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Kapitel 11: Das Gedankenweben: Die Findung

  Je mehr Zeit ich mit Zyar verbringe und je mehr er spricht, desto st?rker w?chst mein Misstrauen. Sein Verhalten l?sst keinen Zweifel daran, dass er diesen Moment lange herbeigesehnt hat. Er gibt mir keine Gelegenheit, über das Training oder meine Bestimmung nachzudenken – es ist, als wolle er mich in seinen Plan zwingen, ohne mir Zeit für Zweifel zu lassen.

  Es scheint unm?glich, dass er nicht wusste, dass meine Mutter die Macht des Sonatius Mortaeda auf mich übertragen hat. Doch warum, um alles in der Welt, hat er dann achtzehn Jahre gewartet, um mich zurückzuholen? Ihn jetzt darauf anzusprechen w?re sinnlos. Ich kann nicht erwarten, dass er pl?tzlich offen mit mir redet.

  Zu glauben, Zyar habe mich aus reiner Güte vor Lord Louweris und dem K?nig gerettet, war naiv. Er verfolgt seine eigenen Ziele, und ich war lediglich ein entscheidender Teil seines Plans.

  ?Der erste Schritt, das Gedankenweben zu meistern“, erkl?rt Zyar mit ruhiger Stimme. ?Besteht darin, die Herrin deines inneren Ichs zu werden. Jedes Wesen, ganz gleich in welcher Dimension es lebt, ist ein Gefangener seiner eigenen ?ngste, Wünsche und Tr?ume. Unter uns Elindine sind die Losniws diejenigen, die frei von dieser Schw?che sind. Du hast das bestimmt im Buch gelesen, das ich dir gestern gegeben habe.“

  ?Wenn die Losniws so m?chtig sind“, sage ich, ohne ihn aus den Augen zu lassen, ?Warum haben sie nicht l?ngst vor dem Bündnis mit dem Sonatius Mortaeda den Thron erobert? Wenn das Gedankenweben wirklich eine so gewaltige Gabe ist, sollten sie unaufhaltsam sein.“

  Zyar nickt bed?chtig und verschr?nkt die Arme vor der Brust. ?Das sollte logischerweise m?glich sein“, entgegnet er, ?Doch wie du selbst herausgefunden hast, verkürzt die Nutzung der h?heren F?higkeiten die Lebenszeit des Anwenders erheblich. Nur eine Handvoll Losniws hatten jemals die Ausdauer, es zu vollenden. Eldralith und Keldor waren zwei von ihnen.“

  Mein Blick wandert zu den Kairon. K?nnen sie uns h?ren? In der Ferne sitzt Sylas an einem Gartentisch, ganz versunken in das Buch in seinen H?nden. Aus dieser Entfernung kann ich den Titel nicht entziffern.

  ?Um das Gedankenweben zu erlernen, musst du zuerst deinen inneren Konflikt in Einklang bringen“, spricht Zyar ruhig, aber seine Worte haben das Gewicht eines Befehls. Verdutzt starre ich ihn an. ?Setz dich vor die Kairon, auf den Boden, und schlie?e deine Augen.“

  Ich tue, was er verlangt, lasse mich ins feuchte Gras sinken. Die K?lte dringt durch den Stoff meiner Hose, und eine G?nsehaut jagt über meine Haut. Noch einmal gleitet mein Blick zu den Kairon, die ruhig im Wasser treiben, bevor ich die Augen schlie?e und die Welt in Dunkelheit gehüllt wird.

  ?Und was jetzt?“, frage ich, bemüht, dem Drang zu widerstehen, meine Augen wieder zu ?ffnen und mich zu vergewissern, dass nichts Bedrohliches geschieht.

  ?Lass die Kairon deine Seele berühren“, entgegnet er. ?Lenke deine gesamte Aufmerksamkeit auf sie. Sie sind dein Wegweiser.“

  Ich fokussiere mich auf die Kairon, die im Kreis schwimmen, als würde ihnen die Stille selbst geh?ren. Obwohl meine Augen geschlossen sind, sehe ich sie glasklar vor mir. Die Welt wird still, und in dieser Stille h?re ich leise Wassertropfen, die in gleichm??igem Rhythmus auf die Oberfl?che des Wassers fallen. Das sanfte Pl?tschern tr?gt eine tiefe Ruhe in mein Inneres.

  Dann, pl?tzlich, tauchen zwei Gestalten in der Dunkelheit auf: Noctalis und Solaria. Die Zeichen auf ihren Stirnen beginnen, in einem langsamen, hypnotischen Tanz zu verschmelzen, bis aus zwei eins wird. Rasend schnell weicht die Dunkelheit und ein glei?endes Licht bricht hervor, das mich vollst?ndig umgibt und W?rme in die kühle Leere bringt. Der kleine Teich, in dem die Kairon schwammen, hat sich in ein endloses Meer verwandelt.

