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Kapitel 2: Ein wichtiger Gast

  Am n?chsten Morgen erwache ich früh, lange bevor die K?nigin in meinem Zimmer eintreffen kann. Obwohl ich die gestrige Nacht in Gedanken versunken verbracht habe, gelingt mir das Aufstehen überraschend leicht. Die Sonne strahlt durch mein Fenster, und vom Sturm des vergangenen Abends fehlt jede Spur – zumindest optisch. Als ich die Fenster ?ffne und einen tiefen Atemzug nehme, erfüllt der erdige Duft von Petrichor die Luft. Zufrieden atme ich aus und genie?e die erfrischende Klarheit des Morgens.

  Doch meine Gedanken kehren sofort zu der Gestalt zurück, die ich inmitten des Sturms erblickt hatte. Ob sie mit dem Wind und den Blitzen verschwunden ist? Wie gern h?tte ich ihr Gesicht gesehen! W?re mein Vater in diesem Moment nicht im Raum gewesen, h?tte ich vielleicht etwas mehr herausfinden k?nnen. War die Gestalt eine Frau? Wenn ja, k?nnte sie diejenige gewesen sein, die mir gestern durch diese mysteri?se Stimme in meinem Kopf begegnete. Es schmerzt mich, dass ich die Antworten auf all diese R?tsel fast in greifbarer N?he hatte und sie mir dennoch entglitten sind.

  Vielleicht hat mein Vater Antworten? Wenn in Velarion – unserem K?nigreich – Menschen mit solchen F?higkeiten existieren, müsste er doch davon wissen. Ob ich ihn heute Abend w?hrend der Feier darauf ansprechen kann? Nach seinem gestrigen Verhalten verspüre ich tats?chlich eine leise Vorfreude auf unser n?chstes Zusammentreffen. Allerdings wird der Tag bis dahin von K?nigin Mayyira und ihren Bediensteten dominiert, die mich auf die Feier vorbereiten werden. Da es meine erste Veranstaltung dieser Art ist, fühle ich mich unsicher und v?llig unerfahren.

  ?Wie wundersch?n das Wetter heute ist,“ flüstere ich leise, w?hrend die Sonne auf meine Haut f?llt. Die W?rme, die ich spüre, k?nnte vom strahlenden Wetter herrühren – oder von meinem eigenen Gefühlszustand. Seltsam, wie mein Herz sich pl?tzlich leichter anfühlt. Ob mein Vater wirklich all die Jahre darauf hingearbeitet hat, diesen Tag zu einem glanzvollen H?hepunkt zu machen? War die Isolation Teil eines Plans, mich zu einer perfekten Prinzessin zu formen? K?nnte er mich tats?chlich lieben?

  Meine Gedanken werden unterbrochen, als die Tür zu meinem Zimmer aufschwingt. L?chelnd blicke ich über die Schulter, doch mein L?cheln vergeht augenblicklich. Vier Frauen treten ein, alle mit gesenktem Haupt, jede von ihnen tr?gt eine Kleiderpuppe mit einem pr?chtigen Gewand. Die Kleider sind atemberaubend – jedes scheint das vorherige an Sch?nheit zu übertreffen.

  Ich erinnere mich an eine Zeit vor K?nigin Mayyira, als das Schloss von Lachen erfüllt war. Doch mit ihrer Ankunft ?nderte sich alles. Freude wurde verboten, Gel?chter streng bestraft. Wer sich nicht an ihre Regeln hielt, wurde sofort entlassen. Viele der damaligen Bediensteten habe ich nie wieder gesehen, und ich frage mich, ob sie jemals eine neue Anstellung gefunden haben. Unter dem direkten Einfluss der K?nigin leben die Diener in st?ndiger Angst, besonders jene, die für mich verantwortlich sind. Ihre Strenge ist bei mir unertr?glich – fast scheint es, als h?tte sie ihre Boshaftigkeit einzig für mich perfektioniert.

