Was wollte dieser Kerl von dir?“
Der Raum, in dem wir uns befinden, ist gehobener als der letzte – aber nicht weniger bedrückend. Zu meiner linken und geradeaus führen gro?e Türen in andere Zimmer. Ein Badezimmer? Ein Schlafgemach? Ich wei? es nicht. Die M?bel hier scheinen sorgf?ltig platziert: Zwei Sofas, eines in einem sanften Beige, das andere in dunklem Smaragdgrün. Ein Detail, das mich irritiert. Endlich einmal etwas, das nicht schwarz ist.
Zur rechten Seite ist die Wand fast vollst?ndig aus Glas – eine Aneinanderreihung schmaler Fenster, die den Blick in die entgegengesetzte Richtung von Velsoth freigeben. Von hier aus kann ich es sehen: Wir befinden uns tats?chlich im Herzen von Velsoth. Coren Veyr hat mich nicht angelogen.
Doch etwas stimmt nicht.
W?hrend Sylas weiter auf eine Antwort wartet, verliere ich mich in der Au?enwelt. Meine Sinne warnen mich, noch bevor es passiert. Dann – ein L?uten. Erst im Norden, dann im Osten, dann im Süden, schlie?lich im Westen. Die Dunkelheit vibriert unter dem Klang der Glocken, schwer und drohend.
Und dann – Licht.
Pl?tzlich erstrahlt das Dorf in unz?hligen Farben, bricht aus seinem trüben, bedrückenden Schleier aus. Laternen blühen an jeder Ecke auf, Lichterketten spannen sich über schmale Gassen, verborgene Lichtquellen tauchen Mauern in sanftes Glühen. Schatten tanzen auf dem Pflaster, als h?tte das Dorf seine Maske fallen gelassen – oder sich gerade eine neue aufgesetzt.
?W-Was…?“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, als ich überfordert blinzele.
Sylas’ Blick ist undurchdringlich, als er weiterspricht. ?Mein Vater hatte mir bereits vom Fortschritt in Velsoth berichtet“, beginnt er und enthüllt eine weitere Wahrheit, die Zyar ihm anvertraut hat. ?Die Velsothier ziehen ihre Energie aus einer Quelle, die mit den überresten von Eris Dain, dem Gründer, verbunden ist.“
?Seine… überreste?!“ Entsetzen durchzuckt mich, und Mirael h?lt unwillkürlich den Atem an.
?Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt“, korrigiert sich Sylas schnell. ?Ich kann dir nichts mit Gewissheit sagen, aber angeblich ist das Grab des Gründers mit einem Apparat verbunden, das nur die Velsothier kennen. Ich kenne nicht einmal dessen Namen. Was ich jedoch wei?: Ohne diese Energiequelle w?re Velsoth in ewige Dunkelheit gehüllt. Ob dies das Veleis beeinflusst, kann ich nicht sagen. Mein Vater war einst für einen Auftrag in diesem Dorf und hat mir einiges darüber erz?hlt. Doch was davon wahr ist…“ Er zuckt die Schultern. ?Vielleicht haben sie ihm nicht vertraut und ihn belogen.“
?Ist es gef?hrlich?“, fragt Mirael und tritt n?her.
Sylas schüttelt den Kopf. Für einen Moment sagen wir nichts, w?hrend unser Blick in die atemberaubende Nacht hinausgleitet – jene ewige, sternenlose Schw?rze, die Velsoth umhüllt wie ein undurchdringlicher Schleier.
Dann richtet sich Sylas’ Aufmerksamkeit wieder auf mich. ?Nun erz?hl, Vespera“, sagt er, diesmal sanfter, aber nicht weniger dr?ngend. Züge von Sorge zeichnen sich auf seinem Gesicht ab. ?Warum wollte Coren Veyr mit dir sprechen?“
?Er will mich zur Frau nehmen.“ Die Worte verlassen meine Lippen, bevor ich sie zurückhalten kann.
Stille.
Mirael runzelt ungl?ubig die Stirn, w?hrend Sylas‘ Gesicht sich zu einem Ausdruck puren Widerwillens verzieht.
