Zyar zeigt deutlich mehr Interesse daran, ob die Kairon mich akzeptiert haben und seine Pl?ne damit voranschreiten k?nnen, als an meinem Wohlergehen. Die Wunde an meinem Bauch, die Sylas sorgf?ltig versorgt, scheint ihn überhaupt nicht zu kümmern. Da ich mein Leben weit entfernt von den Losniw verbracht habe, ist er überzeugt, dass meine Kr?fte irgendwo tief in mir schlummern und darauf warten, erweckt zu werden. Seiner Meinung nach besitzt jeder Elindine ab dem fünften Lebensjahr die Kr?fte seines Dorfes. Dass ich noch nicht über meine verfüge, liegt seiner Ansicht nach an meiner Unentschlossenheit.
?Was hast du ihnen denn gesagt, dass sie dich so aus ihrer Welt verabschiedet haben?“, fragt Zyar, vollkommen fassungslos, und schaut mich abwartend an. ?Vespera, das ist kein kleines Spiel!“
?Das wei? ich doch!“, erwidere ich emp?rt. Ich stehe auf, und Sylas zieht seine H?nde zurück, um mich nicht zu bremsen. ?Aber wie soll ich auf die Frage antworten, warum ich auf der Seite der Solniw stehe?“
?Du sagst ihnen, dass die Losniw nichts Gutes im Sinn haben und du Elindros einen Gefallen tun willst, indem du dich gegen Losnat stellst!“, erwidert er au?er sich. ?So schwer kann das doch nicht sein!“
?K?nntest du dich gegen deinesgleichen stellen?“, frage ich zurück, merke aber sofort, dass das ein Fehler war.
Zyar sieht mich nun fragend an, die Arme vor der Brust verschr?nkt. Unruhig klopft er mit dem Fu? auf das Gras. ?Du hast keinen Grund, dir diese Frage zu stellen. Du bist schlie?lich nicht in Losnat aufgewachsen.“
?Das stimmt“, gebe ich zu, und dennoch spüre ich eine tiefe Trauer in mir. All die Jahre habe ich in der Menschenwelt keinen Platz gefunden, weil ich eigentlich nach Losnat geh?re. ?Aber ich kann nicht einfach blind auf eure Seite treten. Ich brauche einen Beweis, dass die Losniw wirklich so schrecklich sind, wie du mir weiszumachen versuchst.“
?Einen Beweis also?“, fragt Zyar, als wolle er sicherstellen, dass er mich richtig verstanden hat. ?Offenbar bist du noch nicht bereit, diese Wahrheit zu akzeptieren. Aber meinetwegen kannst du dich vor deiner Bestimmung drücken. Das ist nicht der erste Fall in deiner Familie.“ Er spricht von meiner Mutter. Waren sie nicht einmal Freunde? Wie kann er so über sie reden? ?Erwarte aber nicht, dass dir in Elindros noch jemand freundlich begegnet, wenn sie herausfinden woher du wirklich kommst.“
Sylas schweigt. Er hat sich vom Boden erhoben und steht nun still neben seinem Vater. Trotz all seiner Bemühungen um mein Wohl hat er sich bei diesem Thema auf keine Seite gestellt. Auch er muss tiefen Hass für die Losniw empfinden, wenn er mir in dieser Sache keinen Beistand leistet. Warum? Warum kümmert er sich dann überhaupt um mich?
?Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“, frage ich, die Augenbraue skeptisch erhoben. ?Soll ich das neue Gef?? des Sonatius Mortaeda werden, nur um den Elindine Genugtuung zu verschaffen? Soll ich die erste Losniw sein, die um Vergebung für die Taten meiner Vorfahren bittet? Was genau erwartest du von mir?“
?Genau das sollst du tun“, antwortet Zyar mit einem bitteren Blick, der den Hass auf die Losniw widerspiegelt. Was ist der Ursprung dieses Hasses? Der Verrat von Velris Entium kann doch nicht 500 Jahre anhalten! ?Du, Vespera Entium, sollst diejenige Losniw sein, die den Frieden nach Elindros bringt. Du sollst dich auf die Seite der Guten stellen und die Kraft des Urwesens bewahren.“
?Und was ist mit den Losniw nach mir?“, frage ich entsetzt. ?Was geschieht, wenn das n?chste Gef?? nicht unter eurer Kontrolle steht? Wer wei?, ob du zu dieser Zeit überhaupt noch leben wirst, wenn die letzten acht Gef??e innerhalb von 500 Jahren geboren wurden!“
Zyar schweigt, sieht mich aber mit einer Intensit?t an, die keine Zweifel l?sst. Er seufzt und l?sst die Arme sinken. ?Nun gut. Deine Aufgabe ist es, Losnat vom jetzigen Stammesoberhaupt zu befreien. Du bist nicht die rechtm??ige Anw?rterin auf den Thron, aber es war einfacher, dir das auf der Oberfl?che des Meeres zu sagen, als dir die Geschichte der Solniw und Losniw in kurzer Zeit zu erkl?ren.“
?Den Stammesoberhaupt von Losnat?“, wiederhole ich und sehe ihn neugierig an. ?Wer ist dieser Elindine, und welche Taten hat er begangen, dass er beseitigt werden muss?“
?Drelos Entium“, antwortet Zyar ohne Z?gern. ?Ein schrecklicher Elindine, der sein eigenes Volk unterdrückt. Du musst ihm die Macht nehmen und verhindern, dass das n?chste Gef?? wieder in die H?nde dieser machtgierigen Losniw f?llt.“
Einen Oberhaupt stürzen? Einen K?nig zu Fall zu bringen ist bereits ein gewagtes Unterfangen, aber einen gewaltt?tigen Elindine?
?Was, wenn ich es schaffe ihn mit einer Macht zu überw?ltigen, die ich aktuell nicht besitze?“, frage ich und schaue Zyar herausfordernd an. ?Was passiert dann? Solange niemand wei?, wo sich der Sonatius Mortaeda befindet, gibt es kein neues Gef?? in Elindros. Was, wenn Drelos Entium die Antwort kennt, uns aber nicht verr?t, solange wir nicht mit ihm zusammenarbeiten?“
?Ich vermute, dass du mit dem Erlernen des Gedankenwebens direkten Kontakt zum Urwesen herstellen kannst“, sagt Zyar zuversichtlich.
?Also soll ich wieder auf einer blo?en Vermutung basierend handeln?“, lache ich, schüttele den Kopf und bin entsetzt. ?Gut, nehmen wir an, ich vertraue deinen Worten und gehe diesen Weg: Wie soll ich die Kairon von mir überzeugen?“
?Sie kennen dein Herz, Vespera“, erkl?rt Sylas mit ruhiger Stimme. ?Deine Worte sind nur Nebensache. Deine Bestimmung ist es, jene Elindine zu schützen, die nichts Falsches getan haben, au?er leben zu wollen. Dasselbe gilt für die Losniw. Jene unter ihnen, die nur gute Absichten hegen, verdienen deinen Schutz. Das Gef?? des Sonatius Mortaeda ist ein Licht in der allgegenw?rtigen Dunkelheit in Elindros.“
Trotz all meiner Einw?nde und Widerst?nde m?chte ich Zyar und Sylas bei der Umsetzung dieses Plans helfen. Sicher, Losnat ist mein Heimatdorf, der Ort, an dem ich m?glicherweise hingeh?re. Doch es ist Schicksal, dass genau ich das Gef?? des Urwesens geworden bin. Meine Begegnungen mit Noctalis und Solaria haben bereits ihre Spuren hinterlassen. Ich war unsicher, z?gerte, mich gegen die Losniw zu stellen — doch nun fühle ich Klarheit, habe einen Entschluss gefasst: Um eine Entscheidung zu treffen, muss ich diese Welt mit eigenen Augen sehen, Solnya, Losnat und alle Orte dazwischen verstehen. Meine Augen müssen der Wahrheit entgegenblicken und somit wird mein eigener Pfad erleuchtet.