  ?Atemberaubend“, flüstere ich ehrfürchtig und blicke nach unten, erstaunt, dass ich erneut auf der Oberfl?che des Meeres stehe.

  über mir entfaltet sich ein fantastisches Farbenspiel – ein Kaleidoskop von T?nen, die ineinanderflie?en, harmonisch und lebendig. Doch die Kairon … wo sind sie hin?

  Ein pl?tzliches Zittern durchf?hrt die Wasseroberfl?che. Das Meer beginnt zu vibrieren, und Panik überkommt mich, als ich vergeblich nach Halt suche in diesem unendlichen, tiefen Ozean. Meine Knie zittern, und eine Welle der Furcht kriecht in mir hoch – Furcht vor dem Unbekannten, das vor mir liegt, das ich weder greifen noch verstehen kann.

  Mit einem donnernden Krachen durchbricht ein gewaltiges Wesen die Oberfl?che. Noctalis erhebt sich, die Manifestation der Dunkelheit, so wei? und endlos wie die Nacht selbst, mit Flossen, die sich wie Schwingen in die H?he strecken. Sein K?rper schimmert in den Tiefen des Dunkelblau und Violett, und seine scharfen, leuchtenden Augen funkeln wie kalte Sterne. Salzwasser spritzt in alle Richtungen, riesige Tropfen fallen wie Regen zurück ins Meer, w?hrend Noctalis mit einem m?chtigen Schlag seines Schwanzes in die H?he schie?t. Er schwebt für einen Moment, wie eingefroren in der Luft, bevor er mit einem dumpfen, grollenden Knall zurück in die Fluten stürzt.

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  Kaum ist Noctalis verschwunden, da leuchtet das Wasser in einem warmen, goldenen Schein. Ein neuer Riss ?ffnet sich in den Wellen, und Solaria steigt auf, die Manifestation des Lichts. Ihr K?rper strahlt in einem hellen Gold und Rot, als w?re sie aus purem Sonnenlicht geformt. Ihre schuppige Haut glüht, als fiele das Licht selbst aus ihren Adern in die Dunkelheit der See. Solaria hebt ihren Kopf und st??t einen klaren, melodischen Ruf aus, der wie ein ferner Donner über das Wasser rollt, hell und furchtlos, ein Echo in der stillen Weite.

  Für einen atemlosen Moment stehen sie einander gegenüber — Noctalis und Solaria, Dunkelheit und Licht, zwei uralte Kr?fte, geboren aus der Tiefe des Ozeans.

  ?Vespera“, donnert Noctalis’ Stimme und hallt wie ein dunkler Sturm durch die Luft. Seine Augen, schneewei? und tief wie Abgründe, bohren sich in meine.

  ?Tochter des Gef??es“, f?hrt Solaria sanft, beinahe wie eine Melodie, fort. Ihre schwarzen Augen funkeln unergründlich, als würde sie bereits die Antworten kennen. ?Warum betrittst du unsere Welt? Nenne den Grund.“

  Die Worte bleiben mir im Halse stecken. Vor mir ragen die Kairon auf – Wesen von gewaltiger Pr?senz, die ich mir kaum vorstellen konnte. Einst klein und unscheinbar in meinen H?nden, sind sie nun wie gewaltige Berge, die auf mich herabblicken, eindringlich und unbeweglich.

  Mit zittriger Stimme antworte ich: ?Ich… ich muss das Gedankenweben erlernen.“ Die Wahrheit brennt auf meiner Zunge, doch ich spüre, dass sie es bereits wissen. ?Der Sonatius Mortaeda hat mich als sein Gef?? erw?hlt.“

  Ein Schweigen legt sich über den Ozean, schwer und unerbittlich. Nur das Brausen der Wellen durchbricht die Stille, übert?nt den wilden Schlag meines Herzens.

  ?Isilyn Entium hat Schw?che gezeigt“, grollt Noctalis mit düsterem Zorn in den Augen. ?Und du? Wirst du dich deinem Schicksal stellen?“

  Mein Inneres b?umt sich auf. Schicksal. Dieses Wort tr?gt das Gewicht einer Last, die ich kaum zu fassen wage. Doch der Gedanke an Elindros ist wie ein Anker. Wenn ich den Sonatius Mortaeda ablehne, setze ich den Frieden aufs Spiel.

  ?Ja“, sage ich z?gerlich und spüre die Furcht in meiner Stimme. ?Ich… ich muss mich ihm stellen. Elindros darf nicht den Kr?ften des B?sen überlassen werden.“

  ?Wer aber definiert, was gut und b?se ist?“ Seine Augen bohren sich in mich, als suche er die Antwort, die ich mir selbst nicht eingestehen kann.