?Er meint, dass er als Anführer von Velsoth eine m?chtige Elindine an seiner Seite braucht und das Gef?? des Sonatius Mortaeda ihm nur gelegen kommt.“
?Dieser Kerl glaubt doch nicht ernsthaft, dass wir ihm diesen Unsinn abnehmen!“, faucht Sylas, sein Zorn mehr auf den Velsothier als auf mich gerichtet. Seine Kiefermuskeln spannen sich an. ?Er ist nicht der Anführer von Velsoth! Vespera, was hast du geantwortet?“
Ich halte seinem Blick stand. ?Dass ich bereits verheiratet wurde“, gestehe ich. ?Mit Lord Louweris.“
Eisige Stille folgt meinen Worten.
?Dann will er dich sicherlich mit in die Menschenwelt nehmen, um diese Bindung zu l?sen.“ Sylas‘ Tonfall ist düster.
Ich nicke langsam und mustere ihn misstrauisch. ?Woher wei?t du das?“
?In Elindros kann eine Frau nur dann erneut verm?hlt werden, wenn ihre Seele ungebunden ist“, erkl?rt Sylas angespannt. ?Damit er dich zur Frau nehmen kann, muss Elowirn Louweris die Ehe freiwillig annullieren oder…“ Seine Stimme wird rau. ?… mit seinem Leben bezahlen.“
Ich presse die Lippen aufeinander.
?Was genau ist es, das dich an diesem Vorhaben so st?rt?“ frage ich schlie?lich. ?Ich für meinen Teil will diese Bindung nicht mehr!“
?Ich verstehe dich, Vespera“, erwidert Sylas leise, doch sein Blick bleibt unerbittlich. ?Aber die Zwischenwelt ist kein Ort für dich. Was wirst du tun, wenn die Nyrelis-Schwestern dich aufspüren? Sie haben bereits klargemacht, dass sie das Gef?? des Sonatius Mortaeda an ihren Auftraggeber übergeben müssen. Glaubst du wirklich, Coren Veyr wird dich beschützen?“ Er lacht bitter. ?Er wird sich das Astralis nehmen und dich zurücklassen.“
Er hat recht. Ich wei? es. Und trotzdem…
Trotzdem will ich es tun. Trotz der Gefahr, trotz des Wissens, dass Coren Veyr mich im Stich lassen würde. Ich will es wagen. Seit meiner Ankunft in Elindros kreisen meine Gedanken unaufh?rlich um meine Vergangenheit in Velarion. Um den K?nig, der mich glauben lie?, dass mein Vater mich niemals geliebt hat. Um den Lord, der mich für sich beanspruchen wollte. Siebzehn Jahre habe ich in Unwissenheit, in falscher Sicherheit gelebt. Und nun soll ich mir die Gelegenheit entgehen lassen, Antworten zu finden?
Ich atme tief durch. ?Sylas, ich wei? deine Sorge, um mich zu sch?tzen“, sage ich schlie?lich. Meine H?nde zittern, meine Knie fühlen sich schwach an. ?Aber ich muss das tun.“
Er ist angespannt. ?Ich habe dir gegenüber ein Versprechen—“
?Du kannst mich nicht für immer beschützen!“ Ich unterbreche ihn, bevor er den Blutpakt ansprechen kann.
Für einen Moment regt sich kein Laut zwischen uns.
Dann sehe ich es – dieses kleine, kaum merkliche Zucken in seinem Gesicht, als würde etwas in ihm zerbrechen. Seine Schultern sinken. Sein Blick gleitet an mir vorbei, als k?nne er mich nicht mehr ansehen.
Etwas in seinen Zügen ver?ndert sich – eine Mischung aus Hilflosigkeit, Wut und Schmerz. Sein Kiefer spannt sich an, seine Faust ballt sich, als müsse er sich zwingen, nicht gegen eine unsichtbare Wand zu schlagen. Und dann, als h?tte er endlich begriffen, dass es keinen Sinn hat, sich gegen das Unvermeidliche zu wehren, l?st er die Spannung mit einem schweren Atemzug.
?Das ist Wahnsinn…“ Seine Stimme ist nur noch ein Flüstern.
Er will protestieren, will mich aufhalten – aber in meinen Augen liest er, dass es zwecklos ist. Ich habe meine Entscheidung getroffen.
Und das Wissen, dass er mich diesmal nicht aufhalten kann, brennt in seinem Blick wie unausgesprochener Schmerz.