  Trotzdem, nur für heute, entscheide ich mich, ihre Grausamkeit zu ignorieren. Es ist meine erste Feier, und ich will sie genie?en, so gut ich kann. Jahrelang habe ich versucht, meinen Vater zu überreden, mich zu Verwandten zu schicken, irgendwohin, wo ich frei sein k?nnte – an die frische Luft, weit weg von dieser bedrückenden Umgebung. Aber meine Bitten blieben unbeachtet. Mein Vater, der einst liebevoll gewesen sein muss, hat sich ver?ndert. Ich erinnere mich an ein Gem?lde, das uns beide zeigt, mich als Kind auf seinem Scho?, unsere Gesichter strahlend vor Freude. Doch dieses Gem?lde verschwand, und mit ihm die Hoffnung, jemals diese Version meines Vaters zurückzubekommen. Obwohl ich mir nicht zur G?nze im Klaren bin, ob er je ein solch guter Mensch war, oder ich mir diese sch?ne Vergangenheit nur einbilde.

  ?Du sollst dich für eines dieser Kleider entscheiden,“ ert?nt pl?tzlich K?nigin Mayyiras kalte Stimme, die mich in die Realit?t zurückholt. Sie steht in der Tür, ihre Augen voller überheblichkeit, w?hrend sie auf mich herabblickt. ?Du kannst dich glücklich sch?tzen, dass diese Gew?nder extra für dich von den besten Schneidern in Silberhain angefertigt wurden. Dein Vater hat Gro?herzog Aldric beauftragt, sie n?hen zu lassen.“

  Silberhain. Gro?herzog Aldric. Sein Name ist mir vertraut, obwohl ich den Mann selbst nie gesehen habe. Er ist ein ehemaliger H?ndler, der für seine au?erordentlichen F?higkeiten im Handel in den Adelsstand erhoben wurde. Ein Teil von mir bewundert diesen Aufstieg – der andere fragt sich, welche Geschichten hinter diesem Titel verborgen liegen.

  ?Ich bedanke mich für diese Gro?zügigkeit“, murmle ich schlie?lich, meinen Blick starr auf die Kleider gerichtet. Aber meine Gedanken sind weit entfernt, bei der Gestalt aus der letzten Nacht und dem r?tselhaften Wandel in den Augen meines Vaters.

  Meine Augen bleiben an einem bestimmten Meisterstück h?ngen. Ein weinrotes Ballkleid, dessen ?rmeln an den Schultern elegant runterh?ngen. Ich stelle mich vor den Spiegel und überlege, wie dieses Kleid an mir aussehen würde.

  Die K?nigin mustert mich mit einem sp?ttischen L?cheln, das ihre makellosen Züge unterstreicht. ?Ob du einem dieser Kleider gerecht wirst, ist natürlich nicht zu erwarten“, sagt sie, ihre Stimme triefend vor Sarkasmus. ?Schlie?lich hast du nicht die Statur einer Frau. Dein K?rper ist viel zu kurvig, zu weich – zu viel Fleisch auf den Knochen.“ Ihre Worte treffen wie Nadeln, doch sie lacht amüsiert, als w?re es nur ein Spiel.

  Die K?nigin selbst ist eine Frau von imposanter Erscheinung. Ihre aufrechte Haltung, ihre schlanke Statur und das stets perfekt frisierte Haar machen sie zu einer imposanten Figur. Ich habe sie noch nie in einer nachl?ssigen Aufmachung gesehen – ihr Stolz und ihre Disziplin lassen so etwas nicht zu. Aber was wirklich ins Auge f?llt, ist die kühle Dominanz, die sie ausstrahlt. Ihre verschr?nkten Arme und der durchdringende Blick sagen mehr als Worte. Im Raum herrscht bedrückendes Schweigen; die Bediensteten wagen es kaum, zu atmen, aus Angst, die Aufmerksamkeit der K?nigin auf sich zu ziehen.

