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Kapitel 3: Das Bündnis

  Was sagt dieser Mann da? Verwechselt er mich etwa mit jemand anderem? Ich soll seine Frau werden? Lady Louweris? Was bedeutet das?

  Ich trete einen Schritt zurück und frage mit zitternder Stimme: ?Wie meint Ihr das, Lord Louweris? Seid Ihr sicher, dass Ihr mich meint? Heute ist mein Geburtstag, und mein Vater, K?nig Mukuta, veranstaltet diese Feier zu diesem Anlass.“

  Der Mann vor mir ist das Gegenteil von allem, was man sich unter einem ansehnlichen Herrn vorstellen k?nnte. Er ist dick, mit einem massiven Bauch, der über den Gürtel quillt und sich in weichen, kaum verdeckten Falten über seine Hose w?lbt. Sein Gesicht ist von Falten durchzogen, als h?tte das Leben in ihm nur Müdigkeit und Gier hinterlassen. Die Haut um seine Augen ist schlaff und faltig, und unter seinen Augen ziehen sich dunkle R?nder entlang, die ihm das Aussehen eines Mannes verleihen, der viel zu lange in den Schatten verweilt hat. Eine kahle Stelle gl?nzt auf seinem Haupt, die H?lfte seiner Haare sind l?ngst verschwunden, und das dünne restliche Haar am Hinterkopf sieht aus, als w?re es nur noch ein Versuch, etwas zu verbergen. Der Bart, den er stolz tr?gt, ist lang und wirkt ungepflegt, die Haare darin str?hnig und fettig, als ob er nie den Weg zu einem Waschbecken gefunden h?tte. Sein gesamtes Erscheinungsbild l?sst den Eindruck eines Mannes entstehen, der keinerlei Achtung vor sich selbst oder seinem ?u?eren Erscheinungsbild hat. Es ist schwer, nicht von seiner bedrohlichen Pr?senz überw?ltigt zu werden, die weit mehr von Gier und Verlangen zeugt als von irgendeiner Form von Anziehung.

  ?Das hat dir dein alter Herr erz?hlt? Ach Kind, ich habe die letzten zehn Jahre auf unsere Eheschlie?ung gewartet. All die Jahre hat er dich vor den Augen aller versteckt, behauptet, du seist tot… alles auf meine Bitte hin.“

  ?Was… wie meint Ihr das?“, frage ich verwirrt und denke an meine Kindheit. Diesen Mann habe ich nie gesehen. Woher kennt er mich?

  Lord Louweris streicht mir erneut über die Wange und sagt: ?Dein Vater war mir einen Gefallen schuldig. Als ich dich im zarten Alter von zwei Jahren erblickte, wusste ich sofort, dass du meine Gemahlin werden musst. Deine wei?en Haare... sie sind so besonders, und deine grauen Augen. In diesem K?nigreich voller Farben bist du das schwarze Schaf. Du bist etwas Besonderes, Kind, und alles Besondere muss in meinem Besitz sein.“

  ?Aber ich bin doch viel zu jung für Euch, Herr“, entgegne ich ver?ngstigt. Wie soll ich auf so etwas reagieren? Der Mann wirkt zwar schwach aufgrund seines Alters, doch irgendwie strahlt er eine bedrohliche Pr?senz aus. ?Mein Vater würde mir so etwas doch nicht vorenthalten.“

  ?Wir wissen beide, dass er das sehr wohl tun würde“, sagt der Mann und sieht mich mit einem mitleidigen Blick an. Doch es ist kein Mitleid voller Empathie, sondern Schadenfreude. Er bezeichnet mich als etwas Besonderes und sagt, dass alles Besondere in seinem Besitz sein muss. Das bedeutet, dass ich für ihn kein Mensch bin, sondern ein Objekt.

  ?Vielleicht w?re es besser, wenn ich mit meinem Vater über diese Eheschlie?ung spreche“, schlage ich vor und mache einen Schritt in Richtung Tür. Doch der alte Mann packt gewaltsam nach meinem Arm.

  ?Ich kann mich nicht erinnern, dir die Erlaubnis gegeben zu haben, zu gehen“, knurrt Lord Louweris, seine Stimme voll Zorn. ?Wenn dir dein Lord sagt, dass du seine Frau wirst, dann hinterfragst du das nicht. Dein Vater hat dir all die Jahre, auf meinen Befehl hin, alles genommen. Deine Freiheit, die du laut ihm so sehr geliebt hast. Alles, weil ich eine Frau an meiner Seite wollte, die nichts anderes kennt als Befehle. Und nun stehst du hier, vor mir. Ein perfektes Exemplar… eine wundersch?ne Frau. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mir einen Erben wünsche.“

  Ein Erbe? Was geht in diesem Mann nur vor? Zuerst erz?hlt er mir, dass er mich schon mit zwei Jahren ausgesucht hat, und jetzt redet er von einem Erben? Ich wusste es! Diese Feier war zu sch?n, um wahr zu sein! Mein Vater hat hinter meinem Rücken mit diesem alten Mann ein Bündnis geschlossen, und nun soll ich den Kopf hinhalten? Zumindest erkl?rt das, warum er mich all die Jahre von der Au?enwelt ferngehalten hat. Aber es lindert weder meinen Schmerz noch die Wut, die in mir brodelt.

  Was soll ich jetzt tun? Wenn ich mich gegen diesen Lord wehre und ihm meine Meinung sage, werde ich vielleicht die Konsequenzen zu spüren bekommen. Aber was für Konsequenzen sind das überhaupt? Ich kann sie mir kaum vorstellen. Es scheint am besten, mit meinem Vater zu reden und diese Heirat zu stoppen.

  Ich atme tief aus und versuche, mein rasend schlagendes Herz zu beruhigen. ?Verzeiht, Lord Louweris. Es war nicht meine Absicht, Euch zu ver?rgern. Es überrascht mich nur, dass ein so bemerkenswerter Mann wie Ihr jemanden wie mich zur Frau haben m?chte“, sage ich, wobei ich fast vor Ekel erstarre.