Die Stunden verstreichen, und doch kann ich die Zeit nicht fassen. In Velsoth gibt es keinen Tag, keine Sonne, die den Lauf der Stunden markiert. Es ist immer Nacht, eine schwere, drückende Dunkelheit, die die Zeit dehnt und ungreifbar macht. Es fühlt sich an, als w?re ich schon seit einer Ewigkeit in dieser Stille gefangen. Sylas und Mirael haben kein Wort mit mir gewechselt, und die Last der Stille lastet schwer auf mir. Für einen Moment finde ich mich in meiner Vergangenheit wieder, zu jener Zeit, als ich in einem einsamen Zimmer lebte, von der Welt abgeschnitten. Diese Stille, so vertraut und doch erdrückend, zieht mich immer wieder in dieses verfluchte Leben zurück. Der Drang, etwas zu sagen, ein einziges Wort, überw?ltigt mich fast. Doch dann tritt Sylas an meine Seite, bricht das Schweigen und schenkt mir einen Augenblick der Erl?sung.
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?Dieser Blutpakt bindet mich an dich bis zu meinem Tod“, sagt er, und obwohl er versucht, ruhig zu bleiben, spüre ich die Anspannung in seiner Stimme. ?Wie kannst du nur von mir erwarten, dass ich dich dieser Gefahr aussetze?“
Ich drehe meinen Blick zu Mirael, die uns wortlos beobachtet. ?Du hast nicht nur eine Verantwortung mir gegenüber“, entgegne ich ruhig, obwohl die Worte schwer auf meinem Herzen liegen. Ich wei?, wie tief die Bindung zwischen den beiden ist, auch wenn ich sie nicht ganz verstehe. Aber sie ist real, und ich kann nicht erwarten, dass er mich über Mirael stellt. ?Konzentriere dich bitte darauf, sie zu beschützen. Vielleicht...“ Ich z?gere. Die n?chsten Worte, die über meine Lippen kommen, drücken sich wie Steine aus meiner Kehle. ?Vielleicht solltet ihr zurück nach Solnya reisen.“
Sylas runzelt die Stirn, ein tiefes Misstrauen in seinen Augen. ?Vespera!“, sagt er mit scharfer Zunge.
?Es war von Anfang an eine dumme Idee, in euer Dorf einzutreten“, sage ich mit zitternder Stimme, w?hrend ich mir auf die Lippen bei?e, um die Tr?nen zurückzuhalten. ?Ich h?tte wissen müssen, dass meine blo?e Anwesenheit nur Unheil anrichten kann. W?re ich dir und deinem Vater nie gefolgt, w?re Gisela vielleicht noch am Leben. W?ren all diese Kinder, die ich unter dem Schutt gesehen habe, noch hier. Ich… ich habe genug Chaos hinterlassen. Also lass mich einfach gehen.“
Sylas will etwas erwidern, sich mir widersetzten, mich überreden, doch zu welchem Preis? Wie lange soll ich mich noch von anderen herumkommandieren lassen?
Da ?ffnet sich pl?tzlich die Tür, und Coren Veyr tritt ein. Er wird von vier Velsothier begleitet, die wie Schatten in ihren schwarzen Rüstungen wirken. Der Mann selbst hat die H?nde hinter dem Rücken verschr?nkt, ein selbstsicheres L?cheln auf den Lippen, als er mich ansieht. ?Nun, meine Werte… wollen wir?“, fragt er, und seine Stimme klingt eher wie ein Befehl. Er wei?, dass ich Sylas und Mirael nicht über das wahre Ausma? dieser Entscheidung informiert habe.
Bevor ich etwas erwidern kann, zieht mich Sylas abrupt zurück. Er stellt sich vor mich, die Wut in ihm ist beinahe greifbar. ?Was gibt Euch das Recht, über das Leben von Vespera zu entscheiden?“, zischt er, seine Stimme schneidet wie ein Messer durch die Luft. ?Sie kann doch wohl selbst entscheiden, wen sie heiraten m?chte! Wir danken für das Angebot, aber sind nicht interessiert. Wir würden es vorziehen, wenn Ihr uns nun aus Velsoth hinausbegleitet, damit wir unsere Reise fortsetzen k?nnen.“
Coren Veyr schnalzt mit der Zunge und sieht Sylas von oben bis unten missbilligend an. ?Ist es deine Herkunft, die dich glauben l?sst, du k?nntest so mit dem Anführer von Velsoth sprechen? Ja, dein Vater ist der gro?e Legat der Elemente, Zyar Velqorin. Doch du? Du kannst nicht einmal alle Elemente beherrschen“, sagt er und tritt einen Schritt n?her. ?Hier herrsche ich. Vespera wird ihr Versprechen halten und zu meiner Frau werden.“
Er schnipst mit den Fingern, und sofort treten die M?nner in den schwarzen Rüstungen vor, die uns in die Enge treiben wollen. Sylas streckt den Arm vor mir aus, um ein klares Zeichen zu setzen. Er m?chte mich nicht kampflos aufgeben.