  ?Ich w?hle das rote Kleid“, sage ich schlie?lich, ohne die anderen Optionen zu beachten. Mein Blick bleibt starr auf das einzige Kleid gerichtet, das mir ins Auge gefallen ist. Es fühlt sich an wie eine Herausforderung, doch zugleich ein Moment der Rebellion. Was spielen die anderen Farben für eine Rolle, wenn ich ohnehin nie eine echte Wahl hatte? ?Es gef?llt mir“, füge ich kühl hinzu, obwohl meine Stimme ein wenig zittert.

  Die K?nigin hebt eine Braue und ein seltsames L?cheln spielt um ihre Lippen, als h?tte sie genau das erwartet. ?Natürlich. Ich wusste, dass du dich für dieses entscheiden würdest“, sagt sie mit einer Stimme, die so samtig wie trügerisch ist. ?Diener, bereitet sie für den Abend vor. Lasst keine Mühe aus. Die Prinzessin soll strahlen.“ Ihre Worte sind ein Befehl, keine Bitte. Mit einer knappen Geste verl?sst sie den Raum, und ich atme unwillkürlich auf. Die Erleichterung der Bediensteten ist spürbar, als sie sich nach ihrer Verbeugung wieder aufrichten.

  Die n?chsten Stunden verschwimmen in einer Mischung aus Vorbereitungen und Emotionen. Die Frauen waschen und k?mmen meine Haare mit einer Sorgfalt, die fast liebevoll wirkt. Der Duft der Seife und das rhythmische Streichen ihrer H?nde beruhigen mich, und ich nicke kurz ein. Es ist ein Moment der Ruhe, der jedoch nicht von Dauer ist.

  Das Anziehen des Kleides erweist sich als mühsamer Akt. Das eng anliegende Korsett zwingt meinen K?rper in eine ungewohnte Form, und ich k?mpfe mit jeder Bewegung. Dennoch sind die Bediensteten geduldig und unterstützend, auch wenn sie ihre Gefühle nicht offen zeigen. In ihren Augen lese ich dennoch einen Hauch von Mitgefühl – oder bilde ich mir das nur ein?

  Als meine Haare im Handtuch trocknen, werfe ich einen Blick in den Spiegel. Was ich sehe, l?sst mich innehalten. Das M?dchen dort – kann das wirklich ich sein? Für einen Moment verliere ich mich in den Gedanken: Werde ich heute wieder unter Menschen treten? Wie sollte ich mich verhalten? Wie ist die korrekte Umgangsform in unserer heutigen Zeit? Die Unsicherheit macht sich in mir breit, und ich nehme tief Luft, um meine wachsende Nervosit?t zu unterdrücken.

  Die Frauen widmen sich weiter mit stoischer Pr?zision meiner Verwandlung. W?hrend zwei von ihnen meine Haare trocknen und kunstvoll frisieren, schminken die anderen mein Gesicht. Der tiefrote Lippenstift sticht hervor und harmoniert perfekt mit dem Kleid. Von den anderen Kosmetika habe ich keine Ahnung, doch das Ergebnis ist atemberaubend: Eine Fremde blickt mich aus dem Spiegel an, eine Frau mit lebendigen, gl?nzenden Locken, akzentuiert durch eine elegante Haarspange, die das Gesamtbild abrundet.

  ?Wundersch?n“, flüstere ich fast ehrfürchtig und l?chele zum ersten Mal seit Langem. In diesem Moment fühle ich mich wieder ein Stück menschlicher – und das ist unbezahlbar.

  Die Frauen begleiten mich schweigend bis zu den gro?en Türen des Ballsaals. Ihre Schritte hallen ged?mpft auf dem glatten Marmorboden, w?hrend meine Gedanken immer wieder zurückkehren zu den letzten Stunden, die sich wie eine Ewigkeit angefühlt haben. In Wirklichkeit waren es nur sechs Stunden – sechs Stunden, um mich aus meiner Zurückgezogenheit in diese Gestalt zu verwandeln, die im Spiegel so fremd und zugleich faszinierend aussah.