  ?Es ist dein Aussehen, das mich so fasziniert hat“, erkl?rt der Mann mit einem leichten L?cheln, w?hrend er an meiner Schulter entlang streicht und dabei den Stoff meines Kleides an meiner Brust berührt. ?All die Jahre habe ich dich beobachtet, dich wachsen gesehen. Du warst wie eine Blume, die noch nicht gepflückt werden konnte. Doch nun ist der Moment gekommen. Heute soll der gesamte Norden von unserer Eheschlie?ung erfahren.“

  Ich nicke, versuche ein L?cheln zu erzwingen, doch seine Worte ergeben keinen Sinn für mich. Trotz all der Jahre der Isolation wei? ich, dass dies nicht der richtige Umgang mit einem Menschen ist. Die K?nigin hat mich behandelt wie ein Objekt, das man einfach entsorgt, sobald es nicht mehr von Nutzen ist. Moment... die K?nigin! Sie wusste von dieser Eheschlie?ung! Natürlich! Sie wusste alles! Mein Vater erz?hlt ihr sicher jedes noch so kleine Detail seiner geheimen Absprachen.

  ?Bevor wir vor allen Augen unsere Liebe verewigen, wollte ich dich alleine sehen“, sagt Lord Louweris und sieht mich durchdringend an. Seine Augen wandern zu meinen Lippen. ?Rot, meine Lieblingsfarbe. Du musst das gewusst haben, sonst h?ttest du dieses Kleid nicht gew?hlt.“

  Die K?nigin hat also absichtlich diese vier Kleider ausgesucht. Die anderen waren nicht so besonders wie dieses. Sie hat alles so geschickt eingef?delt, damit ich das rote Kleid w?hle und diesem Mann eine Freude mache. Mein Herz schl?gt schnell, mein Kopf dr?hnt. Ich will einfach nur raus, weg hier, aus diesem Raum, aus diesem Schloss!

  ?Nun denn, du solltest zurück zu deiner Mutter und deinem Bruder“, sagt er, aber ich wei?, dass es ein Befehl ist. ?Dieser Abend wurde bis ins kleinste Detail geplant. Du musst nur den Worten deines Vaters und deines Mannes folgen. Hast du mich verstanden, meine Teuerste?“

  ?Selbstverst?ndlich, Lord Louweris“, antworte ich, ohne ihn anzusehen.

  Er greift mit einer Hand an mein Kinn und hebt mein Gesicht an. ?In der ?ffentlichkeit wirst du mich Lord Louweris oder deinen Gemahl nennen. Wenn wir allein sind, wirst du mich deinen Liebsten oder Geliebten nennen.“

  Er starrt mich mit gierigen Augen an, erwartet eine Antwort. ?Verzeiht. Natürlich, mein Geliebter. Ich entschuldige mich für meinen Fehler.“

  ?Bemerkenswert“, sagt er, w?hrend er seine Hand auf meine Wange legt. Doch pl?tzlich verpasst er mir eine schallende Ohrfeige, und ich fahre erschrocken zurück. ?Dies soll dich stets daran erinnern, dass eine Lady Louweris keine Fehler macht. Diesmal bin ich gn?dig, aber das wird nicht wieder vorkommen. Hast du das verstanden, meine Liebste?“

  Tr?nen brennen mir in den Augen. Meine Wange brennt, und mein Kopf pocht vom Schlag. ?Natürlich, mein Geliebter“, flüstere ich, meine Stimme kaum h?rbar.

  ?Geh nun zu deinem Vater“, befiehlt er und weist mich mit einer abf?lligen Handbewegung ab. ?Sei ein braves Kind und gehorche.“

  Ich nicke stumm, verlasse den Raum und gehe zurück in den riesigen Ballsaal. Der Bedienstete ist nicht mehr da. Inmitten des prunkvollen Ballsaals suche ich mir eine ruhige Ecke und lehne mich an die Wand. Ich kann die Tr?nen nicht zurückhalten, doch ich muss verhindern, dass meine Schminke verl?uft. Ich darf nicht zulassen, dass jemand sieht, wie sehr ich innerlich zerbreche. Mein Herz schmerzt, es zieht mir den Atem ab. Warum passiert das alles? Was habe ich dieser Welt getan, dass sie mich auf diese Weise ablehnt? Verdiene ich nicht wenigstens ein kleines Stück Glück?

  Im Hintergrund hallen ged?mpft die Stimmen der anderen G?ste. Sie vermischen sich mit der Musik und den Kl?ngen von Gl?sern, die aneinandersto?en. Ich hatte mir so sehr gewünscht, heute ein Teil dieser Welt zu sein, doch stattdessen fühle ich mich wieder wie das Kind, das von der anderen Seite der Mauer sehnsüchtig lauscht. Nichts hat sich ge?ndert. Mein Herz sehnt sich nach Frieden, es will fliehen, weit weg von diesem Schmerz.

  Bald werde ich mit einem Mann verheiratet, der vermutlich ?lter ist als mein Vater. Ich wei?, was aus solchen Ehen entstehen: Kinder. Und ich wei?, wie sie gezeugt werden. Allein der Gedanke daran, dass Lord Louweris diese Vorstellung vielleicht schon seit Jahren hegt, l?sst einen Schauer über meinen Rücken laufen. Egal, was passiert, ich muss mit meinem Vater sprechen!

  Mit zitternden Knien und diesem beklemmenden Gefühl in der Brust gehe ich auf die Mitte des Ballsaals zu. Jeder meiner Schritte fühlt sich schwerer an als der letzte. Ich bemühe mich, unauff?llig zu wirken, denn in einer Situation wie dieser m?chte ich keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Wenn die Worte von Lord Louweris stimmen, gibt es vielleicht doch noch Hoffnung. Hoffnung, dass mein Vater mich liebt und dieser Isolation nur zugestimmt hat, weil er keine andere Wahl sah. Ich m?chte daran glauben, verzweifelt.

  Mein Blick f?llt auf die Plattform in der Mitte des Saals, wo er steht: mein Vater, der K?nig. Mein Herz pocht bis zum Hals, als ich mich ihm n?here.