?Ach, zeigen wir nun unser wahres Gesicht?“, zischelt Sylas, seine Wut ist nicht mehr zu verbergen. Auch er hat die formellen Worte abgelegt. ?Glaubst du wirklich, dass ich Vespera einfach in deine H?nde lege?“
Die M?nner von Coren Veyr treten in Angriffsposition. Mirael steht etwas hinter uns, und ich bin direkt hinter Sylas. Unerwartet flammt am Ende seines ausgestreckten Arms eine Flamme auf, die seine Hand zur G?nze umhüllt. Doch es ist nicht nur das Feuer, das ich spüre – die Wasserpeitsche, die er zuvor gegen Rasha Vane eingesetzt hat, umschlingt seine andere Faust. Aber woher nimmt er das Wasser? Woher das Feuer, hier, in dieser trostlosen, dunklen Stadt? Zum Nutzen seiner Kr?fte ben?tigt er doch eine Quelle!
?Sieh an“, sagt Coren Veyr und klatscht amüsiert in die H?nde. ?Der junge Solniw kann nun also auch das Feuer nutzen? Meine Schatten waren wohl etwas nachl?ssig.“
?Für meinen Geschmack redest du zu viel“, zischt Sylas. ?Wenn du Vespera oder Mirael ein Haar krümmen willst, musst du zuerst an mir vorbei.“
Coren Veyr verengt die Augen. Beide machen einen Schritt nach vorne, ihre Muskeln spannen sich an, doch bevor sie kollidieren, stoppt etwas sie mitten in der Bewegung. Ihre K?rper verharren, als h?tte die Zeit selbst angehalten. Die Schattenkraft der Velsothier ist wirklich beeindruckend. Beide blicken sich mit geweiteten Augen an, doch bevor einer von ihnen etwas sagen kann, erscheint eine Gestalt im Türrahmen.
Rhea Varne.
Die M?nner, die Coren Veyr begleitet haben, treten zur Seite, um ihr den Weg freizumachen. Diese Riesen, gefürchtet und kampferprobt, scheinen sie zu respektieren – oder gar zu fürchten. Ist es, weil sie die Tochter des ehemaligen Anführers ist? Oder, weil sie die wahre Anführerin ist? Warum sollte Coren Veyr lügen und behaupten, dass seine Halbschwester nur ein Kind sei, das sich gerne als Anführerin aufspielt, w?hrend in Wahrheit sie es ist, die über Velsoth herrscht – und nicht er?
?Was ist hier los?“, zischt Rhea, ihre Stimme ein scharfes Messer durch die gespannte Luft. ?Warum sind meine G?ste ohne mein Einverst?ndnis in ein anderes Zimmer gebracht worden? Gro?er Bruder, erkl?re dich.“
Der Velsothier, der eben noch voller Selbstsicherheit geprotzt hat, wirkt pl?tzlich kleiner. Die Souver?nit?t br?ckelt, und vor ihr steht nun kein stolzer Krieger mehr, sondern ein Mann, der sich einem M?dchen gegenüber rechtfertigen muss. Er geht auf Rhea zu, hockt sich vor ihr nieder und setzt ein mildes L?cheln auf.
?Meine sü?e Rhea“, sagt er, seine Hand hebt sich, um sanft über ihren Haaransatz zu streichen.
Das M?dchen weicht zurück, entzieht sich seiner Berührung. ?Anführerin Rhea Varne“, korrigiert sie scharf. ?Auch wenn du mein gro?er Bruder bist, darf ich nicht vor meinen Leuten wie ein Kind behandelt werden.“ Ihr Blick gleitet zu Sylas, der Coren Veyr noch immer voller Zorn mustert. ?Junger Herr Velqorin, mein Bruder scheint mir nicht antworten zu wollen. M?glicherweise k?nnt Ihr mir den Grund für Euren Aufenthalt an diesem Ort nennen?“
?Verzeiht, dass wir in Eurem Dorf solch einen Aufruhr verursacht haben“, sagt Sylas augenblicklich. Seine Stimme ist ruhig, berechnend. ?Euer Halbbruder Anführer Coren Veyr wollte uns in diesen Raum bringen, damit wir einen angenehmeren Aufenthalt haben, da einer Eurer Soldaten Vespera ein wenig ver?ngstigt hat.“
Sylas lügt. Was führt er im Schilde?