  Das Schloss hat sich ver?ndert, das sehe ich mit jedem Schritt. Die Korridore, die ich einst kannte, tragen neue Farben und Verzierungen, die mir fremd erscheinen. Und der Ballsaal... Ich habe ihn in den letzten zehn Jahren nicht betreten dürfen. Stattdessen verbrachte ich meine Tage zwischen den hohen Regalen der Bibliothek und der Stille meines Zimmers. Mein Zimmer, mein Rückzugsort – und meine Einsamkeit. Aber heute ist alles anders.

  Durch die schweren Türen h?re ich die Musik. Sie ist lebhaft, ein Walzer, der von heiterem Stimmengewirr begleitet wird. Menschen, denke ich, Menschen, die ich nicht kenne, aber die alle hier sind, um zu feiern. Es ist ein seltsames Gefühl, dort drau?en eine solche Lebendigkeit zu wissen, wo ich mich bisher so oft allein gefühlt habe.

  Die Türen ?ffnen sich langsam, und ich blinzle gegen das blendende Licht, das mir entgegenschl?gt. Der Saal ist eine Welt für sich – weitl?ufig, strahlend und lebendig. Die hohen, vergoldeten W?nde sind mit Fresken verziert, und zahllose Kristallleuchter tauchen den Raum in ein warmes, funkelndes Licht. Die Luft ist erfüllt von dem Duft frischer Blumen und dem sü?en Aroma von Geb?ck und Gewürzen. Ich bleibe kurz stehen, überw?ltigt von dem Anblick.

  Dann betrete ich den Raum, und für einen Moment scheint alles zu stocken. Gespr?che flüstern leiser, Blicke wandern zu mir. Nicht, weil sie wissen, wer ich bin – niemand hier wei?, dass die Prinzessin des Hauses anwesend ist. Nein, sie sehen mich nur als eine Fremde, eine junge Frau in einem wundersch?nen Kleid, mit unnatürlich wei?em Haar und glitzernden Schmuckstücken, die mein Gesicht umrahmen.

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  Ihre Blicke sind neugierig, wohlwollend – vielleicht ein wenig staunend. Einige der Herren werfen mir prüfende, interessierte Blicke zu, die Damen sehen kurz von ihren Gespr?chen auf und l?cheln h?flich, ehe sie wieder ihren eigenen Runden zuwenden. Ich kann f?rmlich spüren, wie die W?rme des Raumes und die Aufmerksamkeit mich umhüllen.

  Ein ?lterer Lord, dessen Uniform von goldenen Stickereien gl?nzt, hebt ein Glas in meine Richtung, ein stummes Zeichen der H?flichkeit. Eine Dame in einem schimmernden Seidenkleid mustert mich flüchtig, ihre Lippen kr?useln sich in einem freundlichen L?cheln, ehe sie sich ihrem Tanzpartner zuwendet. Sie alle sehen mich, doch niemand wei?, wer ich wirklich bin.

  Langsam schreite ich weiter, die langen, wallenden Stoffe meines Kleides flüstern über den Boden. Die Musik tr?gt mich voran, und die Stimmen fügen sich zu einem Hintergrund aus Melodie und Bewegung. Ich bin für sie nicht mehr als eine sch?ne Erscheinung inmitten dieses schillernden Abends. Doch für mich... Für mich ist dieser Moment eine Befreiung. Heute bin ich keine Prinzessin. Heute bin ich nur ein M?dchen, das einen Abend lang die Freiheit hat, sich unter Menschen zu bewegen.

  ?Atemberaubend“, erklingt eine tiefe, wohlklingende M?nnerstimme hinter mir, und ich zucke erschrocken zusammen. Instinktiv drehe ich mich um und blicke in die Richtung, aus der die Worte kamen.