  ?Vespera, du kommst genau rechtzeitig“, sagt er, seine Stimme kalt und unver?ndert. Er weist die G?ste, die gerade mit ihm sprechen wollten, mit einer Handbewegung ab. ?Deine Mutter hat mir von deinem Treffen mit Lord Louweris berichtet. Hast du ihm gefallen?“

  Habe ich ihm gefallen? Was ist das für eine Frage? Sollte es nicht vielmehr darum gehen, ob er mir gefallen hat? Ich fasse meinen Mut zusammen. ?Vater, dieser Mann ist bestimmt ?lter als du!“

  ?Sei still“, zischt er scharf und seine Augen funkeln mich warnend an. ?Du bist doch diejenige, die immer raus aus diesem Schloss wollte. Nun gebe ich dir die M?glichkeit, an einem anderen Ort zu leben.“

  ?Aber mit einem Mann, der mein Gro?vater sein k?nnte?!“ Ich versuche, ruhig zu bleiben, doch meine Stimme zittert vor Emp?rung. ?Ich werde diesen Lord nicht heiraten.“

  Sein Gesicht verzieht sich vor Zorn. ?Entweder heiratest du ihn ohne Widerworte, und ich werde dafür sorgen, dass er dich nicht für immer einsperrt, oder du wirst die gehorsame Ehefrau sein, die er sich wünscht, und kommst nur dann heraus, wenn er es dir erlaubt.“

  ?Warum tust du das? Warum fügst du dich?“ Die Worte verlassen meine Lippen, bevor ich sie aufhalten kann. Doch die eigentliche Frage richtet sich an mich selbst: Warum füge ich mich? Wann werde ich endlich anfangen, mich zu wehren? Ich habe es so oft versucht, nur um jedes Mal zu scheitern. Würde es diesmal anders sein?

  Er beugt sich bedrohlich zu mir herunter, sein Atem streift mein Gesicht, unangenehm und bitter. ?Du wirst mich nicht infrage stellen“, zischt er gef?hrlich leise. ?Du kannst froh sein, dass ein Mann wie er dich überhaupt auserw?hlt hat. Du wirst eine brave Ehefrau sein und dich ihm heute Nacht gefügig zeigen.“

  Obwohl mich diese Worte aus dem Mund meines Vaters nicht mehr überraschen, treffen sie mich wie ein Schlag. Ein Teil von mir will schreien, der andere will weglaufen. Doch mein Herz sagt mir, dass es an der Zeit ist, etwas zu tun – egal, wie aussichtslos es scheint.

  Ich schlucke schwer und k?mpfe gegen den Klo? in meinem Hals an. Kein Wort will mehr über meine Lippen kommen. Es gibt niemanden, an den ich mich wenden kann. Niemanden, der mir aus dieser hoffnungslosen Lage helfen wird.

  ?Ach, Zyar“, h?re ich meinen Vater sagen, und mein Blick richtet sich nach vorne. Dort steht Lord Sylas mit seinem Vater. Seine blau-grünen Augen mustern mich aufmerksam, beinahe neugierig. Als mein Vater auch ihn begrü?t, verneigt sich der junge Mann h?flich und verharrt kurz in dieser Haltung.

  ?Sylas ist schon ein stattlicher junger Mann geworden. Wann wird er den Bund der Ehe eingehen? Wie alt ist er jetzt?“ fragt mein Vater mit einem Hauch von jovialem Interesse.

  ?Dieses Jahr ist er 23 geworden, mein K?nig“, antwortet Lord Velqorin mit einem respektvollen L?cheln. ?Eure Tochter, Prinzessin Vespera, feiert heute ihren 18. Geburtstag, nicht wahr? Herzlichen Glückwunsch, Prinzessin.“

  Einen Moment lang bin ich sprachlos. Hat er mir gerade wirklich zum Geburtstag gratuliert? Meine Augen treffen die seines Vaters. Vor mir steht ein Mann, der angeblich hundert Krieger im Alleingang besiegt haben soll, und doch wirkt er jetzt wie ein einfacher Untertan, der h?flich mit seinem K?nig spricht.

  ?Ich danke Euch, Lord Velqorin“, antworte ich schlie?lich mit einem schwachen L?cheln, das von einer tiefen Traurigkeit überschattet wird. Mein eigener Vater hat mir noch nie gratuliert. Nicht einmal heute. ?Ich habe von Eurem Sieg geh?rt...“

  ?Still, Kind!“ schneidet mir der K?nig mit scharfer Stimme das Wort ab. Sein Blick ist bedrohlich. ?Verzeih, alter Freund“, f?hrt er fort und schenkt Lord Velqorin ein entschuldigendes L?cheln. ?Dieses M?dchen kennt wirklich keine Manieren. Und ausgerechnet sie soll heute die Ehefrau von Elowirn werden!“ Er lacht trocken und amüsiert, als w?re dies ein besonders guter Witz.

  Lord Velqorin ignoriert das herablassende Verhalten meines Vaters und richtet sich auf. ?Genau darüber wollte ich mit Euch sprechen, mein K?nig,“ sagt er ruhig, w?hrend die Blicke von Lord Sylas unaufh?rlich auf mir ruhen. Ich spüre sie, wage jedoch nicht, sie zu erwidern. Irgendetwas tief in mir warnt mich davor. ?Denkt Ihr nicht, dass die Prinzessin an der Seite eines Mannes in ihrem Alter besser aufgehoben w?re? Mein Sohn w?re doch ein perfekter Kandidat.“

  Mein Vater zupft an seinem Bart, eine Geste, die ihn nachdenklich wirken l?sst. Seine braunen Locken gl?nzen im Licht, und seine Augen scheinen heute lebendiger als gew?hnlich. ?Nun, die Umst?nde erlauben das leider nicht,“ gesteht er schlie?lich. ?Elowirn hat bereits vor vielen Jahren um die Hand von Vespera angehalten. Er ist ein guter Mensch, und ich wüsste nicht, wem ich meine reizende Tochter sonst anvertrauen sollte.“

  ?Mein K?nig, ich bitte Euch, überlegt es Euch noch einmal,“ dr?ngt Lord Velqorin h?flich, aber bestimmt. ?Wenn Lord Louweris vor so vielen Jahren beschlossen hat, die Prinzessin zu heiraten, obwohl sie damals noch ein Kind war, dann stimmt etwas nicht mit ihm. Dieser Gedanke allein sollte Euch warnen.“

  Die Worte lassen die Luft im Raum schwer werden. Mein Vater schnellt vor und zischt: ?Das geht dich nichts an, Zyar. Wenn ich noch ein Wort h?re, das meine Entscheidungen infrage stellt, sehe ich mich gezwungen, dich entsprechend zu bestrafen. Vergiss nicht, wer hier der K?nig ist!“

  Lord Velqorin verharrt einen Augenblick, sichtlich bemüht, seinen ?rger zu zügeln. Sylas’ Blick l?sst mich nicht los, und in meinem Inneren k?mpft ein Sturm aus Angst, Hoffnung und Ohnmacht.