?Anführer Coren Veyr?“ Rhea zieht eine Braue hoch und blickt ihren Halbbruder lange an. Ihr Blick ist nicht zornig, nicht einmal entt?uscht – er ist einfach nur müde. ?Hast du unseren G?sten etwa erz?hlt, dass du der Anführer von Velsoth bist?“ Ein leises Seufzen verl?sst ihre Lippen, w?hrend sie den Kopf schüttelt. ?Coren, du bist mein gro?er Bruder. Wir beide entspringen der gleichen Mutter. Doch musst du verstehen, dass Vater mich für die Nachfolge auserw?hlt hat, weil ich sein Blut bin.“
?Ich habe doch nicht…“ Coren Veyr lacht nerv?s, als wolle er ihre Worte fortwischen wie Staub auf einer Tischplatte.
Rhea hebt eine Hand und unterbricht ihn. ?Ich wei?, dass es dir schwerf?llt, mich in dieser Position zu sehen. Ein M?dchen und dazu noch ein Kind, w?hrend du ein erwachsener Mann bist. Aber Vater hat entschieden, und ich respektiere seine Entscheidung. Das solltest du auch tun.“
Weitere Velsothier in schwarzen Rüstungen betreten den Raum, ihre schweren Schritte hallen dumpf auf dem Steinboden. Ihnen folgt Selric Thorne, der Schattenschild des Thrones. Sein Blick ruht kurz auf mir – absch?tzend, nachdenklich –, bevor er sich Coren Veyr zuwendet.
?Junger Herr, dürfte ich Euch kurz sprechen?“ Seine Stimme ist ruhig, fast sanft, doch in seinen dunklen Augen liegt eine tiefe, unergründliche Sch?rfe.
Coren Veyr z?gert nur einen Augenblick, dann nickt er und verl?sst als Erster den Raum.
?Er soll anschlie?end zu mir ins Arbeitszimmer kommen“, befiehlt Rhea, ohne auch nur einen Blick in die Richtung ihres Bruders zu werfen.
Selric Thorne verbeugt sich knapp und tritt hinaus. Zurück bleibt Stille – und die durchdringende Pr?senz von Rhea Varne, deren Augen nun auf uns ruhen.
Sylas wirkt etwas entspannter, doch seine Schultern bleiben angespannt, als k?nne er die Schwere der Situation noch immer nicht ganz abschütteln.
?Ich entschuldige mich für das Verhalten meines Bruders“, sagt Rhea schlie?lich und ihre Stimme ist fest, aber nicht kalt. ?Nachdem mein Vater vor wenigen Tagen von uns gegangen ist, übergab Berater Selric Thorne meiner Mutter sein versiegeltes Testament. Coren ging selbstverst?ndlich davon aus, dass er der rechtm??ige Erbe sei. Ihr k?nnt euch vorstellen, wie sehr es ihn erzürnte, als mein Name darin stand – und er nicht einmal in Betracht gezogen wurde.“
Ein Stich durchzuckt mein Herz.
Darian Varne, der frühere Anführer, hat Coren Veyr wom?glich nie als seinen Sohn angesehen. Und wenn Rhea erst dreizehn Jahre alt ist, dann bedeutet das, dass ihre Eltern mindestens so lange verheiratet waren. Und Coren? Ein Mann von vielleicht drei?ig Jahren … Er muss einen Gro?teil seines Lebens an der Seite des alten Anführers verbracht haben.
Er ist mir ?hnlicher, als ich mir eingestehen will.
Auch ich hatte einen jüngeren Bruder, den mein ?Vater“ immer bevorzugte. Einen Bruder, dessen blo?es Geschlecht genügte, um mir den Anspruch auf den Thron zu verwehren. Letztendlich war es ohnehin sinnlos – denn K?nig Mukuta Valdyris war nie mein Vater gewesen.
Ich verstehe Coren Veyrs Frustration nur zu gut.