  Vor mir steht ein junger Mann, dessen Erscheinung auf Anhieb beeindruckt. Sein langes, blondes Haar f?llt weich über seine Schultern, doch ein Teil davon ist locker nach hinten gebunden, was ihm zugleich etwas Wildes und Elegantes verleiht. Sein Gesicht ist harmonisch geschnitten, fast makellos, doch es sind seine Augen, die mich wie magisch festhalten. Zwei unterschiedliche Farben – ein klares, strahlendes Blau und ein intensives, tiefes Grün – stehen in einem scharfen Kontrast zueinander. Es ist, als würde jedes Auge eine eigene Geschichte erz?hlen, und ich merke, wie mein Atem stockt, gefangen von diesem ungew?hnlichen und faszinierenden Anblick.

  Ein Mensch von au?ergew?hnlicher Sch?nheit und Pr?senz, wie aus einem Gem?lde entsprungen.

  Ich starre ihn verwirrt an, unf?hig, sofort auf seine Worte zu reagieren. Mein Geist versucht verzweifelt, einen Sinn in seiner pl?tzlichen Bemerkung zu finden. Was meinte er mit “atemberaubend”?

  ?Entschuldige“, sagt er sanft, seine Stimme voll bedauernder H?flichkeit, w?hrend er mir seine Hand entgegenstreckt. ?Das war unh?flich von mir. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt.“

  Ein L?cheln, h?flich und charmant, umspielt seine Lippen, als er fortf?hrt: ?Mein Name ist Sylas Velqorin, Sohn von Lord Zyar Velqorin.“

  Sein Name hallt in meinem Kopf wider. Zyar Velqorin – die Legende, der Krieger. Und nun steht sein Sohn vor mir, so selbstverst?ndlich und zugleich wie ein Mensch aus einer anderen Welt. Ich habe mal in der Bibliothek einen Eintrag über ihn gelesen, welcher damals recht neu ins Archiv aufgenommen wurde. Den Dokumenten zufolge soll er w?hrend der Schlacht gegen die Feinde aus Tarnvelde allein 100 M?nner überw?ltigt haben. Tarnvelder sind jene Menschen, die im südlichen K?nigreich leben.

  Laut den Geschichtsbüchern existieren vier K?nigreiche, jedes mit seiner eigenen Geschichte, Kultur und Besonderheit. Die vier Kontinente werden von diesen vier K?nigreichen regiert.

  Velarion, das n?rdliche K?nigreich, wird oft als das Reich der Sterne bezeichnet. Es ist bekannt für seine atemberaubenden Gletscherlandschaften und endlosen W?lder. Die Velarier gelten als stolze und widerstandsf?hige Menschen, geformt von den harschen Bedingungen ihres Landes. Ihre Herrscherdynastie, das Haus Valdyris, hat sich über Generationen hinweg durch Weisheit und milit?rische St?rke bew?hrt. Geschichten über Helden wie Zyar Velqorin, die das Land gegen Feinde verteidigten, sind tief in den Legenden Velarions verwurzelt.

  Tarnvelde, im Süden, ist das genaue Gegenteil. Es ist ein fruchtbares Land mit endlosen Weiten von goldenen Feldern, Weinbergen und üppigen W?ldern. Die Tarnvelder sind für ihren Reichtum und ihre Liebe zu Kunst und Kultur bekannt. Doch hinter dieser scheinbaren Idylle verbirgt sich eine milit?rische St?rke, die sie in zahlreichen Konflikten bewiesen haben. Ihre Krieger sind für ihre Geschicklichkeit und Schnelligkeit berüchtigt, und ihre Anführer gelten als ebenso charmant wie gef?hrlich. Tarnvelde ist ein Land voller Widersprüche – Sch?nheit und Tod gehen hier oft Hand in Hand.