  Niemand wird mich retten k?nnen. Nicht einmal ein Mann, der angeblich hundert Krieger im Schlachtfeld besiegt hat. Selbst er hat keine Chance gegen den K?nig. Doch wie soll ich das mit meinem Gewissen vereinbaren? Dieses Gefühl der Hilflosigkeit, das mich wie ein bleierner Schleier umhüllt.

  ?Ich bitte um Verzeihung“, sagt Lord Velqorin schlie?lich und neigt leicht den Kopf. Seine Stimme ist ruhig, aber sie tr?gt einen Hauch von Resignation in sich. ?Mein Sohn und ich werden heute abreisen.“

  Mein Vater lacht leichthin, als h?tte er einen harmlosen Kommentar geh?rt. Er klopft Lord Velqorin kameradschaftlich auf die Schulter. ?Sei nicht so empfindlich, Zyar. Ich nehme dir deine unüberlegten Worte nicht übel. Bleibt doch über Nacht in einem unserer Gem?cher. Morgen werden wir zu Ehren der Hochzeit meiner Tochter mit Elowirn auf die Jagd gehen. Du wei?t doch, wie sehr Elowirn Hirschfleisch sch?tzt.“

  Mir dreht sich der Magen um, und ein kaltes Grauen durchzieht mich. Ich verabscheue jede Art von Fleisch, seit ich als Kind verstanden habe, dass dafür unschuldige Tiere sterben müssen. Die Erinnerung an jenen Tag, der meine Abscheu gepr?gt hat, ist so lebendig wie damals.

  Ich war vielleicht neun Jahre alt, als die K?che ein Gericht mit Hühnerschenkeln zubereitet hatten. Mein Appetit war an diesem Tag ohnehin gering, doch als ich die Schenkel sah, wurde mir schlecht. Mein Vater lie? jedoch keine Widerrede zu. Er zwang mich, einen ganzen Schenkel in weniger als drei?ig Sekunden zu essen, unter Androhung, mir mein Lieblingskuscheltier wegzunehmen, falls ich nicht gehorchte.

  Unter Tr?nen zwang ich mich, das Fleisch hinunterzuwürgen, doch mein Magen rebellierte. Vor den Augen meines Vaters, der K?nigin und der Bediensteten musste ich mich schlie?lich übergeben. Die Scham war unertr?glich, doch sie wurde noch übertroffen von der Bestrafung: Mein Vater nahm mir mein Kuscheltier – und hinterlie? in mir eine Wunde, die weit tiefer ging als der Verlust eines Stofftieres. Seit diesem Tag begleitet mich nicht nur meine Abneigung gegen Fleisch, sondern auch die bittere Erinnerung daran, wie wenig meine Gefühle in dieser Familie z?hlen. Seit diesem Vorfall wurde mir verboten, mit der Familie gemeinsam zu essen. Die K?nigin behauptete, allein der Gedanke an meine damalige ?Peinlichkeit“ würde ihr übelkeit bereiten. Für mich war das jedoch kein gro?er Verlust. Ich habe ohnehin nie das Gefühl gehabt, an diesem Tisch willkommen zu sein. Es war einfacher, allein zu sein, als mit Menschen, die mich weder sch?tzen noch respektieren.

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  In der Abgeschiedenheit meiner Mahlzeiten habe ich Trost gefunden – nicht in der Stille selbst, sondern in der Abwesenheit ihrer Urteile, ihrer Blicke, ihrer ver?chtlichen Kommentare. Allein sein bedeutete für mich nicht Einsamkeit, sondern ein kleines Stück Freiheit inmitten dieser goldenen K?figw?nde.

  Warum bin ich all die Jahre geblieben? Weshalb habe ich diese Erniedrigungen zugelassen? Was hat mich an diesen Ort gebunden? War es wirklich nur die Angst vor dem Unbekannten? Und warum war mein Vater gezwungen, diesem Mann einen Gefallen zu schulden? Was ist damals geschehen, dass er mich nun als Pfand einsetzt?

  Mit einem Mal zerbricht alles. Meine Welt, mein Verst?ndnis, mein Glaube daran, dass ich eine Wahl gehabt h?tte. Nichts macht mehr Sinn. Ich kann nicht einmal begreifen, warum ich es zugelassen habe. Habe ich jemals tief darüber nachgedacht, was ich wollte? Und w?hrend die letzten Fragmente meiner Illusionen zerfallen, hallen die Worte von Lord Louweris in meinem Kopf wider. Er wusste es. Dieser Fremde hatte es von Anfang an durchschaut: die Abwesenheit jeder Verbindung zwischen meinem Vater und mir. Und ich? Ich habe es nicht gesehen.

  ?In Ordnung“, h?re ich Lord Velqorin sagen, als er die Einladung des K?nigs annimmt. Mein Vater lacht zufrieden.

  ?Wie gern ich dich an meiner Seite wüsste, Zyar“, sagt er mit einem gespielt wohlwollenden Seufzen. ?Du bist der st?rkste Krieger, der je für mich gek?mpft hat. Und nur deshalb frage ich dich nicht, wohin du gehst oder woher du kommst.“

  ?Ich danke Euch für diese Vertrauen, mein K?nig“, antwortet Lord Velqorin demütig, und Sylas verbeugt sich, seine Augen ruhen kurz auf mir.

  Mein Vater klatscht in die H?nde und ruft aus: ?Nun denn, es ist Zeit für eine Feier! Kind, geh zu deiner Mutter.“

  Er deutet in Richtung der K?nigin. Neben ihr steht mein Halbbruder, Kronprinz Yula. Seine dunklen Locken sind eine Mischung der Gene seiner Eltern. Mit seinen gro?en, braunen Augen fixiert er mich, doch hinter dieser Fassade eines unschuldigen Kindes verbirgt sich ein Tyrann. Einst habe ich ihn geliebt wie meinen eigenen Bruder. Doch er verachtet mich, verspottet mich, ohne dass ich ihm je einen Grund gegeben h?tte.