?Ich werde euch beiden zur Seite stehen“, gebe ich schlie?lich zu, und die Entschlossenheit in meiner Stimme ist unüberh?rbar. ?Wenn es sein muss, werde ich das neue Gef?? des Sonatius Mortaeda werden, um seine Macht vor den Losniws zu bewahren. Ich stelle mich dieser Aufgabe.“
Die Vorstellung, meine Seele und meinen K?rper mit diesem m?chtigen Wesen zu teilen, erfüllt mich mit tiefer Angst. Doch wenn dies die einzige M?glichkeit ist, das drohende übel abzuwenden, werde ich mich meinem Schicksal nicht l?nger entziehen. Ich sehe Zyar an, und in seinem Blick erkenne ich Zufriedenheit – aber auch eine Spur von Sorge, die sich in den Falten seiner Stirn widerspiegelt. Keine Sorge um mich, sondern… um etwas anderes. Aber was?
?Das ist ein guter Anfang“, sagt er mit fester Stimme. ?Dennoch wird diese Reise eine gr??ere Herausforderung darstellen, da wir die aktuelle Lage in Losnat nicht kennen.“
?Wei? der K?nig nicht, was seine Untergebenen treiben?“, frage ich ungl?ubig.
?Der K?nig interessiert sich nur für das, was ihm selbst schadet“, seufzt Zyar. ?Er ist besessen von seiner Macht. Dareth Feroy hat mit Velris und ihren Leuten eine Abmachung getroffen: Solange die Machtk?mpfe im Dorf bleiben, l?sst er sie gew?hren. Ihn interessiert nur die Macht des Sonatius Mortaeda.“
Ein K?nig, der sein Volk an zweiter Stelle setzt und Vereinbarungen trifft, die nur ihm selbst zugutekommen – abscheulich! Ein K?nig sollte sein Reich beschützen, nicht heimliche Abmachungen treffen.
?Und was ist der Plan, wenn niemand wei?, wo der Sonatius Mortaeda sich befindet?“, will ich wissen. ?Ich kenne Elindros nicht in seiner ganzen Gr??e, aber die ganze Welt abzusuchen, w?re unm?glich. Oder soll ich direkt morgen nach Losnat reisen? Zum anderen Ende von Elindros?“
Zyar hebt die Hand. ?Konzentriere dich auf das Gedankenweben. Das Planen überlasse mir. Sylas wird mir helfen.“ Er wendet sich an seinen Sohn. ?Wir haben viel zu tun, und das muss geschehen, bevor Vespera ihre Kr?fte erweckt.“
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Sylas nickt und kommt auf mich zu. Sein Blick bleibt für einen Moment auf meiner versorgten Bauchwunde h?ngen. ?Bevor du dich schlafen legst, muss ich sie noch einmal behandeln“, sagt er mit einem sanften L?cheln – das Einzige, was in dieser kalten Welt W?rme ausstrahlt.
Beide gehen ins Haus, und ich bleibe mit den Kairon allein zurück. Die beiden Fische mustern mich unabl?ssig, und seit unserer letzten Begegnung fühle ich mich unwohl in ihrer Gegenwart. Aber ich habe keine Wahl. Wenn ich das Gedankenweben meistern will, muss ich ihre Prüfung bestehen. Ich wei?, es wird mir alles abverlangen, doch ein erster Fehlschlag kann mich nicht aufhalten.
Entschlossen trete ich den m?chtigen Wesen entgegen, die, obwohl sie im Vergleich zum Sonatius Mortaeda unwichtige Schachfiguren sind, mir dennoch Furcht einfl??en. Diesmal steigen sie nicht aus den Tiefen des Ozeans auf; stattdessen schwimmen sie im Kreis, wie im Garten von Zyar, und ich stehe in ihrer Mitte.