  Die westlichen Küsten werden vom K?nigreich Caldoria beherrscht, einem Land der H?ndler und Entdecker. Caldoria ist bekannt für seine pr?chtigen Hafenst?dte, in denen sich Menschen aus allen K?nigreichen tummeln. Die Caldorianer sind ein pragmatisches Volk, das sich mit dem Meer und den Winden im Einklang wei?. Ihre Flotte ist legend?r, und ihre Schiffe beherrschen die Handelsrouten zwischen den K?nigreichen. Doch trotz ihres Reichtums gibt es in Caldoria eine unausgesprochene Rivalit?t zwischen den alteingesessenen Handelsfamilien und der wachsenden Macht der Krone.

  Im Osten liegt das geheimnisvolle Reich Lunareth, das am Rande eines gewaltigen Gebirges liegt. Lunareth ist ein Land der Alchemie und der alten Geheimnisse, seine Bewohner sind sowohl gefürchtet als auch bewundert. Das K?nigreich ist bekannt für seine enigmatischen Gelehrten und Alchemisten, die in riesigen Bibliotheken und abgelegenen Akademien das Wissen vergangener Zeitalter bewahren. Doch Lunareth ist auch ein Ort der Intrigen, und seine Herrscher sind ebenso unberechenbar wie weise. Die Grenzen des K?nigreichs sind schwer zu durchqueren, was es zu einem der isoliertesten, aber auch mysteri?sesten Reiche macht.

  Die vier K?nigreiche leben in einem fragilen Gleichgewicht, immer im Spannungsfeld zwischen Frieden und Konflikt.

  Ich erwidere die h?fliche Geste von Lord Sylas, und er führt meine Hand sanft zu seinen Lippen, um sie mit einem leichten Kuss zu bedenken. Mein Herz macht einen unerwarteten Sprung, und eine angenehme Hitze breitet sich in meinem Gesicht aus, als ich merke, wie meine Wangen beginnen zu glühen.

  ?Sehr erfreut, Mylord“, sage ich mit einer Stimme, die ich nur mit Mühe ruhig halte, w?hrend meine Augen wie von selbst auf ihm verweilen. ?Ich hei?e Vespera…“

  Doch der n?chste Gedanke schnürt mir fast die Kehle zu. Soll ich ihm wirklich meinen vollen Namen verraten? Würde er mich anders ansehen, sobald er erf?hrt, dass ich die Prinzessin des K?nigreichs bin? Ich muss mir schnell etwas einfallen lassen – einen Namen, der harmlos genug klingt, um keine weiteren Fragen aufzuwerfen.

  ?Ein wundersch?ner Name“, erwidert Sylas mit einem charmanten L?cheln, das beinahe entwaffnend wirkt. Seine Augen, diese ungleichen Farben, strahlen eine W?rme aus, die mich beinahe vergessen l?sst, dass dies eine knifflige Situation ist. ?Euer Haar ist ?u?erst bewundernswert und Eure grauen Augen! Verzeiht, ich habe meine Manieren verloren, als ich Euch erblickte, Lady Vespera. Aus welcher Familie kommt Ihr?“

  Mist. Genau das hatte ich vermeiden wollen. Mein Kopf rattert, w?hrend ich verzweifelt nach einer plausiblen Antwort suche. Schlie?lich sage ich das Erste, was mir in den Sinn kommt: ?Ich bin die Tochter von Lord Kaelen Darynith.“

  ?Lord Kaelen Darynith?“, wiederholt er, sichtbar irritiert. ?Verzeiht, ich habe noch nie von diesem Lord geh?rt.“

  ?Ach, das ist nicht ungew?hnlich!“, antworte ich hastig, begleitet von einem nerv?sen Lachen. Mein Herz schl?gt schneller, als ich improvisiere: ?Wir kommen aus dem Westen. Mein Vater hat als Spion für K?nig Mukuta Informationen gesammelt. Mehr wei? ich selbst nicht, da er mich aus solchen Angelegenheiten heraush?lt. Er wurde erst kürzlich in den Adelsstand erhoben, und dies ist mein erster Ball.“ Wenigstens steckt in diesem Netz von Lügen ein winziges K?rnchen Wahrheit.