  Ich n?here mich den beiden, bemüht, ihre Blicke zu ignorieren. Doch K?nigin Mayyira und Kronprinz Yula warten nur darauf, über mich herzufallen.

  ?Da hat sie tats?chlich geglaubt, dass wir all dies für ihren Geburtstag arrangiert haben“, flüstert die K?nigin schadenfroh, so leise, dass nur wir es h?ren k?nnen.

  ?Sie denkt, irgendjemand h?tte Interesse an ihr?“, fügt Yula sp?ttisch hinzu, und beide lachen leise.

  Dass ein dreizehnj?hriger Junge solche Worte sagen kann, ist erschreckend. W?re er anders erzogen worden, vielleicht von einer gutherzigen Person, h?tten wir wom?glich eine echte Geschwisterbeziehung gehabt. Stattdessen sehe ich ihn nun, meinen Halbbruder, der mich wie Dreck behandelt.

  ?Sobald ich K?nig bin, mache ich dich zu Mutters Sklavin“, verkündet er genüsslich. ?Dann kann sie ohne Z?gern ihre Wut an dir auslassen.“

  ?Aber Yula“, entgegnet die K?nigin mit einem süffisanten L?cheln, ?Lord Louweris wird dich nicht lassen. Sie wird schlie?lich seine Gemahlin.“

  ?Bis dahin ist er doch ohnehin tot“, sagt Yula gleichgültig. ?Sieh ihn dir an. Wenn er heute Nacht seine Pflicht noch erfüllen kann, w?re das ein Wunder.“

  Ich verschlie?e meine Gedanken gegen ihre Worte, doch sie schmerzen. Ihre Verachtung ist ein Dolch, der immer wieder in mein Herz gesto?en wird.

  ?Meine Damen und Herren“, erhebt mein Vater seine Stimme, und die Aufmerksamkeit des Saals richtet sich auf ihn. ?Ich danke euch, dass ihr gekommen seid, um die Vereinigung meiner Tochter, Prinzessin Vespera Valdyris, mit meinem gesch?tzten Freund Lord Elowirn Louweris zu feiern.“

  Die Menge flüstert, K?pfe drehen sich in alle Richtungen. Sie suchen mich – die Prinzessin, die vor Jahren für tot erkl?rt wurde.

  ?Die Prinzessin hat in der Obhut der Mutter unserer geliebten K?nigin gelebt“, f?hrt mein Vater fort. ?Es war mein Wunsch, sie fern von Ruhm und Reichtum aufzuziehen, damit sie Demut lernt.“

  Demut. Das Wort brennt in meinem Geist. Welche Demut kann es geben, wenn einem die Wahl genommen wird?

  ?Nun bitte ich meinen Freund Lord Louweris zu mir.“

  Ich folge seinem Blick, und mein Herz setzt aus. Dort steht er. Der Mann, der mich geschlagen hat. Der Mann, der mich besitzen will. Die Luft bleibt mir weg, doch ich k?mpfe, die Fassung zu bewahren.

  Lord Louweris winkt der Menge zu, ein strahlendes L?cheln auf den Lippen, das seine wahre Natur verbirgt. Er tritt auf das Podium, und die Menschen applaudieren begeistert.

  ?Ich danke euch allen“, beginnt er mit charmanter Stimme. ?Wer h?tte gedacht, dass ich in meinem Alter noch die wahre Liebe finde? Doch meine liebe Vespera und ich haben uns gefunden.“

  Sein Blick bohrt sich in meinen. Der Saal dreht sich zu mir um, und mein Herz rast. Ihre neugierigen Augen machen die Last nur schwerer zu ertragen.

  Yula tritt an meine Seite und legt meine Hand auf seinen Oberarm. Er beugt sich zu mir und flüstert: ?L?chle. Sei die Sklavin, die er haben will.“

  Seine Worte treffen mich wie ein Schlag. Mein Verstand rebelliert, aber mein K?rper gehorcht. Mit jedem Schritt fühle ich mich weniger wie eine Person und mehr wie eine Marionette.

  ?Nun, Prinzessin Vespera Valdyris“, ruft mein Vater. ?Knie dich nieder.“

  Mit zitternden Knien gehorche ich, w?hrend die eisige K?lte des Marmors durch den dünnen Stoff meines Kleides dringt. Es ist nicht der kalte Boden, der mich erzittern l?sst, sondern die Blicke der Menge. Sie mustern mich wie ein Raubtier, das seine Beute betrachtet, ihre Augen graben sich in meine Haut, bis ich nichts als blo?e Angreifbarkeit empfinde. Mein Herz h?mmert so heftig gegen meine Rippen, dass ich sicher bin, sie k?nnten es h?ren.

  ?In unserer gro?en Tradition“, beginnt mein Vater mit einer Stimme, die von Stolz und Macht durchdrungen ist, ?kniet die Braut vor ihrem zukünftigen Gemahl, um die Hingabe und Unterwerfung zu demonstrieren, die in dieser Verbindung erwartet wird. Dies ist ein unverzichtbares Zeichen unseres Erbes.“

  Seine Worte hallen durch den Saal, und obwohl ich starr auf den Boden blicke, fühle ich die Zustimmung der Anwesenden wie ein Gewicht auf meinen Schultern. Mein Wille ist wie ein Baum, dessen ?ste unter einer unsichtbaren Last brechen, und doch stehe ich noch – nicht aus St?rke, sondern aus dem schlichten Mangel an Alternativen.

  Die Menge nickt ehrfürchtig, wispert Worte des Beifalls, als ob dies ein heiliger Moment w?re, und nicht das Spektakel meiner Demütigung. Ich bin kein Mensch in ihren Augen, sondern eine Rolle in einem Ritual, das sie auswendig kennen und unerschütterlich verehren.

  ?Lord Louweris“, f?hrt mein Vater fort, und seine Geste ruft ihn nach vorne.

  Mit gemessenem, eleganten Schritt tritt er n?her, der Mann, der mich besitzen wird. Seine Pr?senz ist wie ein Schatten, der alles Licht aus dem Raum saugt. Als er vor mir steht, legt er seine Hand auf meinen Kopf. Die Berührung ist sanft, fast z?rtlich, doch sie tr?gt eine Botschaft von unerschütterlicher Macht. Seine Finger gleiten durch mein Haar, nicht mit dem Ausdruck von Liebe, sondern als w?re ich ein Gegenstand, dessen Beschaffenheit er prüft.

