Mein Vater hebt zitternd den Finger, zeigt auf mich und fragt mit einer Stimme, die vor Abscheu zersplittert: ?Was ist das für eine Gestalt?“
Seine Worte treffen mich wie ein Dolch ins Herz. Doch bevor ich reagieren kann, merke ich, wie die Blicke aller Anwesenden durch mich hindurchgehen, als sei ich unsichtbar. Verwirrt drehe ich mich um – und erstarre.
Dort, direkt hinter mir, steht sie: die Gestalt, die ich in der letzten Nacht am sturmgepeitschten Himmel gesehen habe, eingerahmt von zuckenden Blitzen.
?Du bist doch…“, flüstere ich, die Stimme kaum mehr als ein Hauch. Meine Augen suchen die ihren, doch das Gesicht bleibt im Schatten der Kapuze verborgen. Erst jetzt wird mir klar, wie gigantisch diese Erscheinung wirklich ist. Sie überragt mich um mindestens drei K?pfe.
?Es war von Anfang an klar, dass du kein normales Kind bist!“, schreit K?nig Mukuta, seine Worte scharf wie eine Peitsche. Er spuckt ver?chtlich auf den Boden. ?Ich h?tte dich umbringen sollen, damals, als deine Hurenmutter dich zur Welt brachte! Wei?e Haare – wer wird schon mit wei?en Haaren geboren?“
Seine Schm?hungen sind nichts Neues für mich, doch sie stechen trotzdem. Mein ganzes Leben lang hat er mich behandelt, als sei ich ein Makel, ein Ungeheuer. Aber dieses Mal ist etwas anders. Dieses Mal stehen wir uns nicht nur mit Worten gegenüber.
?M?nner!“, brüllt er, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen. ?Schnappt euch das Monster – und diese Kreatur hinter ihr!“
Ein trauriges L?cheln huscht über meine Lippen. Nie hat er mich als seine Tochter anerkannt. Und jetzt bin ich nicht einmal mehr ein Mensch in seinen Augen.
Die Wachen stürmen vor, ihre Schwerter glitzern im Fackelschein. Mein Herz rast, doch bevor ich begreifen kann, was geschieht, spüre ich einen unbarmherzigen Ruck. Die Gestalt hinter mir hat zugegriffen. Mit atemberaubender Geschwindigkeit werde ich nach hinten gezogen. Wir rasen direkt auf die Mauern zu. Panisch schlie?e ich die Augen und erwarte den Aufprall. Doch statt Schmerz umf?ngt mich eine seltsame Sanftheit: eine kühle Brise, die mich umspielt.
Vorsichtig ?ffne ich die Augen. über mir spannt sich der unendliche Nachthimmel, w?hrend sich die Sterne glitzernd im Wasser unter uns spiegeln. Die Gestalt tr?gt mich mühelos über die glatte Meeresoberfl?che. Der endlose Ozean erstreckt sich vor mir, dunkel und geheimnisvoll.
Ich blicke zurück. Das K?nigreich, einst alles, was ich kannte, ist nur noch ein winziger Punkt am Horizont, kaum gr??er als ein Maiskorn – und wird immer kleiner.
Innerhalb weniger Sekunden bleiben wir abrupt in der Luft stehen, die Bewegung erstirbt wie der letzte Atem eines Sturms. Dann beginnen wir langsam zu sinken. Der Ozean unter uns rückt n?her, sein glatter, dunkler Spiegel schimmert im Mondlicht. Mit jedem Meter w?chst meine Angst – nicht vor der Tiefe des Wassers, sondern vor dem Unbekannten, das es birgt. Ich habe noch nie einen Fu? ins Wasser gesetzt, geschweige denn schwimmen gelernt. Ein unbehaglicher Knoten zieht sich in meiner Brust zusammen.
Doch anstatt in die kalten Fluten einzutauchen, spüre ich pl?tzlich festen Halt unter meinen Fü?en. Verwundert blicke ich hinab – ich stehe über dem Wasser. Die Meeresoberfl?che tr?gt mich wie eine unzerbrechliche Glasplatte. Der Wind streicht sanft über meine Wangen, doch mein Herz pocht laut in meinen Ohren.
Ich blicke zur Gestalt, die mich aus den F?ngen des K?nigs gerettet hat, doch bevor ich etwas sagen kann, geschieht etwas Unerwartetes: Die Gestalt beginnt, sich in zwei H?lften zu teilen. Ein Schimmer von Licht, kaum wahrnehmbar, zieht eine Grenze durch ihre Mitte, bis aus einer Figur zwei werden. Mein Atem stockt. War die zweite Person die ganze Zeit da? Oder hat sich vor meinen Augen etwas übernatürliches entfaltet?