  ?Ich verstehe“, antwortet Sylas mit einem nachdenklichen Nicken, scheinbar beeindruckt. ?Es ist wohl üblich, dass T?chter aus solchen Angelegenheiten herausgehalten werden.“

  In diesem Moment wechselt die Musik, und eine sanfte, langsame Melodie erfüllt den Raum. Sylas beugt sich leicht vor und streckt mir erneut seine Hand entgegen. ?Mylady, würdet Ihr mir die Ehre eines Tanzes gew?hren?“

  Tanzen? Jetzt? Mein Herz setzt für einen Moment aus, bevor es heftig gegen meine Rippen schl?gt. Ich habe kein Taktgefühl, das wei? ich nur zu gut, aber noch beunruhigender ist der Gedanke, mit jemandem wie Sylas zu tanzen – so nah, so pr?sent. Mein K?rper scheint in Flammen zu stehen, und meine Wangen fühlen sich an, als k?nnten sie die Sonne in den Schatten stellen. Ist das… dieses Gefühl, das man Liebe nennt? Oder bin ich nur fasziniert von der neuen Erfahrung, mit einem jungen Mann zu sprechen? Bisher war mein Vater der einzige Mann, mit dem ich je l?nger geredet habe. Und jetzt steht Sylas vor mir, strahlend und erwartungsvoll, und bittet mich um einen Tanz.

  Ein kurzer Moment der Unsicherheit überkommt mich, doch schlie?lich nicke ich schüchtern. Sylas l?chelt und führt mich mit einer sanften Eleganz in die Mitte des Raumes, wo bereits andere Paare zu der langsamen Musik tanzen.

  W?hrend wir uns bewegen, richte ich meinen Blick unsicher auf den Hinterkopf von Lord Sylas, um mich an seinen Bewegungen zu orientieren. Meine Ohren jedoch nehmen die Gespr?che der G?ste um uns herum auf. Ein Mann erz?hlt einem anderen lachend eine Geschichte über seine Frau, die neulich zwei goldene Armreifen gekauft haben soll – obwohl sie erst letzte Woche zwei neue Diamantringe erstanden hat.

  Die Geschichte selbst mag belanglos sein, aber das warme L?cheln des Mannes, w?hrend er über seine Frau spricht, zaubert mir unwillkürlich ein L?cheln aufs Gesicht. Für einen Moment fühle ich mich, als h?tte ich einen winzigen Einblick in ein Leben erhalten, das mir so lange verwehrt geblieben ist – ein Leben voller Menschen, Gespr?che und geteiltem Glück. Und in diesem Augenblick, geführt von Sylas’ sicheren H?nden, frage ich mich: K?nnte ein solches Leben auch für mich m?glich sein?

  ?Ihr scheint Euren Spa? zu haben, Prinzessin Vespera“, ert?nt die Stimme von K?nigin Mayyira, und in diesem Moment zerbr?ckelt die rosarote Welt um mich, die farblose Realit?t tritt an ihre Stelle.

  Lord Sylas und ich bleiben abrupt stehen, und er l?sst mich sofort los. Seine Augen weiten sich, als er sich der Wahrheit bewusst wird. Ohne ein weiteres Wort verbeugt er sich tief vor mir und richtet sich wieder auf.