  ?Ich, Elowirn Louweris, nehme diese Frau als meine Gemahlin. M?ge sie mir treu dienen, so lange ich lebe, wie es ihre Pflicht verlangt.“

  Der Saal bricht in tosenden Applaus aus, doch ich h?re ihn kaum. Der Klang ist ged?mpft, als ob ich mich unter Wasser bef?nde. Meine Welt schrumpft auf den Raum vor meinen Fü?en zusammen, w?hrend ich das Gewicht seiner Hand auf meinem Kopf spüre, ein Siegel seiner Ansprüche.

  ?Vespera Valdyris“, sagt mein Vater, und sein Tonfall ist unverkennbar: ein Befehl, kein Wunsch. ?Lege deine Worte der Hingabe ab.“

  Mein Mund ?ffnet sich, doch die Worte bleiben in meinem Hals stecken. Meine Zunge fühlt sich an wie Blei, und ich ringe um Luft. Louweris’ Hand bleibt auf meinem Kopf, und ich wei?, dass ein Widerstand nur schlimmere Konsequenzen nach sich ziehen würde.

  ?Ich...“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. Ich kenne die richtigen Worte nicht und doch erahne ich, welche von mir erwartet werden. ?Ich verspreche, Euch zu dienen.“

  Die Worte fallen aus meinem Mund wie zerbrochene Scherben, die meine Kehle auf dem Weg nach drau?en zerschneiden. Sie verletzen mich, w?hrend sie die Menge zu begeistern scheinen. Ein donnernder Jubel erfüllt den Saal, doch für mich klingt es wie das Kr?chzen von Kr?hen, die sich über ein totes Tier hermachen.

  Eine Dienerin tritt vor. Keine besondere Person von adeliger Herkunft… blo? eine Frau – nur ein weiteres R?dchen im Getriebe dieses grausamen Schauspiels. In ihrer Hand h?lt sie ein goldenes Gef?? und ein kleines, kunstvoll verziertes Messer. Das Gef?? schimmert in der Beleuchtung, doch ich empfinde keinen Respekt, keine Ehrfurcht – nur Furcht.

  ?Das Blut der Braut ist das ultimative Zeichen ihrer Hingabe“, verkündet mein Vater, und seine Worte schlagen in meinen Ohren wie Hammerschl?ge. ?Es zeigt, dass sie bereit ist, sich mit Leib und Seele ihrem Gemahl zu verschreiben.“

  Das Messer wird mir gereicht. Meine H?nde zittern so sehr, dass ich kaum in der Lage bin, es zu halten. Der Raum scheint sich um mich zu drehen, w?hrend ich das kühle Metall an meiner Hand spüre. Es gibt keinen Weg zurück. Unter den wachsamen Augen der Menge ziehe ich die Klinge über meine Handfl?che. Der Schmerz ist scharf, fast erl?send. Dunkles, warmes Blut sickert aus der Wunde und tropft in das Gef??.

  Die Dienerin hebt es ehrfürchtig an und reicht es Lord Louweris, der es an seine Lippen führt. Sein Blick bleibt dabei fest auf mich gerichtet, seine Augen voller Triumph. Ein kleines, zufriedenes L?cheln zieht über sein Gesicht, w?hrend er einen Schluck trinkt, als koste er den Sieg. Die Dienerin nimmt das Gef?? an sich.

  ?Die Zeremonie ist abgeschlossen“, verkündet mein Vater schlie?lich, und die Menge bricht erneut in tosenden Applaus aus. ?Meine Tochter geh?rt nun Lord Louweris, und unsere H?user sind vereint.“

  Der Applaus ist ohrenbet?ubend. Die Gesichter um mich herum strahlen vor Begeisterung und Stolz, doch in meinem Inneren ist nur Leere. Ich bin nicht mehr Vespera. Ich bin kein Mensch. Ich bin nichts. Ein Symbol. Ein Werkzeug. Ein Besitz.

  In dieser Welt, in dieser Gesellschaft, hat eine Frau keinen Wert. Ihr Dasein ist nur so viel wert wie der Nutzen, den sie den M?nnern um sie herum bringt. Und ich… ich bin nicht mehr als eine weitere Troph?e.

  Mein Hass w?chst ins Unermessliche, doch mit jedem Atemzug wird er schwerer und f?llt tiefer, immer tiefer in die Erde, bis er mich zu ersticken droht. Alles, was in mir ist, ist nur noch Dunkelheit – eine Dunkelheit, die mich erdrückt. Ich fühle mich wie ein gefangener Vogel, dessen Flügel gebrochen sind, und doch bleibt mir nur, zu fliegen, wohin er mich zieht. Ein brennender Schmerz, der sich in meiner Brust ausbreitet, denn ich wei?, dass ich nichts tun kann, um diesem schrecklichen Moment zu entkommen.

  ?Mein Weib“, verkündet Lord Louweris laut und zerrt mit einem so festen Griff an meiner Hand, dass die Knochen fast knacken. Für die Menge mag es wie eine liebevolle Geste erscheinen, doch in Wahrheit ist es eine Tyrannei, die mich erdrückt. Die K?lte seiner Hand bohrt sich in mein Fleisch, und ich kann die Schmerzen nur unterdrücken, indem ich die Z?hne zusammenbei?e.

  ?H?rt her, Velarier! Lady Louweris wird mir schon bald einen Sohn geb?ren! Die Blutlinie Louweris bleibt erhalten!“

  Das Jubeln der Menge ert?nt wie das Brüllen von Raubtieren, die ein gefallenes Beutetier umkreisen. Sie sind nicht mehr Menschen für mich, sie sind nichts weiter als Zuschauer eines widerlichen Schauspiels, in dem mein Schicksal wie ein erb?rmlicher Witz inszeniert wird. Ich spüre den Jubel nicht als Freude, sondern als Hohn, der in jeder Faser meines K?rpers vibriert. Welche Rolle spielt dieser Mann im K?nigreich? Was hat er gegen meinen Vater in der Hand?