?Das Gef?? hat eine Entscheidung getroffen“, verkündet Noctalis, seine Stimme gef?hrlich und kalt. ?Sprich, was ist deine Antwort?“
Solaria tritt hinzu: ?Wofür k?mpfst du, Vespera Entium?“
?Für mich selbst“, antworte ich und spüre die Gewissheit in mir, die Klarheit meiner Entscheidung. Die Kairon schweigen, ihre Kreise bleiben ruhig. ?Ich wei? nicht, ob mich diese Wahl in ein besseres Elindros führen wird. Doch niemand, kein Elindine und kein anderes Wesen, kann dies von mir verlangen. Ich werde an der Seite derer k?mpfen, die sich mit mir für den Frieden einsetzen. Aber zuerst werde ich Elindros selbst verstehen und herausfinden, was der Begriff ?Frieden‘ in dieser Welt bedeutet.“
Noctalis und Solaria stehen sich gegenüber, ihre Blicke miteinander verschmolzen, durchdringend und voller unausgesprochener Bedeutungen. Kein Windhauch, kein Wogen des Meeres kann meine Sinne von der Schwere des Moments ablenken. In meiner Brust h?mmert mein Herz wie wild, und eine l?hmende Angst durchzieht mich – die Angst, dass sie mich wieder versto?en k?nnten, dass sie mir keine zweite Chance gew?hren werden. Diese Furcht erstickt meinen Atem.
?Erwacht durch das Blut…“, spricht Noctalis mit einer Stimme, die wie das Rauschen eines stürmischen Windes klingt.
?…gebunden durch das Schicksal“, fügt Solaria mit einer Melodie hinzu, die tief in meiner Seele widerhallt.
Gleichzeitig, als w?ren ihre Stimmen ein einziges Wesen, rufen sie: ?Seiest du das Gef?? wie auch deine Vorg?ngerinnen. Erfülle deinen Zweck und diene der Vereinbarung. Von nun an sei dein Leben nicht mehr dein und dein Leib nicht mehr allein.“
Die Kairon schwimmen mit jeder vergehenden Sekunde schneller im Kreis. Der entstehende Wirbelwind stellt meine Haare zu Bergen und das Meer wütet. Die Farben von Noctalis und Solaria verschmelzen ineinander, ihre Form ist unerkennbar, ein Wirbel aus Licht und Dunkelheit.
Pl?tzlich wird die Welt um mich in tiefste Dunkelheit getaucht. Das einzige, was meine Sinne zu erreichen vermag, ist ein schwaches Leuchten in der Ferne. Ohne nachzudenken beginne ich, mich darauf zuzubewegen, als ob eine unsichtbare Macht mich dahinführt. Mit jedem Schritt, den ich mache, nimmt das Leuchten Gestalt an.
Es ist ein S?ugling. Ruhig, friedlich, als ob er nichts von der Welt wüsste. Ich h?re das zarte, gleichm??ige Atmen, als würde es direkt in meinem Ohr geschehen. In dieser Dunkelheit gibt es niemanden au?er mir, niemanden au?er diesem Kind, das – was auch immer es ist – vollkommen allein in dieser Leere ist. Ich beuge mich über die Wiege, um das Gesicht des Kindes genauer zu betrachten.
Und dann geschieht es. Der S?ugling ?ffnet seine Augen – eines blutrot, das andere in einem leuchtenden Gold. Seine Blicke durchdringen mich, als wollten sie mein Innerstes ausl?schen, und ein eisiger Schreck durchzuckt meinen K?rper. Mein Instinkt fordert mich auf, zurückzuspringen, doch eine unsichtbare Macht h?lt mich gefangen, zwingt mich, in der Dunkelheit zu verharren.
In einem einzigen, erschütternden Moment fliegen Bilder vor meinen Augen, Bilder, die ich nicht begreifen kann, die mich zu zerrei?en drohen. Ein verlassenes, düsteres Dorf, von dem keine Hoffnung ausgeht. Der S?ugling wird von einer Frau in die Dunkelheit eines Hauses getragen – eine Frau mit langen, schneewei?en Haaren und grünen Augen, in denen sich die Sorge wie ein Nebel legt.
Ist es m?glich? Kann es sein, dass diese Frau… meine Mutter ist? Und der S?ugling – bin das etwa… ich? Doch wie? Wo befinde ich mich – in der Welt der Menschen oder in Elindros?