Die beiden Gestalten legen ihre Kapuzen ab, und für einen Moment setzt mein Herz aus. Vor mir stehen Lord Velqorin und Lord Sylas, die beiden Menschen, die ich w?hrend meiner Eheschlie?ung kennengelernt habe.
?Entschuldigt, meine Prinzessin“, beginnt Lord Velqorin mit ernster Stimme, w?hrend er sich durch seine schulterlangen, braunen Locken f?hrt. Sein Blick ist voller Bedauern, und seine grünen Augen scheinen vor Traurigkeit zu leuchten. ?Wir konnten nicht früher eingreifen. Was auch immer euch in diesem Raum mit diesem Scheusal geschehen ist, bedauern wir zutiefst.“
Seine Worte durchbohren mich. Sie zerrei?en die fragile Mauer, die ich in den letzten Stunden aus Angst, Panik und Entschlossenheit errichtet habe. Alles, was ich zu verdr?ngen versuchte, kehrt wie eine unaufhaltsame Flutwelle zurück.
Die Geschehnisse des heutigen Abends schie?en wie brennende Pfeile durch meinen Kopf. Die Worte des K?nigs, seine Ablehnung, der Angriff der Wachen, und – das Schlimmste – der entsetzliche Moment, als Lord Louweris versuchte, mir meine Würde zu nehmen. Es war mehr, als ich ertragen konnte, doch irgendwie hatte ich bis zu diesem Moment funktioniert. Jetzt ist es, als ob mein Geist und K?rper kapitulieren.
Meine Knie geben nach, und ich sinke auf den Ozean, der sich unter mir wie ein sanftes Kissen anfühlt. Das Wasser tr?gt mich, doch in meinem Inneren rei?en D?mme. Hei? brennen die Tr?nen, die ich so lange zurückgehalten habe, und flie?en endlich frei über meine Wangen. Mein ganzer K?rper zittert unter der Last der unterdrückten Gefühle – Wut, Schmerz, Demütigung und ein unendlicher, überw?ltigender Kummer.
Ich verliere jedes Gefühl für Zeit. Minuten oder Stunden k?nnten vergangen sein, w?hrend ich meinen Schmerz in den unendlichen Ozean weine. Die beiden M?nner vor mir schweigen, ihre Blicke voller stiller Anteilnahme. Sie greifen nicht ein, versuchen nicht, mich zu beruhigen. Stattdessen lassen sie mir die Zeit, die ich brauche, um alles herauszulassen, was ich so lange verschlossen hielt.
Zum ersten Mal seit Jahren fühle ich, wie sich ein Funken Leichtigkeit in meinem Inneren regt, verborgen unter der Schwere. Es ist keine Erl?sung, aber es ist ein Anfang.
Lord Sylas kniet sich vor mir nieder, seine Augen mustern besorgt die Prellungen in meinem Gesicht. Doch als seine Hand sich n?hert, zucke ich instinktiv zurück. Es ist keine Furcht vor ihm – nein, er tr?gt keine Schuld. Mein K?rper reagiert einfach von selbst.
Sylas bemerkt mein Z?gern und zieht sich mit einem bedauernden Blick zurück.
?Was hat er Euch angetan?“, flüstert er erschrocken. Seine Stimme zittert leicht, w?hrend er sich an seinen Vater wendet. ?Vater, was sollen wir tun?“
?Solange sie es nicht m?chte, wirst du gar nichts tun k?nnen“, erwidert Lord Velqorin mit einem Seufzen. ?Prinzessin, ich verstehe, dass Euch alles über den Kopf w?chst. Aber ich versichere Euch, dass wir Euch nichts antun werden.“
Langsam schiebe ich den ?rmel meiner Bluse hoch und enthülle die Brandwunde, die Lord Louweris’ Zigarre hinterlassen hat. Ich deute stumm darauf. Sylas zieht scharf die Luft ein.
?Lasst mich Eure Schmerzen lindern“, bietet er leise an.
Ich z?gere, die Worte hallen in meinem Kopf wider. Auch wenn Sylas nichts falsch gemacht hat, kann ich die Vorstellung nicht ertragen, erneut von einem Mann berührt zu werden. Erinnerungen an diesen schrecklichen Moment mit Lord Louweris überschatten jede Handlung. Doch die Schmerzen laugen mich aus. Seufzend strecke ich ihm schlie?lich meinen Arm entgegen, in der Hoffnung, dass das Leid ein Ende hat.