  Lord Louweris schiebt eine Str?hne meines Haares mit grober Hand von meiner Schulter, und als seine Finger über meinen Nacken streichen, fühle ich mich, als würde er sich nicht nur meine Haare zu eigen machen, sondern auch mein ganzes Selbst. Ich versuche, mich zusammenzurei?en, doch in mir breitet sich ein entsetzlicher Widerwille aus, der mich fast zu Boden drückt. Ich blicke zur Menge, suche Sylas – sein Blick trifft meinen, aber es ist nichts als Entsetzen darin. Ich sehe, dass auch er mir nicht helfen kann, dass er nur ein weiteres stilles Opfer dieses Spiels ist.

  ?Du bist endlich mein“, zischt Lord Louweris in mein Ohr, und der Gestank seines Atems – nach Zwiebeln und altem Fleisch – verstr?mt sich wie ein Gift in meine Lungen. ?Du bist mein, mein Besitz.“

  Seine Hand f?hrt mit roher Gewalt über meine Schultern und dreht mich zu ihm, als w?re ich nichts anderes als ein Stück Fleisch, das er sich endlich einverleibt hat. Mein K?rper beginnt zu zittern, als ich die K?lte seines Blickes in meinem Inneren spüre. Ich bin nichts. Nichts als sein Eigentum, das er sich mit einem grausamen Grinsen aneignet.

  Er zieht mich an sich und drückt seine Lippen auf die meinen. Es ist kein Kuss. Es ist eine Strafe, eine Erniedrigung, die mich von innen zerrei?t. Der Widerwille in mir bricht wie Wellen über mir zusammen. Dieser Kuss ist kein Moment der Zuneigung, sondern ein grausamer Akt, der mich mit jedem Millimeter, den seine Lippen sich auf meinen Lippen ausbreiten, immer weiter von mir selbst entfremdet.

  Er raubt mir nicht nur meine Unschuld, er raubt mir auch meine Würde. Jede Berührung ist ein Schnitt in meiner Seele. Sein K?rper dr?ngt sich gegen meinen, als würde er mir jeden Atemzug, den ich noch übrig habe, nehmen wollen. Meine Brust verkrampft sich, mein Magen dreht sich. Ich kann den Schmerz in meinem Kopf, in meinen Gliedern nicht mehr ertragen, doch ich kann mich nicht wehren, ich kann mich nicht bewegen. Ich bin zu schwach, zu verletzt, um diesem Albtraum zu entkommen.

  Dieser Kuss ist das Ende von allem. Die Welt verschwindet um mich, und alles, was bleibt, ist der ekelhafte Geschmack von ihm auf meinen Lippen und das Wissen, dass ich für ihn nichts anderes bin als ein Besitz. Ein Werkzeug. Ein Ding, das er benutzen kann.

  Lord Louweris führt mich mit einem festen Griff zu einem der erhabenen Tische, der wie ein Podest über die restliche Gesellschaft im Ballsaal thront. Jeder Schritt dorthin fühlt sich wie ein Urteilsschritt an, w?hrend mein Blick kurz auf meinen Vater f?llt, der sich mit der K?nigin und meinem Halbbruder am gegenüberliegenden Tisch niederl?sst. Die Distanz zwischen uns ist gr??er als der Raum – sie trennt mich von der Vorstellung, jemals wirklich Teil ihrer Familie gewesen zu sein.

  ?Iss jetzt“, befiehlt Lord Louweris, seine Stimme honigsü? und doch schneidend. Er reicht mir eine Gabel, auf deren Zinken ein Stück saftig gl?nzendes Hühnerfleisch ruht. ?Hühnerfleisch ist k?stlich. Natürlich nicht so wie Hirsch, aber das genügt für den Anfang.“

  Ich schlucke schwer, der Klo? in meinem Hals ist unüberwindbar. Mein Blick haftet starr auf dem Fleisch, das vor mir aufgespie?t ist, w?hrend mein Magen sich vor Abscheu zusammenkrampft. Doch die Angst, seinen Zorn heraufzubeschw?ren, h?lt meinen Blick wie in Ketten gefangen.

  ?Wie lange willst du mich noch warten lassen, meine Liebste?“ Seine Stimme gleitet sü?lich in meinen Ohren, aber ich spüre die Bedrohung darunter. ?Die G?ste sehen uns. Ein Besitz wie du hat keinen Willen zu haben.“

  ?Lord Louweris… ich esse kein Fleisch“, flüstere ich, meine Stimme kaum mehr als ein Windhauch. Ich wage nicht, ihn anzusehen, w?hrend ich spreche.

  Sein L?cheln verh?rtet sich, doch seine Stimme bleibt trügerisch sanft. ?Mach jetzt deinen Mund auf.“ Die unausgesprochene Drohung h?ngt in der Luft, schwer wie Blei.

  Ich füge mich, lasse zu, dass er mir das Fleisch in den Mund schiebt. Der Geschmack explodiert bitter auf meiner Zunge, jeder Bissen ein Kampf gegen das Würgen, das in meiner Kehle aufsteigt. Mein K?rper rebelliert, doch die Angst, ihn zu erzürnen, h?lt mich in Schach.

  Er lehnt sich n?her an mich heran, sein Atem schwer und durchzogen von Zwiebelnoten. ?Und du wagst zu behaupten, du isst kein Fleisch,“ murmelt er sp?ttisch, leise genug, dass nur ich es h?re. ?Dabei wirst du heute Nacht doch eine ganz andere Wurst kosten.“

  Ein dreckiges Lachen folgt, w?hrend meine Haut vor Scham brennt. Niemand au?er mir h?rt seine widerw?rtige Bemerkung. Also zwinge ich mir ein gefrorenes L?cheln ins Gesicht, um den Eindruck zu erwecken, als h?tte er etwas Witziges gesagt. Meine H?nde zittern unter dem Tisch.

  Die Minuten ziehen sich wie Stunden, w?hrend ich seiner unabl?ssigen Aufmerksamkeit ausgeliefert bin. Seine Hand umklammert meine wie die eines ungezogenen Kindes, das man st?ndig beaufsichtigen muss. Hin und wieder gleiten seine Finger über Stellen an meinem K?rper, wo ich sie niemals haben wollte.

  Die pl?tzliche Stimme von Lord Velqorin rei?t mich aus meinem inneren Kampf. ?Lord Louweris“, beginnt er, eine Spur von Abscheu in seinem Ton, die seinem Gastgeber jedoch entgeht.

  ?Zyar, du alter Verführer!“, ruft Louweris begeistert und zieht Velqorin in eine Umarmung. Der andere Mann bleibt steif, seine Augen vermeiden die meinen.