  ?Prinzessin Vespera…“, stammelt er, sichtlich perplex. ?Verzeiht, ich wusste nicht, dass Ihr die Prinzessin des K?nigreiches seid. Vergebt mir, K?nigin Mayyira!“

  ?Lord Sylas“, sagt die K?nigin in einem Ton, der jegliche W?rme vermissen l?sst, und ihr L?cheln bleibt kühl. ?Euer Vater hat Euch bereits gesucht. Ich rate Euch, ihm umgehend zu begegnen.“

  ?Selbstverst?ndlich, meine K?nigin!“, antwortet Lord Sylas ohne Z?gern, bevor er sich zu mir dreht. ?Es war mir eine Freude, Euch kennenzulernen, Prinzessin Vespera.“

  Er entfernt sich, und ich kann nicht anders, als ihm mit schmerzverzerrtem Blick hinterherzusehen. Wieder wurde ein Moment, der h?tte sch?n sein k?nnen, von dieser grausamen Frau zerst?rt. Warum hasst sie mich nur so? Warum g?nnt sie mir nicht einmal einen Augenblick des Glücks?

  ?Ein wichtiger Gast erwartet Euch, Prinzessin“, spricht die K?nigin, das Wort ?Prinzessin“ besonders sp?ttisch betonend. ?Dieser Diener wird Euch zu ihm führen.“

  Die K?nigin deutet auf einen kleinen Mann in schlichtem Anzug, mit wei?en Handschuhen, die im K?nigreich als Symbol für die Dienerschaft gelten. Ohne ein weiteres Wort weist sie ihm an, mich zu dem besagten Gast zu führen. Ich habe keine Wahl, als ihm zu folgen. Sollte mein Vater erfahren, dass ich mich gegen die K?nigin aufgelehnt habe, wird meine Chance auf Freiheit für immer vertan sein.

  Der Bedienstete führt mich abseits der G?ste zu einer Tür am Rande des Ballsaals, versteckt in einer dunklen Ecke. Ein ungutes Gefühl breitet sich in mir aus, aber meine Fü?e setzen sich wie von selbst in Bewegung, als k?nnten sie nicht anders. Der Mann bleibt still neben der Tür, den Blick gesenkt. Dann ?ffnet er sie für mich, und ich trete hindurch. Kaum habe ich die Schwelle überschritten, f?llt die Tür hinter mir mit einem lauten Knall zu, und ich schrecke zusammen.

  ?Prinzessin Vespera“, ert?nt eine ?ltere, fast kr?nklich klingende m?nnliche Stimme. ?Endlich begegnen wir uns.“

  Vor mir sitzt ein Mann, der ?lter wirkt als mein Vater, entspannt auf einem ledernen Sofa mit gespreizten Beinen, als genie?e er die Bequemlichkeit. Wer ist dieser Mann? Warum hat er mich hierher gerufen? Geh?rt er zur K?nigsfamilie? Ein Onkel? Ein naher Verwandter, den ich noch nie gesehen habe? Ich habe nie ein Familienmitglied meines Vaters getroffen. Ich wei? nicht einmal, ob er Geschwister hat.

  ?Wer seid Ihr?“, frage ich verwirrt und bemühe mich, meine H?flichkeit zu wahren. ?Ich bin erfreut, Euch kennenzulernen, Herr.“

  ?Wie respektvoll du doch bist“, sagt er, erhebt sich und geht langsam auf mich zu. ?Dein Vater hat dich zu einer bemerkenswerten Frau erzogen.“

  Er streicht mir mit der Hand über die Wange, und eine G?nsehaut breitet sich auf meiner Haut aus. Ich will zurückweichen, doch mein K?rper weigert sich. ?Du riechst sehr gut. Hast du dich extra für mich so hübsch gemacht, meine Liebe?“

  ?Für Euch?“, frage ich mit zitternder Stimme, meine Angst kaum unter Kontrolle haltend. ?Wie meint Ihr das?“

  ?Für unsere Eheschlie?ung“, verkündet er mit einem widerlichen L?cheln und betrachtet mich mit gierigen Blicken. ?Mein Name ist Lord Elowirn Louweris. Und ab heute wirst du meine Frau sein. Du wirst Lady Louweris.“

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