Die Frau streicht sanft über das Haar des Kindes, eine Tr?ne rollt ihr die Wange hinab, als sie einen Finger an dessen Stirn legt. Der S?ugling bricht in einen lautstarken Schrei aus, ein Schrei, der mich mit solcher Wucht trifft, dass ich wie ein Blatt im Sturm zurückgeschleudert werde. Doch anstatt zu Boden zu stürzen, finde ich mich in einer aufw?rts führenden Bewegung wieder. Der blaue Himmel erstreckt sich über mir, als h?tte er mich aufgesogen, um mich fortzutragen.
Bevor ich begreifen kann, was geschieht, schie?t mein K?rper mit rasender Geschwindigkeit wieder nach unten – und dann, als h?tte das Universum mich selbst zurückgeworfen, finde ich mich pl?tzlich wieder vor den Kairon. Panisch fahre ich mit meiner Hand an meine Stirn und spüre ein Pulsieren, das sich tief in mir einnistet, als h?tte die Frau aus der Vision mir genau diesen Schmerz auferlegt.
?Alles in Ordnung?“ Sylas’ besorgte Stimme erreicht mich, als er sich zu mir herunterkniet. Seine Augen fliegen rasch zu Noctalis und Solaria, die still wie W?chter alles beobachten. ?Die Kairon haben sie dir gezeigt.“
?Was… was haben sie mir gezeigt?“, stammele ich, immer noch benommen von der Vision, die mich erschüttert hat.
?Bruchstücke deiner Vergangenheit“, sagt Zyar mit leiser Stimme, w?hrend er mich mit einem Blick voller unergründlicher Tiefe fixiert. ?Sie haben die Blockade in deinem Unterbewusstsein gel?st und das Gedankenweben erm?glicht.“
Eine Erkenntnis überkommt mich: ?Ich habe den ersten Schritt geschafft!“ Doch eine Frage brennt mir auf der Seele. ?Warum fühlte ich das pulsierende Leiden an meiner Stirn, als h?tte die Frau in meiner Vision mir und dem S?ugling dieselben Qualen zugefügt?“
?Ganz einfach“, erwidert Zyar mit ernstem Ausdruck. ?Du warst dieser S?ugling. Dein K?rper wurde damals zum Gef?? für den Sonatius Mortaeda.“
?Dann trug meine Mutter ihn in sich! Doch warum ist das Wesen dann nicht zu finden?“, frage ich mit bebender Stimme.
?Das werde ich herausfinden“, sagt Zyar nachdenklich und r?t mir, Kr?fte für die morgige Aufgabe zu sammeln. Ein Protest will mir über die Lippen kommen – doch mein K?rper verlangt dringend nach Ruhe.
?Ich werde dich ein wenig durch das Dorf führen“, kündigt Sylas mit einem sanften L?cheln an, das mir gleichzeitig ein prickelndes Gefühl der Nervosit?t und Hoffnung bereitet. ?Keine Sorge, die Solniw haben bereits von deiner Ankunft erfahren. Soran Vaylon, der jetzige Anführer von Solnya, hat es gestattet, dass du für den Anfang deiner Reise hier im Dorf verweilen kannst.“
?Macht es denn niemandem etwas aus, dass das Gef?? wieder nach Elindros zurückgekehrt ist?“, frage ich mit einem Hauch von Besorgnis in der Stimme. ?Gilt das nicht als schlechtes Omen?“
Sylas schüttelt mit einem entschlossenen Kopfschütteln den Kopf, als w?re die Vorstellung, dass meine Ankunft in Elindros Unheil bringen k?nnte, v?llig abwegig. ?Im Gegenteil“, sagt er und seine Stimme wird leiser, fast ehrfürchtig. ?Wie bereits gesagt, bist du für viele Elindine ein Hoffnungsschimmer. Elindros war schon lange kein sicherer Ort mehr. Für uns bist du die Rettung, auf die wir verzweifelt gewartet haben – die Erl?sung, die uns in den dunkelsten Stunden versprochen wurde.“
Seine Worte durchdringen mich wie ein Strahl der Hoffnung und entfalten sich in mir zu einer glühenden Gewissheit. In der Menschenwelt, in der schon Kriege geführt werden, nur um L?ndereien oder Reichtümer zu erlangen, hatte ich mir nie wirklich vorstellen k?nnen, dass auch Elindros von solchen K?mpfen erschüttert werden k?nnte – einer Welt, die von Kr?ften und Wundern durchzogen ist. Wie naiv war ich, zu glauben, dass hier alles anders w?re.