Pl?tzlich spüre ich eine angenehme, kühle Welle auf meiner Haut. überrascht blicke ich zu Lord Sylas, der meine Haut nicht direkt berührt. Zwischen seiner Handfl?che und meinem Arm flimmert ein sanftes Leuchten, das die Schmerzen vollst?ndig vertreibt.
?Wie…?“, frage ich verwirrt und betrachte die Brandstelle. Sie ist noch da, doch der Schmerz ist verschwunden.
?Eine Narbe wird bleiben“, gesteht er bedrückt. ?Verzeiht mir, Prin…“
?Wer seid Ihr?“, unterbreche ich ihn und sehe abwechselnd zu ihm und seinem Vater, die beide in schwarzen M?nteln gehüllt sind. Diese M?nner sind keine Lords, so viel ist klar.
?Jedenfalls keine Lords“, best?tigt Lord – nein, kein Lord – Zyar mit einem schwachen L?cheln. Hat er meine Gedanken gelesen? Kann er das? ?Wir sind wegen Euch hier.“
?Was wollt Ihr von mir?“, frage ich und ziehe meinen Arm zurück. ?Danke“, füge ich hinzu, doch meine Worte sind kühl, von Misstrauen durchzogen. ?Ich vertraue Euch nicht…“
?Zyar“, stellt er sich vor und hebt beschwichtigend beide H?nde. ?Nur Zyar. Weder bin ich ein Lord, noch ist mein Sohn einer. Diese Identit?t habe ich lediglich angenommen, um auf diesen Moment hinzuarbeiten.“
?Auf welchen Moment?“, frage ich, meine Neugier überwindet die Skepsis. ?Warum habt ihr mich vor dem K?nig gerettet?“
Zyar blickt mir direkt in die Augen, als suche er nach etwas. Mein Blick wandert zu Sylas, der mich mit derselben Intensit?t mustert.
?Hier ist nicht der Ort, darüber zu sprechen“, sagt Zyar schlie?lich. ?Aber in Solnya werden wir genügend Zeit haben.“
?Solnya?“, wiederhole ich stirnrunzelnd. ?Ein Dorf im Süden? Oder im Osten?“
Er schüttelt den Kopf. ?Nein, Solnya ist ein Ort in einer anderen Dimension.“
Ein trockenes Lachen entf?hrt mir, bevor ich es zurückhalte. Trotz des Schmerzes und der Trauer in mir gelingt es mir nicht, irgendjemandem Vertrauen zu schenken. Mein Lachen ist bitter, voll Misstrauen.
?Eine andere Dimension“, wiederhole ich sp?ttisch. ?Der K?nig h?tte sich eine glaubhaftere Lüge ausdenken k?nnen.“
Ich merke, dass ich ihn nicht mehr ?Vater“ nenne. Liegt es an seiner Reaktion, als ich ihn verzweifelt nach einem Grund für sein Verhalten gefragt hatte?
?Ihr k?nnt uns vertrauen“, sagt Sylas leise. Seine Worte klingen ehrlich, doch mein Herz bleibt verschlossen. Hat er mich im Ballsaal wirklich aus reiner Freundlichkeit behandelt, oder steckte etwas anderes dahinter? ?Ich werde es Euch beweisen.“
Der junge Mann kniet sich vor mir nieder und spricht mit fester Stimme: ?Ich, Sylas Velqorin, Sohn des Legaten der Elemente, Zyar Velqorin, schw?re hiermit, Euch mit meinem Leben zu beschützen – bis mein letzter Atemzug erklingt.“
Noch bevor ich reagieren kann, geschieht etwas Unfassbares. Aus seiner Brust str?men blutrote F?den hervor, pulsierend und lebendig, als würden sie direkt aus seinem Herzen quellen. Wie blutige Ranken winden sich Dornen über den Boden, und an einigen Stellen tropft Blut in das stille Wasser darunter. Sylas bleibt regungslos, sein K?rper wie in einem Bann gefangen, w?hrend die düstere Magie ihn umgibt.