  Solaria tritt vor, ihre Stimme ein sanfter Hauch: ?Du hast lange unter Menschen gelebt, Vespera. Auch wenn der Sonatius Mortaeda dich auserw?hlt hat, k?nntest du dich gegen uns stellen, auf die Seite der Losniw treten. Doch du hast eine Wahl getroffen.“ Ihre Augen funkeln wie Sterne am tiefen Nachthimmel. ?Warum?“

  Ein Knoten schnürt sich in meiner Brust zusammen. W?ren mir die Losniw früher begegnet… vielleicht h?tte ich mich gegen die Solniw gewandt. Vielleicht w?re alles anders gekommen. Doch jetzt… jetzt sind sie mir vertraut, und ich spüre, wie eine Antwort aus meinem Innersten hervorbricht.

  ?Ich will den Guten helfen.“ Die Worte verlassen meine Lippen, doch sie klingen fremd, unsicher, als seien sie nur eine Illusion.

  Die Kairon starren mich an, unergründlich und kalt. Dann pfeift Solaria, ein Laut, der durch den Ozean schneidet wie ein Schwert. Pl?tzlich verschwindet sie in den Tiefen, und Noctalis tritt vor. Seine Flosse hebt sich, gewaltig und gnadenlos, bevor ich auch nur einen Laut des Protests aussto?en kann.

  ?Stelle dich deinen ?ngsten.“

  In einem blitzartigen, schrecklichen Augenblick spüre ich seine Flosse durch meinen K?rper gleiten. Ein unvorstellbarer Schmerz durchzuckt mich, bricht in Wellen über mich herein, als würde ich in zwei H?lften geteilt.

  Mit einem Keuchen rei?e ich die Augen auf – und finde mich im Garten von Zyar wieder. über mir hockt Sylas, sein Gesicht vor Besorgnis angespannt. Neben ihm steht sein Vater, mit kaltem, abw?gendem Blick. Ich blicke hinunter… und sehe das warme Rot auf meiner Haut, das sich über meinen Bauch ausbreitet.

  ?B-Blut?“ Ein Schrei entf?hrt mir, panisch und ungl?ubig, als ich meine Hand auf die Wunde lege. ?Aber… das war doch nur…“

  Ohne ein Wort legt Sylas seine H?nde über meine. Ich spüre eine kühle Welle, die sich um meine Verletzung legt – Wasser, das sich wie eine schützende Schicht formt und den Schmerz lindert.

  ?Eine Narbe wird bleiben“, sagt Zyar nüchtern und emotionslos. ?Noctalis und Solaria sind nicht überzeugt von deiner Entschlossenheit. Hast du gelogen – oder bist du dir selbst unsicher?“

  ?Unsicher?“, zische ich emp?rt und spüre die Wut über seine Gleichgültigkeit. ?Ich wurde von diesen Wesen in zwei H?lften gerissen! Und alles, was du denkst, ist, ob ich die richtige Antwort gegeben habe?“

  Zyar zuckt kaum merklich die Schultern. ?Sylas heilt dich bereits“, entgegnet er kühl. ?Also erz?hl mir von deinem Gespr?ch mit den Meistern.“

  Das Mitgefühl, das ich erwartet habe, bleibt aus. Stattdessen bleibt nur das Bild jener Kairon, weise und erhaben, die mich zertrennt haben – und dabei nichts als eine tiefe Wunde hinterlie?en.

  ?Sie glauben nicht an meine Absicht, die Losniw zu bek?mpfen“, antworte ich, noch immer überw?ltigt von den Schatten, die die Begegnung in mir zurückgelassen hat.

  ?Die Kairon irren sich niemals“, erkl?rt Zyar mit fester überzeugung, sein Blick durchdringend wie ein Blitz in der Dunkelheit. ?Warum k?mpfst du an unserer Seite?“

  ?Nun…“, stottere ich. ?Du hast gesagt, dass die Losniws die Macht des Sonatius Mortaeda an sich rei?en wollen, um den Thron zu besteigen. Das darf einfach nicht geschehen!“

  ?Aber warum nicht?“, fragt der Mann, sein Interesse brennt jetzt wie ein loderndes Feuer, und das Desinteresse, das ihn zuvor umhüllte, ist wie ein Schatten in der D?mmerung verschwunden. ?Die Machtübernahme der Losniws w?re doch ein Vorteil für dich!“

  ?Ich habe mich in der Menschenwelt nur nach Frieden gesehnt“, entgegne ich, w?hrend meine Gedanken zu den Mauern des Schlosses wandern, die mich all die Jahre gefangen gehalten haben. ?Diese kostbaren Stunden sind die ersten, die ich in Freiheit erlebe. Wenn die Losniws tats?chlich die Kontrolle an sich rei?en und mit ihrer neuen Ordnung den Frieden in Elindros zunichte machen wollen, werde ich nicht tatenlos zusehen! Ich werde mich gegen sie erheben!“

  Trotz Zyars unb?ndiger überzeugung flüstert mein Herz mir zu, dass meine Entscheidung, auf der Seite der Solniw zu stehen, die einzig richtige ist. Ich darf mich nicht von meinen Emotionen leiten lassen. In Elindros droht ein Krieg, ein Sturm, der alles mit sich rei?en k?nnte, und diesen werde ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern.

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