?Er ist immer noch mein Bruder, und ich liebe ihn sehr“, sagt Rhea leise. Zum ersten Mal br?ckelt ihre kühle Fassade, und für einen Moment sehe ich nicht die Anführerin, sondern ein junges M?dchen, das sich in einer Welt behaupten muss, die ihr kaum Zeit zum Kindsein lie?. ?Aber ich muss den Willen meines Vaters respektieren. Und Coren muss begreifen, dass es nicht immer ein Mann sein muss, der an der Macht steht, damit ein Reich funktioniert.“
Ihre Worte sind weise – viel weiser, als man es von einem so jungen Kind erwarten würde.
Rhea gibt schlie?lich Anweisung, uns zurück in den Raum zu bringen, aus dem Coren Veyrs M?nner uns geholt hatten. Mein Puls ist noch immer nicht zur Ruhe gekommen – die Erinnerung an den beinahe eskalierten Kampf brennt hei? in meinen Adern.
H?tten wir gegen diese Krieger eine Chance gehabt? Sylas vielleicht, aber Coren Veyrs M?nner … Sie kontrollieren die Schatten selbst, ihre Bewegungen verschmelzen mit ihnen, unsichtbar für das blo?e Auge. Und selbst mit Veleis, das uns in Velsoth die Sicht erlaubt – gegen diese Schlingen aus Dunkelheit w?ren wir machtlos gewesen.
Sylas schnaubt leise und schüttelt den Kopf.
?Ich kann nicht glauben, dass du beinahe mit diesem Hochstapler das Nexari betreten h?ttest“, murmelt er, mehr zu sich selbst als zu mir. Dann hebt er den Blick. ?Wie h?tte ich es mir verzeihen k?nnen, wenn dir etwas zugesto?en w?re?“
Ich gebe ihm keine Antwort. Es hat keinen Sinn.
Er will nicht verstehen, dass Miraels Leben ihm wichtiger sein sollte als meines.
Er bemerkt mein Schweigen, bohrt aber nicht weiter nach. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sein Blick kurz zu Mirael wandert – und sein Gesicht verh?rtet sich. Er versteht.
Pl?tzlich wird die Tür aufgeschlossen.
Ein Velsothier in schwarzer Rüstung tritt ein. Kein Gesicht ist zu erkennen, keine Regung, die sein Geschlecht oder seine Absichten verraten k?nnte. Doch die Stimme …
Ich erkenne ihn sofort.
?Anführerin Rhea Varne erwartet Vespera Entium in ihrem Arbeitszimmer“, verkündet der Mann.
Es ist jener, der mich zuvor in der Zelle eingeschüchtert hatte.
Und nun soll ich mit ihm allein durch dieses Geb?ude wandern?
?Sie bittet um Vergebung für die Taten Ihres Halbbruders Coren Veyr“, f?hrt der Velsothier fort.
So schnell ist ihr also zu Ohren gekommen, dass Coren mich ehelichen wollte?
Wie stellt sie sich diese Vergebung vor? Durch blo?e Worte? Oder durch Taten?
Doch ich stelle diese Fragen nicht. Es kann nur ein Befehl der Anführerin selbst sein, wenn einer ihrer eigenen Leute geschickt wurde, um mich abzuholen.
Sylas scheint es ebenso bemerkt zu haben, denn er macht keine Anstalten, mich zurückzuhalten.
Mit klopfendem Herzen trete ich aus dem Zimmer und folge dem Velsothier in die Dunkelheit hinaus.
Seit meiner Ankunft bin ich in diesen G?ngen keiner einzigen Seele begegnet. Ob die Untergebenen der Familie Varne sich in diesem Teil des Schlosses überhaupt aufhalten dürfen?
Auch hier sind die W?nde kahl, ohne Gem?lde, ohne jeglichen Schmuck, der diesem Ort wenigstens einen Hauch von W?rme schenken k?nnte. Der Velsothier, der mich zu Rhea Varne führt, spricht kaum ein Wort. Sein Schweigen drückt auf meine Brust, verst?rkt das ungute Gefühl, das sich in mir ausbreitet. Ob er mein schnell schlagendes Herz h?ren kann?
?Wie genau m?chte die Anführerin die Taten ihres Halbbruders wieder gutmachen?“
Er antwortet nicht. Jedenfalls nicht sofort. Ein leises Schnauben entweicht ihm. Dann zischt er: ?Deinesgleichen sollte ausgerottet werden.“
Mein Herz setzt für einen Moment aus. Panik schie?t durch meine Adern. In seinen Worten liegt eine K?lte, die ich nicht ignorieren kann. Meint er das ernst? Droht er mir? Oder ist es nur Verachtung?