Verwirrt und mit einem mulmigen Gefühl im Magen wende ich mich an Zyar. Er h?lt meinem Blick stand und sagt ruhig: ?Mein Sohn bietet Euch ein Blutsband an. Das ist der h?chste Grad des Vertrauens, den wir in Elindros gew?hren k?nnen. Wenn Euch etwas zust??t, wird sein Leben ebenfalls enden.“
Elindros? Was soll das sein? Ich starre Sylas an. Der charmante Mann, der im Ballsaal mein Herz zum Flattern brachte, kniet nun vor mir und riskiert sein Leben – für mich? Für jemanden, den er kaum kennt? Aber warum? Warum sollte er für eine Fremde so etwas tun?
?Ich wei?, dass das Eure Entscheidung ist“, f?hrt Zyar fort und zieht meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Seine Stimme ist ruhig, aber ich spüre den Ernst dahinter. ?Doch bedenkt: Dieses Blutsband ist nichts anderes als eine Qual für den, der es auf sich nimmt. Ich würde meinen Sohn lieber nicht leiden sehen.“
Ein Vater, der sich um sein Kind sorgt? Das ist eine Vorstellung, die mich seltsam berührt. Zyar sieht so aufrichtig aus, so voller Sorge für seinen Sohn. Es ist eine Besorgnis, die mein eigenes Herz zusammenzieht. Hat meine Mutter, in den zwei Jahren, die wir zusammen hatten, je so für mich empfunden? Oder war auch sie, wie der K?nig, gleichgültig gegenüber meinem Schicksal?
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Ich atme tief durch und sage schlie?lich: ?Gebt mir einen Grund, Euch zu vertrauen.“ Meine Augen wandern zu Sylas, dessen Gesicht von Schmerz gezeichnet ist, obwohl er kein Wort darüber verliert. ?Einen Grund, der über das Blutsband hinausgeht.“
Zyar z?gert. Sein Blick wird nachdenklich, und er wirft einen flüchtigen Blick zu seinem Sohn, bevor er leise seufzt. Dann spricht er: ?Eure Mutter, Isilyn, und ich waren einst eng befreundet.“
?Das ist doch eine Lüge“, zische ich und verschr?nke die Arme vor der Brust. Die Verbrennung an meinem Arm verursacht zwar keinen Schmerz mehr, aber meine Skepsis bleibt. ?Jeder im K?nigreich kennt ihren Namen und k?nnte das behaupten.“
Zyar h?lt meinem Blick stand, seine Stimme bleibt ruhig: ?Vielleicht kennt man ihren Namen, doch kaum jemand kennt ihre Worte. Sie schrieb in einem ihrer Tagebücher ein Gedicht, das sie als Jugendliche immer wieder als Lied gesummt hat. Sie hat mir erz?hlt, dass es ursprünglich keine Verse waren, sondern Gedanken, die sie in einer stillen Nacht nicht loslie?en."
’Wenn die Sterne auf das Wasser treffen,
und Schatten in den Tiefen schimmern,
so lausche der Stille – dort liegt die Wahrheit,
im Wispern der Winde, in tanzenden Flimmern.
Ein Herz, das schl?gt, kann brechen und bluten,
doch bricht es, tr?gt es den Weg in sich fort.
Wer wagt, zu vertrauen, tr?gt alle Gefahren,
doch auch den Schlüssel zum verborgensten Ort.’
?Sie summte diese Zeilen oft“, fügt Zyar hinzu, seine Stimme wird leiser. ?Vor allem, wenn sie traurig war. Ihr Tagebuch habe ich nie gesehen, aber diese Worte hat sie mit einer solchen Inbrunst gesungen, dass sie mir nie aus dem Kopf gegangen sind.“
Mein Atem stockt. Diese Worte… sie stehen in dem Tagebuch, das ich in einer verstaubten Kiste mit den wenigen Habseligkeiten meiner Mutter gefunden habe. Es war eines der Dinge, die K?nigin Mayyira nach ihrem Tod achtlos in einen alten Schrank hatte r?umen lassen, um keine Erinnerung an sie zu bewahren.
?Woher…?“ Meine Stimme bricht.
?Ich wei?, dass das Vertrauen schwer f?llt“, sagt Zyar sanft. ?Doch diese Worte sind Eure Verbindung zu ihr. Und ich schw?re Euch bei allem, was mir heilig ist, dass ich Eurer Mutter einst mein eigenes Vertrauen geschenkt habe. Es steht Euch frei, zu entscheiden, was Ihr von uns haltet.“
Seine Worte hallen in mir nach, und für einen Moment scheint die Dunkelheit in meinem Inneren etwas an Macht zu verlieren.