Doch die Weite dieser Welt, das unbekannte Terrain jenseits von Zyars Anwesen, füllt mich mit einer unangenehmen Beklommenheit. Bisher habe ich nur den Vater und seinen Sohn kennenlernen dürfen – keine anderen Solniw. Aber an Sylas’ Seite stehe ich bereit, allen Gefahren entgegenzutreten, die vor mir liegen.
Zyar hat uns nicht begleitet. Er entschied sich, zu Hause zu bleiben, um Nachforschungen anzustellen, und so gehen nun nur Sylas und ich durch die Stra?en von Solnya. Und erstaunlicherweise finde ich Gefallen an dieser unerwarteten Situation. H?tten normale M?dchen in meinem Alter Interesse an einem Alleingang mit einem gutaussehenden Mann? Sollte ich mir solche kindischen Gedanken überhaupt erlauben? Früher war ich die totgeglaubte Prinzessin der Menschenwelt, und nun bin ich die lang ersehnte Retterin von Elindros – diejenige, die alles ver?ndern k?nnte.
?Du solltest nicht zu viel über das Nachdenken, was vor dir liegt“, flüstert Sylas pl?tzlich, seine Worte wie ein beruhigender Hauch in der Hitze des Moments. Er hat mich bemerkt, wie ich in meinen Gedanken verloren bin, und mich sanft in die Realit?t zurückgezogen. ?Seit deiner Flucht aus der Menschenwelt bist du ununterbrochen mit neuen Herausforderungen konfrontiert worden. Denkst du nicht, dass auch du eine Pause verdient hast?“
Ich m?chte mich nicht mehr wehren. Es fühlt sich an, als w?re der Widerstand sinnlos, als w?re die Kraft in mir verbraucht. Er hat recht mit seinen Worten – sie hallen in meinem Inneren nach, wie eine unaufhaltsame Wahrheit.
?Ich werde dir ein neues Gesch?ft zeigen, das vor kurzem er?ffnet hat“, sagt Sylas, seine Stimme ruhig, aber bestimmt. ?Magst du Fisch?“
Ich z?gere einen Moment, spüre die Schwere der Frage und stehe an einem inneren Abgrund. ?Ich esse kein Fleisch“, gestehe ich schlie?lich, die Worte flie?en schwer über meine Lippen. Er schaut mich überrascht an, und ich kann f?rmlich die Frage in seinem Blick lesen.
?Mir gef?llt der Gedanke nicht, andere Lebewesen zu verspeisen“, füge ich hinzu, und die Erinnerung kommt mit einem Schlag, wie ein alter Schatten, der mich pl?tzlich in die Dunkelheit zieht. Ich erz?hle ihm von meiner Vergangenheit und den Grund für die Fleischverweigerung. Ich blicke auf den Boden, als ob ich den Hühnerschenkel noch vor mir sehe, als ob ich die blutigen Erinnerungen riechen k?nnte. Mein Magen zieht sich zusammen, und die Bilder aus dieser Zeit – das Ger?usch, der Geschmack – überfluten mich. ?Ich habe mich im Anschluss übergeben“, murmle ich.
?Ich verstehe“, antwortet Sylas, seine Stimme ged?mpft, beinahe entschuldigend. ?Verzeih, wenn ich alte Wunden aufgekratzt habe. Wir müssen auch nicht hingehen.“
Doch etwas in mir wehrt sich gegen den Rückzug, gegen das Verbergen der Schw?che. ?Aber nein“, sage ich hastig und schüttle die H?nde, als k?nnte ich die Worte vertreiben. ?Lass uns dorthin gehen. Vielleicht gibt es andere Gerichte, die ich probieren kann.“
Sylas l?chelt, und in diesem Moment, als sein L?cheln wie ein sanfter Sonnenstrahl in mein Herz f?llt, spüre ich ein Aufblühen in mir. Eine W?rme breitet sich aus, die ich lange nicht mehr gefühlt habe – ein Funken Freude nach all der Trauer, die mich so lange gefangen hielt.