  ?Ich hatte nicht erwartet, dass Eure Frau… so jung sein würde“, sagt Velqorin, der seine Worte vorsichtig w?hlt.

  Lord Louweris bricht in ein schallendes Lachen aus. ?Was soll ich mit alten Weibern, deren Titten bis zu den Knien h?ngen?“ Er zieht mich an sich, seine Hand ruht dreist auf meiner Brust. ?Sieh sie dir an, Zyar“, fordert er, seine Augen gierig.

  Lord Velqorin hebt abwehrend die Hand, sein Blick verr?t, dass er mit Abscheu k?mpft. ?Ich gratuliere Euch. Mein Sohn und ich ziehen uns zurück. Der K?nig hat uns zu der anstehenden Jagd morgen eingeladen und wir brauchen daher unsere Ruhe.“

  ?Wie du willst“, brummt Louweris, das Interesse an der Unterhaltung bereits verloren. Sein Blick kehrt zu mir zurück, und er f?hrt mit der Hand langsam meinen Arm hinab. ?Was mich jetzt wirklich interessiert“, flüstert er leise, ?… was sich unter diesem roten Kleid versteckt. Mein Besitz. Du geh?rst mir, Kind.“

  In meinem Inneren brodelt es. Nein, nichts geh?rt dir, denke ich verzweifelt. Nicht mein K?rper. Nicht meine Seele. Nichts.

  Meine Worte bleiben stumm. Sie sind wie V?gel, die nicht fliegen k?nnen – erstickt von der Schwere meiner Angst. Stattdessen lasse ich zu, dass er mit mir verf?hrt, wie es ihm beliebt, und jede Demütigung, die über seine Lippen kommt, wie Gift in meine Seele tropft. Zeit verliert ihre Bedeutung, w?hrend ich seine Marionette spiele, bis er mich schlie?lich zu K?nigin Mayyira führt. Sie l?chelt sü?lich, doch in ihren Augen glimmt ein kaltes Feuer. Ihre Haltung schreit nach Schmeichelei, als sie versucht, dem alten Mann gefallen zu wollen. Ihre Gesten, ihre Blicke – alles daran ist eine sorgf?ltig inszenierte Maskerade.

  Nachdem Lord Louweris mit seinen Bediensteten den Saal verlassen hat, kehrt die K?nigin zu mir zurück. Ihr L?cheln wird sch?rfer, ihre Augen schmaler. ?Lord Louweris ist bereit, die Ehe zu vollziehen“, verkündet sie, und ihre Worte klingen wie ein Todesurteil. ?Welch glorreicher Tag, nicht wahr?“

  Ich spüre, wie mein Herz einen Schlag aussetzt, ehe es panisch rast. ?Warum hasst Ihr mich so?“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, von Tr?nen erstickt. ?Warum habt Ihr mir nie eine Mutter sein k?nnen? Was habe ich Euch nur angetan?“

  Ihr L?cheln verschwindet. Mit einem Zischen, scharf wie ein Peitschenhieb, tritt sie n?her. Ihre N?he ist erdrückend, ihr Blick durchbohrt mich wie ein kalter Dolch. ?Schweig, respektloses G?r“, zischt sie, ihre Stimme ein gef?hrliches Flüstern. Doch für die G?ste um uns herum wirkt sie wie eine liebevolle Mutter, die ihre Tochter ermahnt. Niemand sieht die Drohung, die in ihren Bewegungen liegt. ?Du solltest dankbar sein, dass ich dich nicht schon vor fünf Jahren mit diesem alten Schwein verheiratet habe. Du bist das Kind einer Hure. Deine Mutter hat meinen Mann verführt und dich gezeugt. Deine Existenz ist ein Schandfleck – ein Fehler der Natur.“

  Ihre Worte schmerzen mehr, als es jeder Schlag k?nnte. ?Aber…,“ setze ich an, doch meine Stimme bricht. Wie kann mein Leben ein Fehler sein? Wenn mein Vater und meine Mutter Liebe empfanden, warum werde ich dafür bestraft? Warum…?

  Sie l?sst mich nicht ausreden. ?Alle deine Habseligkeiten sind bereits in den Koffern deines Mannes verstaut. Nach der Jagd morgen wirst du dieses Schloss endgültig verlassen. Und wag es nicht, diese Nacht seinem Wunsch zu widersprechen – oder du wirst dir wünschen, dass nur er dich bestraft.“

  ?Ich… ich kann das nicht“, flüstere ich. Meine Stimme zittert vor unterdrückten Tr?nen. ?Dieser Mann… ich will nicht. Bitte, K?nigin Mayyira. Ich flehe euch an. Macht, dass es aufh?rt.“

  Ihre Augen blitzen vor Vergnügen, als w?ren meine Bitten eine k?stliche Melodie. ?Dein Flehen ist mir eine willkommene Melodie“, murmelt sie, ihre Finger dirigieren in einer sp?ttischen Geste eine unsichtbare Symphonie. Dann sieht sie mich wieder mit eisiger K?lte an. ?Aber dein Vater und dein Mann erwarten, dass du bald einen Erben geb?rst. Nicht für den Thron, aber um sein Erbe zu sichern. Louweris wird nicht ewig leben, und ein Sohn wird für ihn seine Arbeit übernehmen. Seine T?chter jedenfalls...“ Sie schnaubt ver?chtlich.

  ?T?chter?“ wiederhole ich verwirrt. ?Aber… wo sind sie? Ich habe niemanden gesehen.“

  Die K?nigin lacht kalt. ?Das liegt daran, dass all seine Frauen tot sind und seine T?chter in Freudenh?usern ihre Pflichten erfüllen.“

  Die Worte treffen mich wie ein Schlag. Jede Hoffnung, jeder Rest von Widerstand erlischt. Meine Gedanken taumeln. Ist das wirklich das Schicksal, das mich erwartet?

  Sie signalisiert den Bediensteten, mich wegzuführen. Keine weitere Erkl?rung, keine Gnade. Die Stille kehrt zurück, schwer und bedrückend. Ich folge ihnen mechanisch, meine Angst steigt mit jedem Schritt. Die Stimmen der G?ste verblassen, und erneut umf?ngt mich diese drückende Stille – die Stille eines unausweichlichen Urteils.

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