?Wie kann ich dieses Blutsband annehmen?“, frage ich, obwohl ich diesen Bund eher ablehnen würde. Doch es scheint die einzige Garantie zu sein, dass mir nichts zusto?en wird. ?Wie kann ich die Leiden deines Sohnes beenden?“
?Sprecht einfach Euren Namen aus und erkl?rt, dass Ihr sein Angebot annehmt“, sagt Zyar, seine Augen ernst. ?Die restlichen Worte werden Euch sicherlich leicht von den Lippen kommen.“
?Ich, Prinzessin Vespera Valdyris, Tochter von K?nig Mukuta Valdyris...“, setze ich an, doch pl?tzlich zucken Blitze entlang der Dornenranken, und die Luft wird elektrisch geladen. Die Energie kriecht durch den Raum, als würde sie jeden Moment in Flammen aufgehen.
?Ihr müsst Euren wahren Namen aussprechen“, unterbricht Zyar mit einer beinahe unheilvollen Stimme. Ich blicke zu ihm auf, meine Augen schmal. ?Ihr seid Vespera Entium, Tochter von Isilyn Entium, aus dem Reich Losnat, die rechtm??ige Anw?rterin auf den Thron von Elindros.“
Seine Worte hallen in der Luft nach, und die Wahrheit trifft mich wie ein Sturm. Mein Herz schl?gt schneller, das Gewicht meiner wahren Identit?t drückt auf mich.
Ich soll also die rechtm??ige Anw?rterin auf den Thron von Elindros sein?
Die Worte hallen in meinem Kopf wider, schwer wie eine Last, die ich kaum begreifen kann. Zyar beobachtet mich ruhig, seine Stimme ged?mpft, aber ernst.
Ich nicke, doch in mir tobt ein Sturm aus Zweifeln und ?ngsten. Meine Augen treffen die von Sylas. Dieser junge Mann, den ich erst vor wenigen Stunden kennengelernt habe, und doch… fühlt sich unsere Verbindung tief und unvermeidlich an. Etwas in mir wei?, dass es mit Elindros zu tun hat. Mein Herz hat die Wahrheit l?ngst erkannt: Ich geh?re nicht wirklich in diese Welt.
Mit zitternder Stimme spreche ich die Worte aus, die alles ver?ndern werden. ?Ich, Vespera Entium, Tochter von Isilyn Entium, aus dem Reich Losnat, rechtm??ige Anw?rterin auf den Thron von Elindros, akzeptiere.“
Kaum habe ich das letzte Wort ausgesprochen, spüre ich, wie sich die Dornen tief in meine Brust bohren. Ein keuchender Laut entweicht mir, w?hrend meine Augen vor Schock und Schmerz weit aufrei?en. Hilflos blicke ich zu Zyar, aber sein Blick bleibt kalt, ungerührt. Für ihn ist dieses Ritual eine Selbstverst?ndlichkeit. In seinen Augen sehe ich nur stille Neugierde, keine überraschung, keine Sorge. Sollte ich das beunruhigend finden?
Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, explodiert der Schmerz in meinem K?rper. Die Dornen beginnen zu pulsieren, als ob sie Leben in sich tragen. Pl?tzlich durchzuckt mich eine Welle aus elektrischen Schl?gen, gnadenlos und tief, als würden sie mein Innerstes zerrei?en. Mein Atem stockt, und ich k?mpfe gegen den Drang, zu schreien. Jeder Herzschlag fühlt sich an, als würde er mich n?her an den Abgrund treiben.
Sylas bleibt still, regungslos. Entweder spürt er keinen Schmerz – oder er tr?gt ihn mit einer St?rke, die ich nicht begreifen kann.
?DAS SOLL AUFH?REN!“, schreie ich verzweifelt in meinem Inneren, doch mein K?rper bleibt wie gel?hmt.
Ein Schrei dr?ngt sich an meine Lippen, doch nichts als Stille entweicht. Die Qualen, die mich zerrei?en, scheinen eine Ewigkeit zu dauern, doch in Wirklichkeit vergehen nur Sekunden. Schlie?lich ziehen sich die Dornen zurück, verschwinden in Sylas’ Brust, und er erhebt sich in Schweigen. Sein Blick ist ernst und durchdringend, als würde er mein Innerstes erfassen. Ohne ein Wort legt er seine Hand in meine, und automatisch wandern meine Augen auf unsere ineinandergelegten Handfl?chen. Diesmal zucke ich nicht zurück – mein K?rper erlaubt es, als würde er die Berührung selbst wollen.