?Wie meint… Ihr das?“
?Ihr fickt untereinander und zeugt Missgestalten“, zischt er erneut, seine Stimme getr?nkt mit Ekel. ?Widerw?rtig.“
Ich bleibe stehen. Meine Fü?e gehorchen mir nicht mehr. Der Velsothier nimmt seinen Helm ab. Schwarzes Haar, streng zu einem Zopf gebunden. Der untere Teil seines Hinterkopfes ist rasiert. Dunkelgrüne Augen bohren sich in meine, kalt und absch?tzend. Ich schlucke. Mit der Maske war mir sein Anblick lieber – da konnte ich mir noch ein L?cheln einbilden.
Die Angst packt mich, l?hmt mich. Ich setze instinktiv einen Schritt zurück, doch weiter komme ich nicht. Grob packt er meinen Arm, zerrt mich durch den Gang, bis wir vor einer schweren Gittertür zum Halt kommen. Er greift nach einem einzelnen Schlüssel, nicht an einem Bund, sondern lose an seinem Gürtel befestigt.
Hinter der Tür erkenne ich eine Treppe, die sich in die Tiefe windet. Eine Wendeltreppe. Runde um Runde steigen wir hinab, bis wir vor einer weiteren Tür stehen. K?lte kriecht meine Arme hinauf, belegt meine Haut mit G?nsehaut. Vorhin, auf der Brücke, spürte ich die eisige Umarmung des Winters – das bedeutet, dass das Wetter in Velsoth dem der Au?enwelt gleicht.
Der Velsothier verst?rkt seinen Griff. Vor uns erhebt sich eine massive Tür aus Stahl, schwer und unnachgiebig. Ich kenne solche Türen. Einst wagte ich einen Blick in die Kerker der Menschenwelt. Das war das erste Mal, dass ich eine Tür dieser Art sah.
Doch diesmal habe ich nicht die Chance umzukehren.
Er benutzt keinen Schlüssel, wie zuvor. Stattdessen klopft er in irregul?rer Reihenfolge. Sekunden vergehen, dann ?ffnet sich die Tür einen Spalt breit.
Nyssa. Eine Velsothierin. Die Dienerin des Halbbruders.
Was tut sie hier?
Ihr Blick wandert zu meinem Begleiter, dann zu mir. Ein Nicken, kaum merklich. Ohne ein weiteres Wort ?ffnet sie die Tür vollst?ndig und gibt den Blick auf den Raum dahinter frei.
?Meine liebe Vespera.“
Die Stimme, die mir entgegenschl?gt, l?sst mich erstarren.
Unm?glich.
Coren Veyr.
Wie konnte das passieren? Der Velsothier, der mich hierhergeführt hat – er geh?rt zu Rhea Varnes M?nnern! Warum hat er gelogen?
?Meine sü?e Schwester hat unser letztes Treffen vereitelt“, sagt Coren mit einem selbstzufriedenen L?cheln. ?Doch unseren Plan konnte sie nicht durchkreuzen. Die Reise ins Nexari steht bevor.“
Ich hebe zitternd die Hand, deute auf den Velsothier in der schwarzen Rüstung. ?Aber… er geh?rt doch zu Rhea Varne! Wieso also…?“
Coren lacht leise. ?Haldron Krythar steht seit vielen Jahren auf meiner Seite“, erkl?rt er mit Stolz. ?Genau wie ich strebt er nach einer besseren Zukunft für Velsoth. Unser Volk lebt seit Anbeginn der Zeit in der Dunkelheit, isoliert von der Welt. Ist es, weil wir schwach sind? Nein. Unser Gründer, Eris Dain, war ein Narr. Wir Velsothier k?nnen das Licht der Sonne nicht lange ertragen, unser K?rper widersetzt sich den Bedingungen der Oberfl?che. Doch ich habe die L?sung gefunden.“
Er tritt n?her, seine Augen glühen vor Entschlossenheit.
?Genau wie Selric Thorne habe ich den dritten Mond gesehen, hoch oben am Himmel. Und du…“ Er zeigt auf mich. ?Du bist das letzte Gef??. Die Losniw, die Elindros in eine neue Welt führen wird. Eine Welt, die ich beherrschen werde.“