?Als Euer Beschützer trage ich das Halbkreis-Symbol“, sagt er, w?hrend sein Blick auf unseren Handfl?chen ruht. ?Es steht für meine Unvollkommenheit. Euer Symbol, Prinzessin, ist ein vollendeter Kreis – es repr?sentiert Eure Vollkommenheit. Mein Leben geh?rt nun Euch.“
Seine Worte klingen wie ein feierlicher Eid, und in seinen Augen liegt etwas, das ich nicht begreifen kann. Ein Blick, der von Stolz spricht, wo Angst sein sollte. Warum sollte ein Fremder sein Leben für mich opfern? Für mich leben und sterben?
?Wir k?nnen die H?flichkeiten nun beiseitelassen“, meint Zyar und holt eine kleine, goldene Kugel hervor, die wie aus reinem Gold zu bestehen scheint. ?Vespera wei? nun, dass sie keine Prinzessin ist. Schlie?lich war sie nie die Tochter des K?nigs. Lasst uns aufbrechen.“
Ich war nie die Tochter des K?nigs. W?hrend des Blutsbands sind mir all diese Einzelheiten entfallen. Entium… Ist das der Familienname meiner Mutter? Aber wer ist dann dieser Mukuta Valdyris, und warum bin ich in seiner Obhut aufgewachsen?
?Wenn es für dich in Ordnung ist, Vater, würde ich Vespera weiterhin formell ansprechen“, sagt Sylas. ?Für mich bleibt sie eine Prinzessin. Sollte sie den Thron von Elindros besteigen, wird sie unsere K?nigin sein.“
K?nigin? Warum sollte ich einen Anspruch auf den Thron von Elindros haben? An einem anderen Ort… Nein, einer anderen Dimension!
?Nein, mein Sohn“, antwortet Zyar ohne zu z?gern. ?In Elindros wird die Rückkehr von Vespera bereits erwartet. Sobald sie eintrifft, werden unsere Feinde schon l?ngst informiert sein. Je weniger wir über sie preisgeben, desto weniger Augenzeugen haben sie.“
?Wie meinst du das?“, frage ich, und merke, dass ich die h?fliche Anrede l?ngst abgelegt habe. ?Wer sind diese Feinde und wie k?nnen sie von meinem Verbleib wissen? Was genau ist ein Legat der Elemente? Oder Losnat? Und wie hat Sylas meinen Arm geheilt?“
?Ich wei?, dass du Antworten auf all diese Fragen suchst“, sagt Zyar und blickt auf die Kugel in seiner Hand. ?Doch das wird uns viel Zeit kosten. Sobald wir in Elindros sind, werde ich mich mit dir hinsetzen und dir alles erkl?ren. Zuerst müssen wir durch das Nexari, und dabei hilft uns das Astralis.“ Er deutet auf die Kugel und übergibt sie mir. ?Sie hat immer dir geh?rt.“
?Was soll ich damit anfangen?“, frage ich verwirrt, w?hrend sich die Fragen in meinem Kopf h?ufen. ?Astralis? Nexari? Du erfindest ja Begriffe!“
?Ganz im Gegenteil“, antwortet Zyar und schmunzelt. ?Das Nexari ist die Zwischendimension, die diese Welt, unsere Welt und alle anderen existierenden miteinander verbindet. Mithilfe des Astralis k?nnen wir eintreten. Es ist eine Art Erlaubnis.“
?Und warum geh?rt das Astralis mir?“, frage ich stirnrunzelnd. ?Ist es ein Verm?chtnis meiner Mutter?“
?So in etwa“, meint Zyar und klatscht in die H?nde. ?Je mehr Zeit vergeht, desto mehr Fragen wirst du haben. Daher sollten wir uns direkt in die Zwischendimension wagen. Aber lass mich dich warnen: Das Nexari kennt keine Grenzen. Niemand wei?, ob es überhaupt ein Ende gibt. Und die Synnx, die W?chter dieser Dimension… Sie sind gef?hrlich. Bislang haben Sylas und ich das Nexari nur ein paar Mal betreten, aber wir mussten immer vorsichtig sein. Nun wirst du eintreten, ohne eine Erlaubnis bekommen zu haben und daher bist du ein Eindringling. Wenn es zu einer Begegnung kommt, müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen.“
Die Synnx? Was für Wesen sind das? Wenn sie eine Gefahr darstellen, sollte ich mich wohl nicht in das Nexari wagen. Aber was bleibt mir anderes übrig? Wenn Zyar will, k?nnte ich auch schon ertrinken. Ich stehe auf dem offenen Meer, und wenn er behauptet, dass ich die rechtm??ige Anw?rterin auf den Thron bin, wird er mich wohl kaum einfach loslassen.
?Bitte lass das Astralis von deiner Hand gleiten“, spricht Zyar ruhig und deutet auf die goldene Kugel. Ich starre darauf, dann zurück zu ihm, meine Verwirrung offensichtlich. ?Vertrau mir.“
Schon wieder dieses Wort – Vertrauen. Warum verlangt jeder von mir etwas so Zerbrechliches, ohne Beweise, ohne Sicherheit? Doch etwas in Zyars Stimme ist unerschütterlich, zwingend. Trotz meines Z?gerns folge ich seiner Anweisung und lasse das Astralis langsam aus meinen Fingern gleiten. Ich beobachte, wie die Kugel f?llt, mein Instinkt will sie auffangen – doch sie bleibt in der Luft h?ngen, als würde eine unsichtbare Macht sie tragen.
Noch eine Unm?glichkeit. Wie viele solcher Ereignisse kann ich noch verkraften, bevor meine Vernunft nachgibt? Doch w?hrend mein Geist noch versucht, die Szene zu begreifen, beginnt das Astralis, ein unnatürlich grelles Licht auszustrahlen. Reflexartig hebe ich meinen Arm, um meine Augen vor dem blendenden Schein zu schützen. Das Wasser unter uns reflektiert das Licht, tanzt und bricht es in bizarre Muster, als h?tte die Welt ihren Verstand verloren.
Ein tiefer Ton beginnt zu vibrieren, tief in meinem Brustkorb, als k?me er aus einer anderen Ebene des Seins. Als das Licht schlie?lich nachl?sst, blicke ich vorsichtig wieder nach vorne – und mein Atem stockt.
Vor mir ?ffnet sich etwas, das alle Vorstellungskraft übersteigt. Es sieht aus wie ein Riss im Raum selbst, ein gewaltiger Wirbel aus Dunkelheit, gespickt mit schillernden Farben, die wie schreiende Sterne pulsieren. Es ist, als h?tte jemand das Gewebe der Realit?t zerrissen und eine andere Welt darunter freigelegt. In der Mitte dreht sich ein Abgrund, der zu pulsieren scheint wie ein lebendes Herz. Flüstern erfüllt die Luft, fremdartig und doch verführerisch vertraut, als ob das Nexari meinen Namen ruft. Ich h?re für einen kurzen Augenblick eine liebliche Melodie… war das der Klang einer Harfe?
?Was… ist das?“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, übert?nt von der kosmischen Kakophonie, die nun aus der schillernden Leere str?mt.
?Das ist der Eingang in das Nexari“, erkl?rt Zyar mit einer Ruhe, die mich irritiert. ?Die Schwelle zwischen den Welten. Und jetzt, Vespera, ist es an der Zeit, dass wir hindurchgehen.“
Ein eisiger Schauer l?uft über meinen Rücken, w?hrend ich auf das pulsierende Loch starre. Die Luft um uns scheint sich zu verziehen, zu w?lben, als würde der Raum selbst sich um den Riss krümmen. Der Gedanke daran, einen Schritt in diese schreiende, pulsierende Leere zu tun, jagt mir kalte Panik durch die Glieder – doch was bleibt mir anderes übrig?
Zyar tritt mit ruhigem Schritt in das Nexari, seine Silhouette verschwimmt im vibrierenden Licht des übergangs. Ich balle die H?nde zu F?usten, unf?hig, die zitternde Anspannung zu ignorieren, die meine Glieder durchzieht. Ein Teil von mir zittert vor Angst, der andere vor Vorfreude – einem kindlichen Drang, das zu betreten, was noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Meine Tage, eingesperrt in einem kargen Zimmer, verblassen im Vergleich zu diesem Moment. Warum fürchte ich das Unbekannte so sehr? Der Tod, die Einsamkeit – beides alte Bekannte. Was ist es, das mich l?hmt?
?Du bist bereit“, flüstert Sylas, seine Stimme weich wie der Hauch eines warmen Sommerwindes. Ich ?ffne meine Augen, die ich zuvor fest zusammengekniffen hatte. ?Ich werde dich beschützen. Mit allem, was ich bin.“
Ein unerwarteter Trost flie?t in mich ein, so als h?tte seine Stimme eine verborgene Tür in meiner Seele ge?ffnet. Die l?hmende Angst schwindet, weicht einem Gefühl von Mut, das nicht allein aus mir zu stammen scheint. Hand in Hand treten wir durch den schimmernden Schleier in die Zwischendimension.
Augenblicklich rei?t uns ein Sturm aus abstrakten Eindrücken mit. Windb?en tragen den Klang von Farben, die meine Sinne auf eine Weise durchdringen, die ich nicht begreifen kann. Zeit und Raum scheinen bedeutungslos, als sich die Welt um uns kaleidoskopisch dreht. Der Boden unter uns formt sich immer wieder neu, wird zu schwebenden Inseln aus Licht und schimmerndem Nebel. An den R?ndern des Blickfeldes tanzen geometrische Formen, die sich wie atmende Schatten bewegen.
Ein beigefarbener Strom zieht wie ein schlafender Drache durch den Raum, sein Fluss ist nicht Wasser, sondern ein Flüstern von Erinnerungen. Wem diese wohl geh?ren? über uns spannt sich ein Himmel aus goldenem Nichts, erneut durchzogen von schreienden Sternen, die aufblitzen und explodieren, ohne Licht oder W?rme zu spenden. Berge tauchen am Horizont auf, doch sie bestehen aus zersplittertem Glas, das sich in Wellen bewegt und mit einem unaufh?rlichen, klagenden Lied zerspringt.
Mir wird schwindelig von diesem Chaos, meinem Bewusstsein, das von einer Dimension zur n?chsten geworfen wird, als w?ren wir in einer rasenden Kutsche gefangen. Sylas bemerkt meine Schw?che und stützt mich mit einer Berührung, die ich nicht zurückweise.
?Entschuldige“, sagt Sylas leise, seine Stimme von ehrlicher Reue durchzogen. ?Ich wollte nicht aufdringlich sein. Es war einfach ein Reflex – du sahst so aus, als würdest du gleich fallen.“
?Schon gut“, antworte ich, meine Stimme brüchig. Jede Berührung eines Mannes führt mir das Gesicht von Lord Louweris vor Augen. ?Du hast mir nur helfen wollen.“
Der Wind verebbt, und wir treten in eine unnatürliche Ruhe, die von leiser Harmonie durchzogen ist. Vor uns steht Zyar, ruhig wie ein Monument, doch die Landschaft hinter ihm entzieht sich jeglicher Logik. B?ume wachsen kopfüber aus einem Himmel, der in einem Kaleidoskop aus Farben leuchtet, wie ein endloser Sonnenuntergang. Die Gr?ser, die wir unter unseren Fü?en spüren, sind aus flüssigem Licht, sie flie?en sanft und kühl wie Wasser, aber behalten ihre Form.
Am Horizont ziehen Berge, die wie gl?serne Skulpturen schimmern, unmerklich von einer Seite zur anderen, als würde der Wind sie tragen. Der Boden scheint nicht fest zu sein; jedes Mal, wenn ich meinen Fu? setze, w?lbt sich die Oberfl?che sanft, als würde das Nexari selbst atmen. Die Luft ist erfüllt von einem melodischen Summen, als ob die Umgebung ein Lied flüstert, das ich nicht verstehen, aber fühlen kann.
Ein Schwarm von V?geln – oder etwas, das V?geln ?hnelt, mit schimmernden, transluzenten Flügeln – zieht lautlos über den Himmel und malt sanfte, glühende Bahnen hinter sich her. Es ist unbegreiflich und zugleich beruhigend, ein Ort, der die Seele zum Schweigen bringt, w?hrend er die Sinne überw?ltigt.
?Endlich…“
Die Stimme, die mir nur zu vertraut ist, dringt erneut in mein Bewusstsein. Sie klingt wie ein Echo aus einer fernen Erinnerung, eindringlich und doch unwirklich. Hat sie auf mein Eintreffen hier im Nexari gewartet?
?Das ist… seltsam“, murmelt Zyar und wirft einen prüfenden Blick auf die schimmernde Umgebung, als ob er nach etwas sucht, das nicht greifbar ist. ?Ich habe noch nie erlebt, dass das Nexari so… einladend sein kann.“
Sein Tonfall schwankt zwischen Verwunderung und einer leisen Besorgnis, w?hrend die Worte in der ungew?hnlichen Stille des Ortes h?ngen bleiben.